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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Vie Stellung der Polizei im Strafverfahren.

kann dieser seinem eignen Untergebenen nicht den "Auftrag" zur Vornahme der
Durchsuchung oder Beschlagnahme erteilen, sondern er muß ihn darum "er¬
suchen," und wenn dieser aus irgend einem Grunde Bedenken gegen die Vor¬
nahme hat, so kann er ihn nicht dazu zwingen, sondern kann sich nur an die
Staatsanwaltschaft wenden und diese ersuchen, seinem Untergebenen das zu
befehlen, was er für nötig hält, wenn er es nicht, wie wahrscheinlich, vorziehen
wird, die ganze Sache der Staatsanwaltschaft zur weiteren Betreibung zu über¬
senden. Daß aber durch einen solchen notwendigen Wechsel in den handelnden
Personen viel Zeit, oft die beste Zeit verloren geht, liegt ans der Hand.

Nach Z 153 des GerichtSverfassungsgesctzes sind sodann die als Hilfs-
beamten der Staatsanwaltschaft bezeichneten Polizeibeamten "in dieser Eigen¬
schaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte Folge zu leisten," und
die Begründung dazu erklärt! "Es ergiebt sich von selbst, daß die betreffenden
Staatsanwälte jene ihnen untergeordneten Beamten durch Exekutivstrafen zur
prompter Erledigung der erteilten Aufträge anhalten können." Was ist nun
unter diesen mit Disziplinarstrafen zu erzwingenden Aufträgen zu verstehen?
Beziehen sich dieselben nur auf die ordnungsmäßige Ausführung der über¬
tragenen Ermittlungen oder auf die Dienstführung überhaupt? Ist der Staats¬
anwalt nicht infolge davon in der Lage, seinem Hilfsbeamten aufzugeben, alle
Vernehmungen auf dem Bureau der Staatsanwaltschaft zu bewirken, dort täglich
einige Stunden zuzubringen? Kann er ihn nicht jederzeit plötzlich aus der
Thätigkeit in seinem Hauptamte auf eine für dies letztere sehr störende Weise
heransbcfehlen? Der Stciatsnuwalt wird und muß von diesen ihm erteilten
Rechten jeden ihm nötig oder auch nur nützlich scheinenden Gebrauch machen,
der Polizeidienst aber kommt dabei auf das entschiedenste zu kurz. Wenn nun
beide Vorgesetzte dem "Hilfsbeamten," der Staatsanwalt und der Polizeichef,
diesem gleichzeitig Aufträge erteilen, wessen Auftrag geht vor? Welche Behörde
entscheidet Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft,
die beide zwei ganz verschiedenen Ressorts angehören? Lauter gewichtige Fragen.
Im Zweifel aber wird bei deren Beantwortung stets die Polizei zu kurz kommen;
denn die ganze fragliche Organisation ist ja nur zu dem Zwecke eingeführt, um
der Polizei "einen gesetzlichen Halt zu geben," es wird also im Zweifel stets
die Vermutung gegen die Polizei sprechen.

Neben diesen formellen Mängeln der jetzigen Regelung des Verhältnisses
zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft treten aber auch sehr wichtige mate¬
rielle Bedenken zu tage. Wie die Versäumnis der kostbarsten Zeit dadurch ein¬
treten kann, daß der dirigirende Polizeibeamte nicht alsbald den "Hilfsbeamten"
zur Hand hatte oder nicht voraussetzen konnte, daß es sich um eine Beschlag¬
nahme oder Durchsuchung handeln würde, ebenso trifft dies zu, wenn ein nicht
zum Hilfsbeamten ernannter Polizeibeamter bei selbständig angestellten Er¬
mittlungen die Spuren eines Verbrechens, eines Diebstahls, eines Mordes findet.


Vie Stellung der Polizei im Strafverfahren.

kann dieser seinem eignen Untergebenen nicht den „Auftrag" zur Vornahme der
Durchsuchung oder Beschlagnahme erteilen, sondern er muß ihn darum „er¬
suchen," und wenn dieser aus irgend einem Grunde Bedenken gegen die Vor¬
nahme hat, so kann er ihn nicht dazu zwingen, sondern kann sich nur an die
Staatsanwaltschaft wenden und diese ersuchen, seinem Untergebenen das zu
befehlen, was er für nötig hält, wenn er es nicht, wie wahrscheinlich, vorziehen
wird, die ganze Sache der Staatsanwaltschaft zur weiteren Betreibung zu über¬
senden. Daß aber durch einen solchen notwendigen Wechsel in den handelnden
Personen viel Zeit, oft die beste Zeit verloren geht, liegt ans der Hand.

Nach Z 153 des GerichtSverfassungsgesctzes sind sodann die als Hilfs-
beamten der Staatsanwaltschaft bezeichneten Polizeibeamten „in dieser Eigen¬
schaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte Folge zu leisten," und
die Begründung dazu erklärt! „Es ergiebt sich von selbst, daß die betreffenden
Staatsanwälte jene ihnen untergeordneten Beamten durch Exekutivstrafen zur
prompter Erledigung der erteilten Aufträge anhalten können." Was ist nun
unter diesen mit Disziplinarstrafen zu erzwingenden Aufträgen zu verstehen?
Beziehen sich dieselben nur auf die ordnungsmäßige Ausführung der über¬
tragenen Ermittlungen oder auf die Dienstführung überhaupt? Ist der Staats¬
anwalt nicht infolge davon in der Lage, seinem Hilfsbeamten aufzugeben, alle
Vernehmungen auf dem Bureau der Staatsanwaltschaft zu bewirken, dort täglich
einige Stunden zuzubringen? Kann er ihn nicht jederzeit plötzlich aus der
Thätigkeit in seinem Hauptamte auf eine für dies letztere sehr störende Weise
heransbcfehlen? Der Stciatsnuwalt wird und muß von diesen ihm erteilten
Rechten jeden ihm nötig oder auch nur nützlich scheinenden Gebrauch machen,
der Polizeidienst aber kommt dabei auf das entschiedenste zu kurz. Wenn nun
beide Vorgesetzte dem „Hilfsbeamten," der Staatsanwalt und der Polizeichef,
diesem gleichzeitig Aufträge erteilen, wessen Auftrag geht vor? Welche Behörde
entscheidet Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft,
die beide zwei ganz verschiedenen Ressorts angehören? Lauter gewichtige Fragen.
Im Zweifel aber wird bei deren Beantwortung stets die Polizei zu kurz kommen;
denn die ganze fragliche Organisation ist ja nur zu dem Zwecke eingeführt, um
der Polizei „einen gesetzlichen Halt zu geben," es wird also im Zweifel stets
die Vermutung gegen die Polizei sprechen.

Neben diesen formellen Mängeln der jetzigen Regelung des Verhältnisses
zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft treten aber auch sehr wichtige mate¬
rielle Bedenken zu tage. Wie die Versäumnis der kostbarsten Zeit dadurch ein¬
treten kann, daß der dirigirende Polizeibeamte nicht alsbald den „Hilfsbeamten"
zur Hand hatte oder nicht voraussetzen konnte, daß es sich um eine Beschlag¬
nahme oder Durchsuchung handeln würde, ebenso trifft dies zu, wenn ein nicht
zum Hilfsbeamten ernannter Polizeibeamter bei selbständig angestellten Er¬
mittlungen die Spuren eines Verbrechens, eines Diebstahls, eines Mordes findet.


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[0342] Vie Stellung der Polizei im Strafverfahren. kann dieser seinem eignen Untergebenen nicht den „Auftrag" zur Vornahme der Durchsuchung oder Beschlagnahme erteilen, sondern er muß ihn darum „er¬ suchen," und wenn dieser aus irgend einem Grunde Bedenken gegen die Vor¬ nahme hat, so kann er ihn nicht dazu zwingen, sondern kann sich nur an die Staatsanwaltschaft wenden und diese ersuchen, seinem Untergebenen das zu befehlen, was er für nötig hält, wenn er es nicht, wie wahrscheinlich, vorziehen wird, die ganze Sache der Staatsanwaltschaft zur weiteren Betreibung zu über¬ senden. Daß aber durch einen solchen notwendigen Wechsel in den handelnden Personen viel Zeit, oft die beste Zeit verloren geht, liegt ans der Hand. Nach Z 153 des GerichtSverfassungsgesctzes sind sodann die als Hilfs- beamten der Staatsanwaltschaft bezeichneten Polizeibeamten „in dieser Eigen¬ schaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte Folge zu leisten," und die Begründung dazu erklärt! „Es ergiebt sich von selbst, daß die betreffenden Staatsanwälte jene ihnen untergeordneten Beamten durch Exekutivstrafen zur prompter Erledigung der erteilten Aufträge anhalten können." Was ist nun unter diesen mit Disziplinarstrafen zu erzwingenden Aufträgen zu verstehen? Beziehen sich dieselben nur auf die ordnungsmäßige Ausführung der über¬ tragenen Ermittlungen oder auf die Dienstführung überhaupt? Ist der Staats¬ anwalt nicht infolge davon in der Lage, seinem Hilfsbeamten aufzugeben, alle Vernehmungen auf dem Bureau der Staatsanwaltschaft zu bewirken, dort täglich einige Stunden zuzubringen? Kann er ihn nicht jederzeit plötzlich aus der Thätigkeit in seinem Hauptamte auf eine für dies letztere sehr störende Weise heransbcfehlen? Der Stciatsnuwalt wird und muß von diesen ihm erteilten Rechten jeden ihm nötig oder auch nur nützlich scheinenden Gebrauch machen, der Polizeidienst aber kommt dabei auf das entschiedenste zu kurz. Wenn nun beide Vorgesetzte dem „Hilfsbeamten," der Staatsanwalt und der Polizeichef, diesem gleichzeitig Aufträge erteilen, wessen Auftrag geht vor? Welche Behörde entscheidet Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, die beide zwei ganz verschiedenen Ressorts angehören? Lauter gewichtige Fragen. Im Zweifel aber wird bei deren Beantwortung stets die Polizei zu kurz kommen; denn die ganze fragliche Organisation ist ja nur zu dem Zwecke eingeführt, um der Polizei „einen gesetzlichen Halt zu geben," es wird also im Zweifel stets die Vermutung gegen die Polizei sprechen. Neben diesen formellen Mängeln der jetzigen Regelung des Verhältnisses zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft treten aber auch sehr wichtige mate¬ rielle Bedenken zu tage. Wie die Versäumnis der kostbarsten Zeit dadurch ein¬ treten kann, daß der dirigirende Polizeibeamte nicht alsbald den „Hilfsbeamten" zur Hand hatte oder nicht voraussetzen konnte, daß es sich um eine Beschlag¬ nahme oder Durchsuchung handeln würde, ebenso trifft dies zu, wenn ein nicht zum Hilfsbeamten ernannter Polizeibeamter bei selbständig angestellten Er¬ mittlungen die Spuren eines Verbrechens, eines Diebstahls, eines Mordes findet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/342>, abgerufen am 23.07.2024.