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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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lungen und Verhöhnungen roher Menschen aussetzen müssen, wie es leider sehr
häufig ist."

Wenn auf solche Weise die Gesetzgebung selbst die Autorität der Polizei
untergräbt, dann darf man sich nicht wundern, daß den Polizeibeamten gegenüber
dem Publikum keine große Autorität beiwohnt, daß bei einem polizeilichen Ein¬
schreiten der Widerstand in Wort oder That geradezu herausgefordert wird
und daß sich hierdurch schließlich auch der Polizeibeamten eine persönliche Reiz¬
barkeit bemächtigen kann, welche für das Verhältnis zwischen Polizei und Publikum
uicht gut ist. Hören wir auch über diesen Punkt die Erfahrungen des Berliner
Polizeipräsidiums^): "Bei den Vergleichen zwischen den Konstablern Londons
und den hiesigen Schutzmännern pflegt gewöhnlich auch darauf besonders hin¬
gewiesen zu werden, daß die Konstabler ruhiger, gemessener, aber auch bestimmter
gegen etwaige Gesetzcsübertreter vorgehen, mehr amtliche Würde bewahren, und
daß sie deshalb bei ihrem Einschreiten weniger Widerstand und Ungehorsam
und im Publikum mehr llnterstntznug finden als hier die Schutzmänner, welche
in ihrem Auftreten gegen Übelthätcr mehr als Partei erscheinen, daher durch
ihr Einschreiten mehr zum Widerstande anreizten und deshalb auch das Publikum
meist gegen sich hätten. Diese Bemerkung und diese Ansicht mag vielleicht uicht
ganz ohne Berechtigung sein, häufig mag es so erschienen. Die Schuld an
diesem keineswegs erfreulichen Verhältnis liegt in den meisten Fällen jedoch
weniger an dem persönlichen Auftreten der Beamten, als an dem Publikum
und an dem dnrch die Gesetze, dnrch alle Einrichtungen und durch die Ge¬
wohnheit eingelebten Gebrauch, da die Stellung der Beamten, die ganzen Ver¬
hältnisse dort andre und von den hiesigen Verhältnissen wesentlich verschiedene
sind. Nicht die schweren Verbrechen und Vergehen sind es, bei deren Ver¬
folgung der Schutzmann mit den Übelthätern kleine Kämpfe zu bestehen hat
und von dem Publikum im Stiche gelassen wird, sondern vielmehr die kleinen,
im gewöhnlichen Leben hundertfach vorkommenden Übertretungen nud geringeren
polizeilichen Vergehen, bei denen das Publikum gegen die Beamten Partei
nimmt. Freilich flehen in England weit schwerere Strafen auf den Polizci-
nbertrctnngen als in Deutschland -- ein Punkt, der außerhalb des Rahmens
dieser Betrachtung liegt. Aber die Hauptsache ist, daß die Strafe dort gleich
vollstreckt, uicht die Polizei vor eine andre Behörde zur Aburteilung ihres
Vorgehens gefordert werden kann. Fälle, wie sie hier häufig vorkommen, daß
eiuzelue Übelthätcr, weil sie die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer
gegebenen polizeilichen Anordnung nicht einsehen oder nicht anerkennen wollen,
derselbe" wiederholt entschieden Widerstand und Ungehorsam entgegensetzen und
die Polizei nötigen, erst in langwierigen Prozessen und umständlichen Streit-



A. a. O. S. 24.

lungen und Verhöhnungen roher Menschen aussetzen müssen, wie es leider sehr
häufig ist."

Wenn auf solche Weise die Gesetzgebung selbst die Autorität der Polizei
untergräbt, dann darf man sich nicht wundern, daß den Polizeibeamten gegenüber
dem Publikum keine große Autorität beiwohnt, daß bei einem polizeilichen Ein¬
schreiten der Widerstand in Wort oder That geradezu herausgefordert wird
und daß sich hierdurch schließlich auch der Polizeibeamten eine persönliche Reiz¬
barkeit bemächtigen kann, welche für das Verhältnis zwischen Polizei und Publikum
uicht gut ist. Hören wir auch über diesen Punkt die Erfahrungen des Berliner
Polizeipräsidiums^): „Bei den Vergleichen zwischen den Konstablern Londons
und den hiesigen Schutzmännern pflegt gewöhnlich auch darauf besonders hin¬
gewiesen zu werden, daß die Konstabler ruhiger, gemessener, aber auch bestimmter
gegen etwaige Gesetzcsübertreter vorgehen, mehr amtliche Würde bewahren, und
daß sie deshalb bei ihrem Einschreiten weniger Widerstand und Ungehorsam
und im Publikum mehr llnterstntznug finden als hier die Schutzmänner, welche
in ihrem Auftreten gegen Übelthätcr mehr als Partei erscheinen, daher durch
ihr Einschreiten mehr zum Widerstande anreizten und deshalb auch das Publikum
meist gegen sich hätten. Diese Bemerkung und diese Ansicht mag vielleicht uicht
ganz ohne Berechtigung sein, häufig mag es so erschienen. Die Schuld an
diesem keineswegs erfreulichen Verhältnis liegt in den meisten Fällen jedoch
weniger an dem persönlichen Auftreten der Beamten, als an dem Publikum
und an dem dnrch die Gesetze, dnrch alle Einrichtungen und durch die Ge¬
wohnheit eingelebten Gebrauch, da die Stellung der Beamten, die ganzen Ver¬
hältnisse dort andre und von den hiesigen Verhältnissen wesentlich verschiedene
sind. Nicht die schweren Verbrechen und Vergehen sind es, bei deren Ver¬
folgung der Schutzmann mit den Übelthätern kleine Kämpfe zu bestehen hat
und von dem Publikum im Stiche gelassen wird, sondern vielmehr die kleinen,
im gewöhnlichen Leben hundertfach vorkommenden Übertretungen nud geringeren
polizeilichen Vergehen, bei denen das Publikum gegen die Beamten Partei
nimmt. Freilich flehen in England weit schwerere Strafen auf den Polizci-
nbertrctnngen als in Deutschland — ein Punkt, der außerhalb des Rahmens
dieser Betrachtung liegt. Aber die Hauptsache ist, daß die Strafe dort gleich
vollstreckt, uicht die Polizei vor eine andre Behörde zur Aburteilung ihres
Vorgehens gefordert werden kann. Fälle, wie sie hier häufig vorkommen, daß
eiuzelue Übelthätcr, weil sie die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer
gegebenen polizeilichen Anordnung nicht einsehen oder nicht anerkennen wollen,
derselbe» wiederholt entschieden Widerstand und Ungehorsam entgegensetzen und
die Polizei nötigen, erst in langwierigen Prozessen und umständlichen Streit-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/408>, abgerufen am 23.07.2024.