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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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betreffende Handlung zu verhindern, und muß oft bei der klarsten Sachlage
Monate lang die Gesetzübertretung zum Hohn für die Polizei und zum
Ärgernis und Nachteil für die übrigen Insassen ihres Bezirkes ruhig mit an¬
sehen, ohne daß bei der späteren Verurteilung des Angeschuldigten diese fort¬
gesetzte Übertretung für die Strafausmessnng verwertet werden kann, Beschleu-
uigungsauträge führen aber regelmäßig zu keinem Ziele, weil die Gerichte teils
leine Zeit zu rascherem Verfahren haben, teils auch die Sache nicht für an und
für sich eilig halten werden, da der für die Polizei maßgebende Grund der
Beschleunigung die Sache nicht auch nach der Strafprozeßordnung als eine
schleunige ansehen läßt.

Noch ein für die Autorität der Polizei sehr bedenklicher Umstand liegt
aber auch in den gesetzlichen Bestimmungen über das Verfahren vor dem
Schöffengericht nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfnguug (Strafproze߬
ordnung Z 453--458). Nach diesen Bestimmungen wird zunächst über das Ver¬
fahren der Polizei, dann erst über die That des Angeklagten abgeurteilt. Nach er¬
hobenem Widerspruch gegen die Strafverfügung hat diese nur noch die Bedeutung
einer Anklageschrift.") In allen Verhandlungen auf Grund einer vom Staats¬
oder Amtsanwalt verfaßten Anklageschrift kann nun das Gericht den Ange¬
klagten anch auf Grund eines nicht in der Anklageschrift, beziehungsweise dem
darauf ergangenen Ervffnungsbcschlnsse enthaltenen Strafgesetzes verurteilen,
sofern es demselben entsprechende Gelegenheit zu seiner Verteidigung gegeben
hat. Anders aber liegt es bei der Anklage ans Grund der polizeilichen Straf¬
verfnguug. Stellt sich uach Ansicht des Gerichts oder nach dem Inhalt der
neuen Verhandlungen vor dem Schöffengerichte die That als eine solche dar,
bei welcher die Polizeibehörde zum Erlaß einer Strafverfolgung uicht befugt
war, so hat das Gericht nach 458 der Strafprozeßordnung die Strafver¬
fügung durch Urteil aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Weichen
nun Gericht und Polizei in ihren Ansichten von einander ab oder ergeben sich
bei der Verhandlung vor Gericht erschwerende Umstünde, welche den Fall über
das polizeiliche Strafrecht hinausgehend erscheinen lassen, so wird nicht das
Verfahren nach der Ansicht des Gerichts oder nach den anderweiten Er¬
mittlungen eingeleitet, nein, die Strafverfügung wird einfach aufgehoben, nach
der Auffassung des Angeschuldigten also nnr ausgesprochen, daß die Polizei
Unrecht habe. Mit dieser Entscheidung wird die Sache an die Staatsanwalt¬
schaft zur weiteren Entschließung über die Einleitung einer strafrechtlichen Ver¬
folgung gebracht."") Mag nun der Amtsanwalt auch ein Interesse an der Ver¬
folgung des Falles haben oder mit Rücksicht auf dessen geringe Bedeutung und
die inzwischen verstrichene längere Zeit nicht, jedenfalls hat die Autorität der




Motive zu 8 381--J8!Z der Strnspwzeßvrdnunq.
""*) Schwarze n. n. O., Anmerkung zu 8 453 der Strasprvzestordiiung.

betreffende Handlung zu verhindern, und muß oft bei der klarsten Sachlage
Monate lang die Gesetzübertretung zum Hohn für die Polizei und zum
Ärgernis und Nachteil für die übrigen Insassen ihres Bezirkes ruhig mit an¬
sehen, ohne daß bei der späteren Verurteilung des Angeschuldigten diese fort¬
gesetzte Übertretung für die Strafausmessnng verwertet werden kann, Beschleu-
uigungsauträge führen aber regelmäßig zu keinem Ziele, weil die Gerichte teils
leine Zeit zu rascherem Verfahren haben, teils auch die Sache nicht für an und
für sich eilig halten werden, da der für die Polizei maßgebende Grund der
Beschleunigung die Sache nicht auch nach der Strafprozeßordnung als eine
schleunige ansehen läßt.

Noch ein für die Autorität der Polizei sehr bedenklicher Umstand liegt
aber auch in den gesetzlichen Bestimmungen über das Verfahren vor dem
Schöffengericht nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfnguug (Strafproze߬
ordnung Z 453—458). Nach diesen Bestimmungen wird zunächst über das Ver¬
fahren der Polizei, dann erst über die That des Angeklagten abgeurteilt. Nach er¬
hobenem Widerspruch gegen die Strafverfügung hat diese nur noch die Bedeutung
einer Anklageschrift.") In allen Verhandlungen auf Grund einer vom Staats¬
oder Amtsanwalt verfaßten Anklageschrift kann nun das Gericht den Ange¬
klagten anch auf Grund eines nicht in der Anklageschrift, beziehungsweise dem
darauf ergangenen Ervffnungsbcschlnsse enthaltenen Strafgesetzes verurteilen,
sofern es demselben entsprechende Gelegenheit zu seiner Verteidigung gegeben
hat. Anders aber liegt es bei der Anklage ans Grund der polizeilichen Straf¬
verfnguug. Stellt sich uach Ansicht des Gerichts oder nach dem Inhalt der
neuen Verhandlungen vor dem Schöffengerichte die That als eine solche dar,
bei welcher die Polizeibehörde zum Erlaß einer Strafverfolgung uicht befugt
war, so hat das Gericht nach 458 der Strafprozeßordnung die Strafver¬
fügung durch Urteil aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Weichen
nun Gericht und Polizei in ihren Ansichten von einander ab oder ergeben sich
bei der Verhandlung vor Gericht erschwerende Umstünde, welche den Fall über
das polizeiliche Strafrecht hinausgehend erscheinen lassen, so wird nicht das
Verfahren nach der Ansicht des Gerichts oder nach den anderweiten Er¬
mittlungen eingeleitet, nein, die Strafverfügung wird einfach aufgehoben, nach
der Auffassung des Angeschuldigten also nnr ausgesprochen, daß die Polizei
Unrecht habe. Mit dieser Entscheidung wird die Sache an die Staatsanwalt¬
schaft zur weiteren Entschließung über die Einleitung einer strafrechtlichen Ver¬
folgung gebracht."") Mag nun der Amtsanwalt auch ein Interesse an der Ver¬
folgung des Falles haben oder mit Rücksicht auf dessen geringe Bedeutung und
die inzwischen verstrichene längere Zeit nicht, jedenfalls hat die Autorität der




Motive zu 8 381—J8!Z der Strnspwzeßvrdnunq.
""*) Schwarze n. n. O., Anmerkung zu 8 453 der Strasprvzestordiiung.
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[0406] betreffende Handlung zu verhindern, und muß oft bei der klarsten Sachlage Monate lang die Gesetzübertretung zum Hohn für die Polizei und zum Ärgernis und Nachteil für die übrigen Insassen ihres Bezirkes ruhig mit an¬ sehen, ohne daß bei der späteren Verurteilung des Angeschuldigten diese fort¬ gesetzte Übertretung für die Strafausmessnng verwertet werden kann, Beschleu- uigungsauträge führen aber regelmäßig zu keinem Ziele, weil die Gerichte teils leine Zeit zu rascherem Verfahren haben, teils auch die Sache nicht für an und für sich eilig halten werden, da der für die Polizei maßgebende Grund der Beschleunigung die Sache nicht auch nach der Strafprozeßordnung als eine schleunige ansehen läßt. Noch ein für die Autorität der Polizei sehr bedenklicher Umstand liegt aber auch in den gesetzlichen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Schöffengericht nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfnguug (Strafproze߬ ordnung Z 453—458). Nach diesen Bestimmungen wird zunächst über das Ver¬ fahren der Polizei, dann erst über die That des Angeklagten abgeurteilt. Nach er¬ hobenem Widerspruch gegen die Strafverfügung hat diese nur noch die Bedeutung einer Anklageschrift.") In allen Verhandlungen auf Grund einer vom Staats¬ oder Amtsanwalt verfaßten Anklageschrift kann nun das Gericht den Ange¬ klagten anch auf Grund eines nicht in der Anklageschrift, beziehungsweise dem darauf ergangenen Ervffnungsbcschlnsse enthaltenen Strafgesetzes verurteilen, sofern es demselben entsprechende Gelegenheit zu seiner Verteidigung gegeben hat. Anders aber liegt es bei der Anklage ans Grund der polizeilichen Straf¬ verfnguug. Stellt sich uach Ansicht des Gerichts oder nach dem Inhalt der neuen Verhandlungen vor dem Schöffengerichte die That als eine solche dar, bei welcher die Polizeibehörde zum Erlaß einer Strafverfolgung uicht befugt war, so hat das Gericht nach 458 der Strafprozeßordnung die Strafver¬ fügung durch Urteil aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Weichen nun Gericht und Polizei in ihren Ansichten von einander ab oder ergeben sich bei der Verhandlung vor Gericht erschwerende Umstünde, welche den Fall über das polizeiliche Strafrecht hinausgehend erscheinen lassen, so wird nicht das Verfahren nach der Ansicht des Gerichts oder nach den anderweiten Er¬ mittlungen eingeleitet, nein, die Strafverfügung wird einfach aufgehoben, nach der Auffassung des Angeschuldigten also nnr ausgesprochen, daß die Polizei Unrecht habe. Mit dieser Entscheidung wird die Sache an die Staatsanwalt¬ schaft zur weiteren Entschließung über die Einleitung einer strafrechtlichen Ver¬ folgung gebracht."") Mag nun der Amtsanwalt auch ein Interesse an der Ver¬ folgung des Falles haben oder mit Rücksicht auf dessen geringe Bedeutung und die inzwischen verstrichene längere Zeit nicht, jedenfalls hat die Autorität der Motive zu 8 381—J8!Z der Strnspwzeßvrdnunq. ""*) Schwarze n. n. O., Anmerkung zu 8 453 der Strasprvzestordiiung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/406>, abgerufen am 25.08.2024.