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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

Polizei gegenüber dem Angeklagten einen erheblichen, nicht leicht gntznmachenden
Stoß erhalten. Sind aber auch Polizei und Gericht über die Zulä'ssigkcit einer
Strafverfolgung einig, so ist das Gericht wieder nicht an den Ausspruch der
Polizei gebunden, sondern kann die von der Polizei angesetzte Strafe beliebig
umändern, also namentlich auch herabsetzen. Wie tief diese Bestimmung in die
Polizeiliche Wirksamkeit eingreift, liegt auf der Hand; ein an und für sich nicht
leichter Fall einer Übertretung erscheint nach Wochen oder Monaten sehr ab¬
geschwächt; die persönlichen Verhältnisse, die nähern Umstände, um derentwillen
die Polizei eine höhere Strafe erkennen mußte, siud dem Richter unbekannt,
sie können nicht alle in der knappen Form der Strafverfügung aufgenommen
werden, und vor Gericht kaun sie die Polizei aus Maugel an eigner Vertretung nicht
geltend machen. Der Angeklagte feiert aber bei einer solchen Herabsetzung der
Strafe immer einen Triumph über die Polizei. Endlich, um recht deutlich das
gesetzliche Vorurteil gegen die Polizei auszudrücken, ist sogar für den Fall der
Kontumaz ein verschiedenes Verfahren vorgeschrieben, je nachdem der Angeklagte
gegen einen richterlichen Strafbefehl oder eine polizeiliche Strafverfügung Wider¬
spruch erhoben hat. Bleibt der Angeklagte in dem auf Grund des Widerspruchs
angesetzten Verhandlungstermine aus, so gilt im ersten Falle der Widerspruch
als zurückgenommen (§ 462 der Strafprozeßordnung), im letztern nicht, sondern
das Schöffengericht hat sich trotzdem damit zu befassen und die Verfügung der
Polizei zu prüfen.") Endlich aber erhalt die Polizei nicht einmal eine Mit¬
teilung darüber, was aus der Verhandlung auf Grund ihrer Strafverfügung
geworden ist. Sie erhält den Tenor eines Urteils, wonach jemand wegen
einer Übertretung bestraft oder freigesprochen ist; ob es sich um einen vou ihr
bereits verhandelten Fall handle, muß sie aber selbst erst ermitteln.

Es bedarf keiner Bemerkung, daß derartige Einrichtungen für die Autorität
der Polizei als solcher und deren Beamten nur äußerst nachteilig heilt können.
--Daß solche Vorkommnisse, sagt der Berliner Polizcibericht,^) nur dazu bei¬
tragen können, das Ansehen der Behörde, die ... ja doch nur das Beste des
Publikums im Auge hat, es vor Gefahren, Rohheiten, Exzessen und Über¬
vorteilungen ... zu schütze" und zu bewahren sucht, zu schädige" und in den
Augen des Publikums herabzusetzen, liegt auf der Hund. Jedenfalls ist die
Stellung der Exekutivbcamten gegenüber den gewohnheitsmäßigen Übertretern
der Polizeiverorduungcn eine keineswegs beneidenswerte, und es gehört für die
Beamten schon einiger Mut dazu, eine Übertretung festzustellen und zur Anzeige
Zu bringen, wenn sie aus dieser Erfüllung ihrer Pflicht, aus dieser ihnen
obliegenden Amtsthätigkeit große Weitläufigkeiten und Widerwärtigkeiten für
sich zu befürchten haben und sich im Termine oft sogar öffentliche Krcin-




Schwarze a. a. O, Anmerkung 1 zu 8 4S7 der Strafprozeßordnung.
**) A. a. O. S. 34.
Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

Polizei gegenüber dem Angeklagten einen erheblichen, nicht leicht gntznmachenden
Stoß erhalten. Sind aber auch Polizei und Gericht über die Zulä'ssigkcit einer
Strafverfolgung einig, so ist das Gericht wieder nicht an den Ausspruch der
Polizei gebunden, sondern kann die von der Polizei angesetzte Strafe beliebig
umändern, also namentlich auch herabsetzen. Wie tief diese Bestimmung in die
Polizeiliche Wirksamkeit eingreift, liegt auf der Hand; ein an und für sich nicht
leichter Fall einer Übertretung erscheint nach Wochen oder Monaten sehr ab¬
geschwächt; die persönlichen Verhältnisse, die nähern Umstände, um derentwillen
die Polizei eine höhere Strafe erkennen mußte, siud dem Richter unbekannt,
sie können nicht alle in der knappen Form der Strafverfügung aufgenommen
werden, und vor Gericht kaun sie die Polizei aus Maugel an eigner Vertretung nicht
geltend machen. Der Angeklagte feiert aber bei einer solchen Herabsetzung der
Strafe immer einen Triumph über die Polizei. Endlich, um recht deutlich das
gesetzliche Vorurteil gegen die Polizei auszudrücken, ist sogar für den Fall der
Kontumaz ein verschiedenes Verfahren vorgeschrieben, je nachdem der Angeklagte
gegen einen richterlichen Strafbefehl oder eine polizeiliche Strafverfügung Wider¬
spruch erhoben hat. Bleibt der Angeklagte in dem auf Grund des Widerspruchs
angesetzten Verhandlungstermine aus, so gilt im ersten Falle der Widerspruch
als zurückgenommen (§ 462 der Strafprozeßordnung), im letztern nicht, sondern
das Schöffengericht hat sich trotzdem damit zu befassen und die Verfügung der
Polizei zu prüfen.") Endlich aber erhalt die Polizei nicht einmal eine Mit¬
teilung darüber, was aus der Verhandlung auf Grund ihrer Strafverfügung
geworden ist. Sie erhält den Tenor eines Urteils, wonach jemand wegen
einer Übertretung bestraft oder freigesprochen ist; ob es sich um einen vou ihr
bereits verhandelten Fall handle, muß sie aber selbst erst ermitteln.

Es bedarf keiner Bemerkung, daß derartige Einrichtungen für die Autorität
der Polizei als solcher und deren Beamten nur äußerst nachteilig heilt können.
--Daß solche Vorkommnisse, sagt der Berliner Polizcibericht,^) nur dazu bei¬
tragen können, das Ansehen der Behörde, die ... ja doch nur das Beste des
Publikums im Auge hat, es vor Gefahren, Rohheiten, Exzessen und Über¬
vorteilungen ... zu schütze» und zu bewahren sucht, zu schädige» und in den
Augen des Publikums herabzusetzen, liegt auf der Hund. Jedenfalls ist die
Stellung der Exekutivbcamten gegenüber den gewohnheitsmäßigen Übertretern
der Polizeiverorduungcn eine keineswegs beneidenswerte, und es gehört für die
Beamten schon einiger Mut dazu, eine Übertretung festzustellen und zur Anzeige
Zu bringen, wenn sie aus dieser Erfüllung ihrer Pflicht, aus dieser ihnen
obliegenden Amtsthätigkeit große Weitläufigkeiten und Widerwärtigkeiten für
sich zu befürchten haben und sich im Termine oft sogar öffentliche Krcin-




Schwarze a. a. O, Anmerkung 1 zu 8 4S7 der Strafprozeßordnung.
**) A. a. O. S. 34.
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[0407] Die Stellung der Polizei im Strafverfahren. Polizei gegenüber dem Angeklagten einen erheblichen, nicht leicht gntznmachenden Stoß erhalten. Sind aber auch Polizei und Gericht über die Zulä'ssigkcit einer Strafverfolgung einig, so ist das Gericht wieder nicht an den Ausspruch der Polizei gebunden, sondern kann die von der Polizei angesetzte Strafe beliebig umändern, also namentlich auch herabsetzen. Wie tief diese Bestimmung in die Polizeiliche Wirksamkeit eingreift, liegt auf der Hand; ein an und für sich nicht leichter Fall einer Übertretung erscheint nach Wochen oder Monaten sehr ab¬ geschwächt; die persönlichen Verhältnisse, die nähern Umstände, um derentwillen die Polizei eine höhere Strafe erkennen mußte, siud dem Richter unbekannt, sie können nicht alle in der knappen Form der Strafverfügung aufgenommen werden, und vor Gericht kaun sie die Polizei aus Maugel an eigner Vertretung nicht geltend machen. Der Angeklagte feiert aber bei einer solchen Herabsetzung der Strafe immer einen Triumph über die Polizei. Endlich, um recht deutlich das gesetzliche Vorurteil gegen die Polizei auszudrücken, ist sogar für den Fall der Kontumaz ein verschiedenes Verfahren vorgeschrieben, je nachdem der Angeklagte gegen einen richterlichen Strafbefehl oder eine polizeiliche Strafverfügung Wider¬ spruch erhoben hat. Bleibt der Angeklagte in dem auf Grund des Widerspruchs angesetzten Verhandlungstermine aus, so gilt im ersten Falle der Widerspruch als zurückgenommen (§ 462 der Strafprozeßordnung), im letztern nicht, sondern das Schöffengericht hat sich trotzdem damit zu befassen und die Verfügung der Polizei zu prüfen.") Endlich aber erhalt die Polizei nicht einmal eine Mit¬ teilung darüber, was aus der Verhandlung auf Grund ihrer Strafverfügung geworden ist. Sie erhält den Tenor eines Urteils, wonach jemand wegen einer Übertretung bestraft oder freigesprochen ist; ob es sich um einen vou ihr bereits verhandelten Fall handle, muß sie aber selbst erst ermitteln. Es bedarf keiner Bemerkung, daß derartige Einrichtungen für die Autorität der Polizei als solcher und deren Beamten nur äußerst nachteilig heilt können. --Daß solche Vorkommnisse, sagt der Berliner Polizcibericht,^) nur dazu bei¬ tragen können, das Ansehen der Behörde, die ... ja doch nur das Beste des Publikums im Auge hat, es vor Gefahren, Rohheiten, Exzessen und Über¬ vorteilungen ... zu schütze» und zu bewahren sucht, zu schädige» und in den Augen des Publikums herabzusetzen, liegt auf der Hund. Jedenfalls ist die Stellung der Exekutivbcamten gegenüber den gewohnheitsmäßigen Übertretern der Polizeiverorduungcn eine keineswegs beneidenswerte, und es gehört für die Beamten schon einiger Mut dazu, eine Übertretung festzustellen und zur Anzeige Zu bringen, wenn sie aus dieser Erfüllung ihrer Pflicht, aus dieser ihnen obliegenden Amtsthätigkeit große Weitläufigkeiten und Widerwärtigkeiten für sich zu befürchten haben und sich im Termine oft sogar öffentliche Krcin- Schwarze a. a. O, Anmerkung 1 zu 8 4S7 der Strafprozeßordnung. **) A. a. O. S. 34.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/407>, abgerufen am 23.07.2024.