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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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F. M, Dostojowsky.

Damen des Hofes, in Gegenwart der zahlreichen Bevölkerung Sevillas von dem
Kardinal-Großinquisitor fast ein volles hundert von Ketzern ans einmal fiel
inxiM'sin. Dsi Aloriaw verbrannt worden war. Er erscheint leise, unmerklich,
und siehe da, alle -- merkwürdig ist es alle erkennen ihn. Mit unwider¬
stehlicher Gewalt drängt sich das Volk zu ihm, es umringt ihn, es sammelt
sich um ihn, es folgt ihm nach. Schweigend schreitet er durch die Menge mit
dem stillen Lächeln unendlichen Mitleides. Eine Sonne der Liebe brennt in
seinem Herzen, aus seinen Rügen brechen Strahlen des Lichtes, der Er¬
leuchtung und der Kraft, und auf die Menschen sich ergießend machen sie ihre
Herzen von Gegenliebe erbeben. Er streckt ihnen die Hände entgegnen, er
segnet sie, und von seiner Verührung, ja selbst von der Berührung seiner
Gewänder geht heilende Kraft aus. Christus macht einen blinden Greis sehend,
ein totes Kind erweckt er auf den flehenden Jammer der Mutter, Kinder streuen
Blumen auf seinen Weg, und das Volk singt ihm Hosiannah! In diesem
Augenblicke geht aus dem Platze an der Kathedrale (wo alles das sich ereignet)
der Kardinal-Großinquisitor vorüber. Es ist ein fast neunzigjähriger Greis, hoch
und aufrecht, mit verdorrtem Antlitze, mit eingefallenen Augen, aus denen aber
ein Glanz wie Feuerfunken leuchtet. O, er trägt nicht das prachtvolle Kardiuals-
gewand, in dem er gestern vor dem Volke geprunkt hat, als man die Feinde
des römischen Glaubens verbrannte, nein, in diesem Augenblicke trägt er nur
seine alte grobe Mönchskutte. Ihm folgen in gemessener Entfernung seiue
finsteren Gehilfen und Knechte und die "heilige" Wache. Er bleibt vor der
Menschenmenge stehen und beobachtet aus der Entfernung. Er sieht alles, er
sieht, wie man den Sarg zu seinen Füßen niederstellt, sieht, wie das Mädchen
aufersteht, und sein Gesicht verfinstert sich. Er runzelt die grauen, buschigen
Brauen, und seine Augen leuchten in boshaftem Feuer. Er streckt den Finger
aus und befiehlt den Wachen, Christus zu ergreifen. Und so groß ist seine Macht,
so dressirt, so unterwürfig, so zitternd gehorsam ist das Volk, daß der Haufe
sofort vor deu Wachen zurückweicht, und diese, inmitten der plötzlichen Grabes¬
stille, legen die Hand an ihn und führen ihn fort. Sogleich beugt die Menge,
wie ein Manu, vor dem alten Inquisitor die Köpfe zur Erde; dieser segnet
schweigend den Volkshaufen und schreitet weiter. Im Gefängnis, einem dunkeln,
engen Verließ, besucht er ihn in der stillen Nacht. Bist du es? spricht er ihn
an, und da er keine Antwort erhält, fügt er rasch hinzu: Antworte nicht,
schweige! Und was könntest dn auch sagen? Ich weiß es nur zu gut, was
du sagen würdest. Du hast nicht einmal ein Recht, irgend etwas dem hinzu¬
zufügen, was du früher gesagt hast. Warum bist du gekommen, uns zu stören?
Denn uus zu stören bist du gekommen, und du weißt das selbst. Weißt du
aber, was morgen geschehen wird? Ich weiß nicht, wer du bist, und will es
nicht wissen, ob du es bist oder mir sein Ebenbild, aber morgen werde ich dich
richten und dich ans dem Scheiterhaufen wie den schlimmsten aller Ketzer ver-


F. M, Dostojowsky.

Damen des Hofes, in Gegenwart der zahlreichen Bevölkerung Sevillas von dem
Kardinal-Großinquisitor fast ein volles hundert von Ketzern ans einmal fiel
inxiM'sin. Dsi Aloriaw verbrannt worden war. Er erscheint leise, unmerklich,
und siehe da, alle — merkwürdig ist es alle erkennen ihn. Mit unwider¬
stehlicher Gewalt drängt sich das Volk zu ihm, es umringt ihn, es sammelt
sich um ihn, es folgt ihm nach. Schweigend schreitet er durch die Menge mit
dem stillen Lächeln unendlichen Mitleides. Eine Sonne der Liebe brennt in
seinem Herzen, aus seinen Rügen brechen Strahlen des Lichtes, der Er¬
leuchtung und der Kraft, und auf die Menschen sich ergießend machen sie ihre
Herzen von Gegenliebe erbeben. Er streckt ihnen die Hände entgegnen, er
segnet sie, und von seiner Verührung, ja selbst von der Berührung seiner
Gewänder geht heilende Kraft aus. Christus macht einen blinden Greis sehend,
ein totes Kind erweckt er auf den flehenden Jammer der Mutter, Kinder streuen
Blumen auf seinen Weg, und das Volk singt ihm Hosiannah! In diesem
Augenblicke geht aus dem Platze an der Kathedrale (wo alles das sich ereignet)
der Kardinal-Großinquisitor vorüber. Es ist ein fast neunzigjähriger Greis, hoch
und aufrecht, mit verdorrtem Antlitze, mit eingefallenen Augen, aus denen aber
ein Glanz wie Feuerfunken leuchtet. O, er trägt nicht das prachtvolle Kardiuals-
gewand, in dem er gestern vor dem Volke geprunkt hat, als man die Feinde
des römischen Glaubens verbrannte, nein, in diesem Augenblicke trägt er nur
seine alte grobe Mönchskutte. Ihm folgen in gemessener Entfernung seiue
finsteren Gehilfen und Knechte und die „heilige" Wache. Er bleibt vor der
Menschenmenge stehen und beobachtet aus der Entfernung. Er sieht alles, er
sieht, wie man den Sarg zu seinen Füßen niederstellt, sieht, wie das Mädchen
aufersteht, und sein Gesicht verfinstert sich. Er runzelt die grauen, buschigen
Brauen, und seine Augen leuchten in boshaftem Feuer. Er streckt den Finger
aus und befiehlt den Wachen, Christus zu ergreifen. Und so groß ist seine Macht,
so dressirt, so unterwürfig, so zitternd gehorsam ist das Volk, daß der Haufe
sofort vor deu Wachen zurückweicht, und diese, inmitten der plötzlichen Grabes¬
stille, legen die Hand an ihn und führen ihn fort. Sogleich beugt die Menge,
wie ein Manu, vor dem alten Inquisitor die Köpfe zur Erde; dieser segnet
schweigend den Volkshaufen und schreitet weiter. Im Gefängnis, einem dunkeln,
engen Verließ, besucht er ihn in der stillen Nacht. Bist du es? spricht er ihn
an, und da er keine Antwort erhält, fügt er rasch hinzu: Antworte nicht,
schweige! Und was könntest dn auch sagen? Ich weiß es nur zu gut, was
du sagen würdest. Du hast nicht einmal ein Recht, irgend etwas dem hinzu¬
zufügen, was du früher gesagt hast. Warum bist du gekommen, uns zu stören?
Denn uus zu stören bist du gekommen, und du weißt das selbst. Weißt du
aber, was morgen geschehen wird? Ich weiß nicht, wer du bist, und will es
nicht wissen, ob du es bist oder mir sein Ebenbild, aber morgen werde ich dich
richten und dich ans dem Scheiterhaufen wie den schlimmsten aller Ketzer ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/360>, abgerufen am 23.07.2024.