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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Richter von Zalamea.

vor dem Richterstuhle der Moral, ein Akt willkürlicher, persönlicher Rache, den
der kluge Bauer noch dazu mit vollem Bewußtsein und klarer Absicht begeht.
Denn daß es ihm nicht um stritte Befolgung des Rechtes zu thun ist, beweist
der vorhergehende Sühneversuch, durch welchen der strenge Richter darthut, daß
er unter Umständen seinen Gefangenen auch freigebe" könne. Der Bauer
Crcspo ist also kein Brutus, nicht einmal ein Michael Kohlhaas. Und doch
läßt der moderne Dichter Heinrich von Kleist den letztern, der ebenfalls sein
Recht um jeden Preis auf eigne Faust, aber ganz 0011g. Mg sucht, darüber zu
gründe gehen -- wie sichs gebührt.

Um dem Spanier nicht Unrecht zu thun, müssen wir allerdings noch ein
andres Moment erwägen. Offenbar wollte Calderon durch sein Stück nicht
nur beweisen, daß ein Mensch das volle Recht habe, seine Ehre zu rächen,
sondern er wollte auch zeigen -- und das scheint ihm fast wichtiger als der
Hauptzweck gewesen zu sein --, daß im Bauersmann das Ehrgefühl ebenso
lebhaft sein könne als im Adlichen; daß die Ehre kein Standesvorrecht, sondern
etwas allgemein menschliches sei. Dies darzuthun ist ihm denn auch aufs
glänzendste gelungen. Und da diese Tendenz auch heute noch als berechtigt
gilt, so find auch wir geneigt, das Stück gerade in dieser Hinsicht zu würdigen.
Ja ein solches Beispiel von Selbstbewußtsein und Thatkraft, von Stolz und
zugleich gerechter Anerkennung wahren Verdienstes und Vorranges thut in
unsrer Zeit sogar recht wohl und dürfte manchen zum Nachdenken über sich
selbst anregen.

Und so können wir uns denn zum Schluß, obgleich wir es nicht für über¬
flüssig hielten, gerade bei dieser Gelegenheit mit Genugthuung einen Fortschritt
in unsrer sittlichen Entwicklung zu konstatiren, doch zu der Wiedererweckung des
"Richters von Zalamea," auch teilweise in Bezug auf dessen ethische Bedeutung,
Glück wünschen. Möge die herrliche dramatische Dichtung, die uns Wilbrandt
besonders durch seine außerordentlich wohlklingende und fließende Übertragung
in die deutsche Sprache wirklich zugeeignet hat, diesmal von dem Schicksale des
baldigen Wiederverschwindens bewahrt bleiben!


Hans Marbach.


Der Richter von Zalamea.

vor dem Richterstuhle der Moral, ein Akt willkürlicher, persönlicher Rache, den
der kluge Bauer noch dazu mit vollem Bewußtsein und klarer Absicht begeht.
Denn daß es ihm nicht um stritte Befolgung des Rechtes zu thun ist, beweist
der vorhergehende Sühneversuch, durch welchen der strenge Richter darthut, daß
er unter Umständen seinen Gefangenen auch freigebe» könne. Der Bauer
Crcspo ist also kein Brutus, nicht einmal ein Michael Kohlhaas. Und doch
läßt der moderne Dichter Heinrich von Kleist den letztern, der ebenfalls sein
Recht um jeden Preis auf eigne Faust, aber ganz 0011g. Mg sucht, darüber zu
gründe gehen — wie sichs gebührt.

Um dem Spanier nicht Unrecht zu thun, müssen wir allerdings noch ein
andres Moment erwägen. Offenbar wollte Calderon durch sein Stück nicht
nur beweisen, daß ein Mensch das volle Recht habe, seine Ehre zu rächen,
sondern er wollte auch zeigen — und das scheint ihm fast wichtiger als der
Hauptzweck gewesen zu sein —, daß im Bauersmann das Ehrgefühl ebenso
lebhaft sein könne als im Adlichen; daß die Ehre kein Standesvorrecht, sondern
etwas allgemein menschliches sei. Dies darzuthun ist ihm denn auch aufs
glänzendste gelungen. Und da diese Tendenz auch heute noch als berechtigt
gilt, so find auch wir geneigt, das Stück gerade in dieser Hinsicht zu würdigen.
Ja ein solches Beispiel von Selbstbewußtsein und Thatkraft, von Stolz und
zugleich gerechter Anerkennung wahren Verdienstes und Vorranges thut in
unsrer Zeit sogar recht wohl und dürfte manchen zum Nachdenken über sich
selbst anregen.

Und so können wir uns denn zum Schluß, obgleich wir es nicht für über¬
flüssig hielten, gerade bei dieser Gelegenheit mit Genugthuung einen Fortschritt
in unsrer sittlichen Entwicklung zu konstatiren, doch zu der Wiedererweckung des
„Richters von Zalamea," auch teilweise in Bezug auf dessen ethische Bedeutung,
Glück wünschen. Möge die herrliche dramatische Dichtung, die uns Wilbrandt
besonders durch seine außerordentlich wohlklingende und fließende Übertragung
in die deutsche Sprache wirklich zugeeignet hat, diesmal von dem Schicksale des
baldigen Wiederverschwindens bewahrt bleiben!


Hans Marbach.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/370>, abgerufen am 22.07.2024.