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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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bestärkt, daß die in den demnächst jüngeren Vasen auftretende Frauentracht sich
in verschiedenen Punkten ganz wesentlich von ihr unterscheidet. Deal einmal
reicht in jener ältern Tracht der Überwurf, wie erwähnt, nicht bis zum Gürtel
herab, während er später bald mehr, bald weniger tief herunterreicht; ferner hat
diese spätere Kleidung meistens Ärmel, welche sowohl länger als weiter sind
als die der ältern Tracht. In einem Punkte muß ich nun allerdings von Böhlnu
abweichen. Da häufig Farbe und Muster des Überwurfs verschieden sind von
denen der unterhalb der Taille zum Vorschein kommenden Kleidung, so ergiebt
sich, daß der Überwurf in diesen Fällen nicht aus einem Stück mit dem Chiton
bestehen konnte. Ich nehme jedoch nicht bloß dies an, sondern ich glaube, daß
jeder solche jackenartige Überwurf auf den archaischen Vasenbildern ein besondres
Kleidungsstück war, welches uicht mit dem den Unterleib und die Beine bedeckenden,
ost auch uoch oberhalb des Gürtels und unter dein Überwurf zum Vorschein
kommenden, die Brust bedeckenden Kleide oder Chiton zusammenhing. Ich glaube
dies einerseits deshalb, weil ich mir keinen Kleiderschnitt denken kann, bei welchem
es möglich wäre, Unterkleid und Überwurf in der bezeichneten Form aus einem.
Stück herzustellen, und andrerseits deshalb, weil sehr häufig nicht bloß der
untere Rand des Überwurfs, sondern auch der obere, den Hals umgebende Rand
desselben mit einer besonderen gemusterten Borte verziert ist, und wenn Ärmel
da find, auch die Ränder von diesen. Ich denke mir also diese älteste "dorische"
Tracht als ans zwei Teilen bestehend, einem gegürteten Unterkleid oder Chiton,
welches zumeist unterhalb der Taille ringsum geschloffen, also zusammengenäht
war, doch bisweilen auch auf der einen Seite einen offenen, bis zu den Füßen
reichenden Schlitz hatte (Beispiele hierfür liegen vor), und einem bloß den
Oberleib bedeckenden, entweder durch Nadeln auf der Schulter befestigten oder
unter Umständen ebenfalls genähten Überwurf. Bisweilen kommt dann, wie es
scheint, noch ein drittes Stück hinzu; auf einigen Vasenbildern sieht man
nämlich oberhalb des Untergewandes noch ein darüber gelegtes, aber vom Gürtel
mit umfaßtes Kleidungsstück, welches auf der einen Seite offen ist. (Bostan nimmt
an, daß es daneben auch solche gegeben habe, welche ringsum geschloffen waren;
aber wenn auch auf Abbildungen bisweilen jener Schlitz fehlt, so ist das doch
gar kein Beweis, da der Vasenmaler dann eben die geschlossene Seite abgebildet
hat, wie in andern Fällen die offene.) Dieser untere Überwurf ist bald aus
demselben Stoff gefertigt wie die Jacke, bald auch nicht, immer aber, soweit
ich es beobachten konnte, in Farbe und Muster verschiede" von dem darunter
getragenen Unterkleid. In welcher Weise wir uns diesen Überrock, wenn ich
so sagen soll, angelegt denken sollen, ist schwer zu sagen; doch hat es ganz den
Anschein, als hätten die Frauen damals etwas ähnliches gehabt, wie die bis
vor kurzem übliche "Tuniqne" unsrer Damen, d. h. einen über den eigentlichen
Rock fallenden Überwurf, welcher um die Hüfte, also am Gürtel, befestigt wurde.
Es ist das umso eher möglich, als man sich damals, wie es scheint, fester gürtete


bestärkt, daß die in den demnächst jüngeren Vasen auftretende Frauentracht sich
in verschiedenen Punkten ganz wesentlich von ihr unterscheidet. Deal einmal
reicht in jener ältern Tracht der Überwurf, wie erwähnt, nicht bis zum Gürtel
herab, während er später bald mehr, bald weniger tief herunterreicht; ferner hat
diese spätere Kleidung meistens Ärmel, welche sowohl länger als weiter sind
als die der ältern Tracht. In einem Punkte muß ich nun allerdings von Böhlnu
abweichen. Da häufig Farbe und Muster des Überwurfs verschieden sind von
denen der unterhalb der Taille zum Vorschein kommenden Kleidung, so ergiebt
sich, daß der Überwurf in diesen Fällen nicht aus einem Stück mit dem Chiton
bestehen konnte. Ich nehme jedoch nicht bloß dies an, sondern ich glaube, daß
jeder solche jackenartige Überwurf auf den archaischen Vasenbildern ein besondres
Kleidungsstück war, welches uicht mit dem den Unterleib und die Beine bedeckenden,
ost auch uoch oberhalb des Gürtels und unter dein Überwurf zum Vorschein
kommenden, die Brust bedeckenden Kleide oder Chiton zusammenhing. Ich glaube
dies einerseits deshalb, weil ich mir keinen Kleiderschnitt denken kann, bei welchem
es möglich wäre, Unterkleid und Überwurf in der bezeichneten Form aus einem.
Stück herzustellen, und andrerseits deshalb, weil sehr häufig nicht bloß der
untere Rand des Überwurfs, sondern auch der obere, den Hals umgebende Rand
desselben mit einer besonderen gemusterten Borte verziert ist, und wenn Ärmel
da find, auch die Ränder von diesen. Ich denke mir also diese älteste „dorische"
Tracht als ans zwei Teilen bestehend, einem gegürteten Unterkleid oder Chiton,
welches zumeist unterhalb der Taille ringsum geschloffen, also zusammengenäht
war, doch bisweilen auch auf der einen Seite einen offenen, bis zu den Füßen
reichenden Schlitz hatte (Beispiele hierfür liegen vor), und einem bloß den
Oberleib bedeckenden, entweder durch Nadeln auf der Schulter befestigten oder
unter Umständen ebenfalls genähten Überwurf. Bisweilen kommt dann, wie es
scheint, noch ein drittes Stück hinzu; auf einigen Vasenbildern sieht man
nämlich oberhalb des Untergewandes noch ein darüber gelegtes, aber vom Gürtel
mit umfaßtes Kleidungsstück, welches auf der einen Seite offen ist. (Bostan nimmt
an, daß es daneben auch solche gegeben habe, welche ringsum geschloffen waren;
aber wenn auch auf Abbildungen bisweilen jener Schlitz fehlt, so ist das doch
gar kein Beweis, da der Vasenmaler dann eben die geschlossene Seite abgebildet
hat, wie in andern Fällen die offene.) Dieser untere Überwurf ist bald aus
demselben Stoff gefertigt wie die Jacke, bald auch nicht, immer aber, soweit
ich es beobachten konnte, in Farbe und Muster verschiede» von dem darunter
getragenen Unterkleid. In welcher Weise wir uns diesen Überrock, wenn ich
so sagen soll, angelegt denken sollen, ist schwer zu sagen; doch hat es ganz den
Anschein, als hätten die Frauen damals etwas ähnliches gehabt, wie die bis
vor kurzem übliche „Tuniqne" unsrer Damen, d. h. einen über den eigentlichen
Rock fallenden Überwurf, welcher um die Hüfte, also am Gürtel, befestigt wurde.
Es ist das umso eher möglich, als man sich damals, wie es scheint, fester gürtete


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[0416] bestärkt, daß die in den demnächst jüngeren Vasen auftretende Frauentracht sich in verschiedenen Punkten ganz wesentlich von ihr unterscheidet. Deal einmal reicht in jener ältern Tracht der Überwurf, wie erwähnt, nicht bis zum Gürtel herab, während er später bald mehr, bald weniger tief herunterreicht; ferner hat diese spätere Kleidung meistens Ärmel, welche sowohl länger als weiter sind als die der ältern Tracht. In einem Punkte muß ich nun allerdings von Böhlnu abweichen. Da häufig Farbe und Muster des Überwurfs verschieden sind von denen der unterhalb der Taille zum Vorschein kommenden Kleidung, so ergiebt sich, daß der Überwurf in diesen Fällen nicht aus einem Stück mit dem Chiton bestehen konnte. Ich nehme jedoch nicht bloß dies an, sondern ich glaube, daß jeder solche jackenartige Überwurf auf den archaischen Vasenbildern ein besondres Kleidungsstück war, welches uicht mit dem den Unterleib und die Beine bedeckenden, ost auch uoch oberhalb des Gürtels und unter dein Überwurf zum Vorschein kommenden, die Brust bedeckenden Kleide oder Chiton zusammenhing. Ich glaube dies einerseits deshalb, weil ich mir keinen Kleiderschnitt denken kann, bei welchem es möglich wäre, Unterkleid und Überwurf in der bezeichneten Form aus einem. Stück herzustellen, und andrerseits deshalb, weil sehr häufig nicht bloß der untere Rand des Überwurfs, sondern auch der obere, den Hals umgebende Rand desselben mit einer besonderen gemusterten Borte verziert ist, und wenn Ärmel da find, auch die Ränder von diesen. Ich denke mir also diese älteste „dorische" Tracht als ans zwei Teilen bestehend, einem gegürteten Unterkleid oder Chiton, welches zumeist unterhalb der Taille ringsum geschloffen, also zusammengenäht war, doch bisweilen auch auf der einen Seite einen offenen, bis zu den Füßen reichenden Schlitz hatte (Beispiele hierfür liegen vor), und einem bloß den Oberleib bedeckenden, entweder durch Nadeln auf der Schulter befestigten oder unter Umständen ebenfalls genähten Überwurf. Bisweilen kommt dann, wie es scheint, noch ein drittes Stück hinzu; auf einigen Vasenbildern sieht man nämlich oberhalb des Untergewandes noch ein darüber gelegtes, aber vom Gürtel mit umfaßtes Kleidungsstück, welches auf der einen Seite offen ist. (Bostan nimmt an, daß es daneben auch solche gegeben habe, welche ringsum geschloffen waren; aber wenn auch auf Abbildungen bisweilen jener Schlitz fehlt, so ist das doch gar kein Beweis, da der Vasenmaler dann eben die geschlossene Seite abgebildet hat, wie in andern Fällen die offene.) Dieser untere Überwurf ist bald aus demselben Stoff gefertigt wie die Jacke, bald auch nicht, immer aber, soweit ich es beobachten konnte, in Farbe und Muster verschiede» von dem darunter getragenen Unterkleid. In welcher Weise wir uns diesen Überrock, wenn ich so sagen soll, angelegt denken sollen, ist schwer zu sagen; doch hat es ganz den Anschein, als hätten die Frauen damals etwas ähnliches gehabt, wie die bis vor kurzem übliche „Tuniqne" unsrer Damen, d. h. einen über den eigentlichen Rock fallenden Überwurf, welcher um die Hüfte, also am Gürtel, befestigt wurde. Es ist das umso eher möglich, als man sich damals, wie es scheint, fester gürtete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/416>, abgerufen am 23.07.2024.