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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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brenne,?, und dasselbe Volk, welches heute deine Füße geküßt hat, wird morgen,
auf einen Wink meiner Hand, hinstürzen und mit Kohlen deinen Scheiterhaufen
schüren -- weißt dn das? Und da er noch immer schweigt und den Gro߬
inquisitor nur so still mit seinen sanften Augen betrachtet, läßt sich dieser zu
einer langen Rede herbei, welche ihm seine Unkenntnis der menschlichen Natur
nachweisen soll, die alles eher als jene Freiheit des Gewissens und Glaubens
verträgt, welche er ihm schaffen wollte und in seiner Schwärmerei ihm zumutete.
Diese Rede des Großinquisitors ist ein Meisterstück tiefsinniger Satire, und
merkwürdig charakteristisch für den Dichter in Dostojewsky ist die Art, wie er
die Szene beschließt. Wisse, sagt der Großinquisitor, daß auch ich in der Wüste
war, daß auch ich mit Heuschrecken und Wurzeln mich nährte, daß auch ich die
Freiheit segnete, mit welcher dn die Menschen gesegnet hast. Ich bereitete mich
vor, mich zu der Zahl deiner Auserwählten zu stellen, zur Zahl der Kräftigen
und Starken, dürstete darnach, die Zahl voll zu machen. Ich kehrte aber zurück
und stieß auf die Schar derer, die dein Werk verbessert haben. Da verließ ich
die Stolzen und kehrte zu den Demütigen zurück, zum Glücke für diese De¬
mütigen. Das, was ich dir sage, wird in Erfüllung gehen, und unser Reich
wird gegründet werden jdie römische Weltherrschaft^ Morgen verbrenne ich
dich." "Nachdem der Inquisitor ausgeredet hat, wartet er einige Zeit, daß der
Gefangene ihm antworte. Sein Schweigen wird ihm drückend. Er hat be¬
merkt, daß ihn der Gefangene die ganze Zeit über, während er ihn anhörte,
still und eindringlich anblickte, und daß er offenbar nicht gewillt ist, zu ant¬
worten. Der Alte aber wünscht, daß jener ihm etwas sage, und wenn es auch
etwas Bitteres, Schreckliches wäre. Er aber nähert sich schweigend dem Alten
und küßt ihn leise ans seinen blutlosen, neunzigjährigen Mund. Das ist die
ganze Antwort. Der Alte fährt zusammen. Seine Lippen zittern; er geht zur
Thür, öffnete sie und spricht zu ihm: Geh und komm nicht wieder . . . lehr nie
zurück . . . niemals, niemals. Und er läßt ihn ans den finstern Marktplatz
hinaus. Der Gefangene geht fort."

Aber alle diese Satire gegen deu Aberglauben, gegen die Möncherei, gegen
den Heiligenkultus, gegen den Jesuitismus, gegen das kalvinistische Mnckertnm --
alles das tritt bei Dostojewsky hinter der Leidenschaft zurück, mit der er den
schlechthin Ungläubigen, die Materialisten (Clnude Bernard), die Atheisten ver¬
urteilt. Einer der Brüder Karamasow ist ein solcher Atheist, und der Dichter
läßt ihn eben deswegen im Wahnsinn endigen; der andre Bruder, der Ver¬
brecher, hat angesichts der furchtbaren Strafe, die ihm droht, keinen andern
Schmerz, als die Qualen, die ihm der beigebrachte Zweifel an die Existenz
einer Gottheit verursachen. Alles Unheil in seinem Vaterlande, den wahnwitzig
wütenden Nihilismus, die verbrecherische Zerstörungswut, die von ihm ausgeht,
führt Dostojewsky auf deu Mangel an Gottesglauben zurück. In der dem Aus¬
bruche des Wahnsinns vorangehenden phantastischen Unterredung mit dem Teufel,


brenne,?, und dasselbe Volk, welches heute deine Füße geküßt hat, wird morgen,
auf einen Wink meiner Hand, hinstürzen und mit Kohlen deinen Scheiterhaufen
schüren — weißt dn das? Und da er noch immer schweigt und den Gro߬
inquisitor nur so still mit seinen sanften Augen betrachtet, läßt sich dieser zu
einer langen Rede herbei, welche ihm seine Unkenntnis der menschlichen Natur
nachweisen soll, die alles eher als jene Freiheit des Gewissens und Glaubens
verträgt, welche er ihm schaffen wollte und in seiner Schwärmerei ihm zumutete.
Diese Rede des Großinquisitors ist ein Meisterstück tiefsinniger Satire, und
merkwürdig charakteristisch für den Dichter in Dostojewsky ist die Art, wie er
die Szene beschließt. Wisse, sagt der Großinquisitor, daß auch ich in der Wüste
war, daß auch ich mit Heuschrecken und Wurzeln mich nährte, daß auch ich die
Freiheit segnete, mit welcher dn die Menschen gesegnet hast. Ich bereitete mich
vor, mich zu der Zahl deiner Auserwählten zu stellen, zur Zahl der Kräftigen
und Starken, dürstete darnach, die Zahl voll zu machen. Ich kehrte aber zurück
und stieß auf die Schar derer, die dein Werk verbessert haben. Da verließ ich
die Stolzen und kehrte zu den Demütigen zurück, zum Glücke für diese De¬
mütigen. Das, was ich dir sage, wird in Erfüllung gehen, und unser Reich
wird gegründet werden jdie römische Weltherrschaft^ Morgen verbrenne ich
dich." „Nachdem der Inquisitor ausgeredet hat, wartet er einige Zeit, daß der
Gefangene ihm antworte. Sein Schweigen wird ihm drückend. Er hat be¬
merkt, daß ihn der Gefangene die ganze Zeit über, während er ihn anhörte,
still und eindringlich anblickte, und daß er offenbar nicht gewillt ist, zu ant¬
worten. Der Alte aber wünscht, daß jener ihm etwas sage, und wenn es auch
etwas Bitteres, Schreckliches wäre. Er aber nähert sich schweigend dem Alten
und küßt ihn leise ans seinen blutlosen, neunzigjährigen Mund. Das ist die
ganze Antwort. Der Alte fährt zusammen. Seine Lippen zittern; er geht zur
Thür, öffnete sie und spricht zu ihm: Geh und komm nicht wieder . . . lehr nie
zurück . . . niemals, niemals. Und er läßt ihn ans den finstern Marktplatz
hinaus. Der Gefangene geht fort."

Aber alle diese Satire gegen deu Aberglauben, gegen die Möncherei, gegen
den Heiligenkultus, gegen den Jesuitismus, gegen das kalvinistische Mnckertnm —
alles das tritt bei Dostojewsky hinter der Leidenschaft zurück, mit der er den
schlechthin Ungläubigen, die Materialisten (Clnude Bernard), die Atheisten ver¬
urteilt. Einer der Brüder Karamasow ist ein solcher Atheist, und der Dichter
läßt ihn eben deswegen im Wahnsinn endigen; der andre Bruder, der Ver¬
brecher, hat angesichts der furchtbaren Strafe, die ihm droht, keinen andern
Schmerz, als die Qualen, die ihm der beigebrachte Zweifel an die Existenz
einer Gottheit verursachen. Alles Unheil in seinem Vaterlande, den wahnwitzig
wütenden Nihilismus, die verbrecherische Zerstörungswut, die von ihm ausgeht,
führt Dostojewsky auf deu Mangel an Gottesglauben zurück. In der dem Aus¬
bruche des Wahnsinns vorangehenden phantastischen Unterredung mit dem Teufel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/361>, abgerufen am 23.07.2024.