Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Die Kommilitonen. in dem erleuchteten Gasthause den funfzigjährigen Segen ihrer so hochgefeierten Niemand erkannte den einsam Dahinstürmenden, obwohl viele darunter Abscheuliche Gesellschaft! rumorte es in ihm. Ich war breit und schwäch¬ Damit war er an die Quermauer einer Sackgasse geraten. Unsinn! stieß Während solche feindliche Absonderung von den Kommilitonen ihn hinaus¬ Pipin, Ratz. Mirbl und besonders Genserich besprachen, auf welche Weise Die Kommilitonen. in dem erleuchteten Gasthause den funfzigjährigen Segen ihrer so hochgefeierten Niemand erkannte den einsam Dahinstürmenden, obwohl viele darunter Abscheuliche Gesellschaft! rumorte es in ihm. Ich war breit und schwäch¬ Damit war er an die Quermauer einer Sackgasse geraten. Unsinn! stieß Während solche feindliche Absonderung von den Kommilitonen ihn hinaus¬ Pipin, Ratz. Mirbl und besonders Genserich besprachen, auf welche Weise <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195003"/> <fw type="header" place="top"> Die Kommilitonen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1144" prev="#ID_1143"> in dem erleuchteten Gasthause den funfzigjährigen Segen ihrer so hochgefeierten<lb/> Schulanstalt prangen sahen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1145"> Niemand erkannte den einsam Dahinstürmenden, obwohl viele darunter<lb/> waren, die ihn als Jüngling lieb gehabt hatten. Er selbst mied jedes Begegnen<lb/> und schlug sich seitwärts in ein ihm unbekanntes Stadtviertel, ein durch Gewerb-<lb/> fleiß schnell aus dem Boden gewachsenes Varakengewirr. Fabrikgebäude mit<lb/> turmhohen Schornsteinen ragten hier empor; es rauchte, sauchte und klapperte.<lb/> Ein verdüsterter Menschenschlag arbeitete hier, rußige, bestaubte Leute, denen<lb/> man den Tag zum Mitgenusse dieses Friedensfestcs nicht freigegeben hatte aus<lb/> Furcht vor Störungen, die bei andern Feierlichkeiten durch sie entstanden waren.<lb/> Der „blasse Heinrich" schenkte diesen Bildern keine Aufmerksamkeit, seine Ge¬<lb/> danken hafteten an dem eben mit den Kommilitonen erlebten Auftritte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1146"> Abscheuliche Gesellschaft! rumorte es in ihm. Ich war breit und schwäch¬<lb/> lich, ich mußte ihnen kurz den Rücken kehren oder sie vor die Klinge fordern!<lb/> Der Cohn soll mirs ausrichten, virilia will ich sie vornehmen. Dabei machte<lb/> er mit dem Handgelenk die Bewegung eines Tiesquarthicbes und zog eine steile<lb/> Terz nach. Aber, fuhr er fort, sind das Paukanten für mich? Kautschuk, dieser<lb/> abgesetzte Ministeriale mit seiner Bürecmpagode? Oder Ratz mit seinem blöden<lb/> Haha? Oder der geschminkte Pipin? Schöne Kullissenfechterei mag er Pariren!<lb/> Oder der ruinirte Mirbl? Genserich ist noch der einzige Mann! Mit dem<lb/> möchte ich — die Klinge kreuzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1147"> Damit war er an die Quermauer einer Sackgasse geraten. Unsinn! stieß<lb/> er hervor, findet man sich in diesem neuen Gassengewirr nicht zurecht? Er tastete<lb/> im Schatten seitswärts, erreichte eine Quergasse und noch eine, an deren Ende<lb/> mvndbeschicnenes Gebiet sich ausbreitete. Nach dem Auenwege strebte er, der<lb/> außerhalb der Stadt im Bogen zu den stillen Arkaden führte, der alten Kloster-<lb/> tcrrasse des Gymnasiums. Dort wollte er den übernommenen Abeudvortrag<lb/> in Ruhe überlegen. Es war ihm ein störender Gedanke, daß er sich vor diese<lb/> Schulgenossen hinstellen, vor sie seine Geistesarbeit bringen sollte. Vielleicht<lb/> und hoffentlich haben sie ein gleichartiges Empfinden, dachte er, und fahren<lb/> spornstreichs mit dem Abeudzuge ab — ich darfs leider nicht — oder sie bleiben<lb/> weg aus der Aula.</p><lb/> <p xml:id="ID_1148"> Während solche feindliche Absonderung von den Kommilitonen ihn hinaus¬<lb/> trieb, sammelten sich diese, wenigstens die zurückgebliebenen vier, in entgegenge¬<lb/> setzter Richtung. Die beiden Damen hatten — Barbara mit einem flehenden<lb/> Blick auf ihren Vater — das Herrenzimmer wieder verlassen, in welchem ihre<lb/> Anwesenheit störte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1149" next="#ID_1150"> Pipin, Ratz. Mirbl und besonders Genserich besprachen, auf welche Weise<lb/> der eben erfolgte Zusammenstoß gemildert und etwaige unliebsame Folgen ver¬<lb/> mieden werden könnten. Sie wollten zunächst dem Verletzten gut freundschaftlich<lb/> entgegenkommen, vor allem sollte Kautschuk, der das Mißverständnis verschuldet</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0327]
Die Kommilitonen.
in dem erleuchteten Gasthause den funfzigjährigen Segen ihrer so hochgefeierten
Schulanstalt prangen sahen.
Niemand erkannte den einsam Dahinstürmenden, obwohl viele darunter
waren, die ihn als Jüngling lieb gehabt hatten. Er selbst mied jedes Begegnen
und schlug sich seitwärts in ein ihm unbekanntes Stadtviertel, ein durch Gewerb-
fleiß schnell aus dem Boden gewachsenes Varakengewirr. Fabrikgebäude mit
turmhohen Schornsteinen ragten hier empor; es rauchte, sauchte und klapperte.
Ein verdüsterter Menschenschlag arbeitete hier, rußige, bestaubte Leute, denen
man den Tag zum Mitgenusse dieses Friedensfestcs nicht freigegeben hatte aus
Furcht vor Störungen, die bei andern Feierlichkeiten durch sie entstanden waren.
Der „blasse Heinrich" schenkte diesen Bildern keine Aufmerksamkeit, seine Ge¬
danken hafteten an dem eben mit den Kommilitonen erlebten Auftritte.
Abscheuliche Gesellschaft! rumorte es in ihm. Ich war breit und schwäch¬
lich, ich mußte ihnen kurz den Rücken kehren oder sie vor die Klinge fordern!
Der Cohn soll mirs ausrichten, virilia will ich sie vornehmen. Dabei machte
er mit dem Handgelenk die Bewegung eines Tiesquarthicbes und zog eine steile
Terz nach. Aber, fuhr er fort, sind das Paukanten für mich? Kautschuk, dieser
abgesetzte Ministeriale mit seiner Bürecmpagode? Oder Ratz mit seinem blöden
Haha? Oder der geschminkte Pipin? Schöne Kullissenfechterei mag er Pariren!
Oder der ruinirte Mirbl? Genserich ist noch der einzige Mann! Mit dem
möchte ich — die Klinge kreuzen.
Damit war er an die Quermauer einer Sackgasse geraten. Unsinn! stieß
er hervor, findet man sich in diesem neuen Gassengewirr nicht zurecht? Er tastete
im Schatten seitswärts, erreichte eine Quergasse und noch eine, an deren Ende
mvndbeschicnenes Gebiet sich ausbreitete. Nach dem Auenwege strebte er, der
außerhalb der Stadt im Bogen zu den stillen Arkaden führte, der alten Kloster-
tcrrasse des Gymnasiums. Dort wollte er den übernommenen Abeudvortrag
in Ruhe überlegen. Es war ihm ein störender Gedanke, daß er sich vor diese
Schulgenossen hinstellen, vor sie seine Geistesarbeit bringen sollte. Vielleicht
und hoffentlich haben sie ein gleichartiges Empfinden, dachte er, und fahren
spornstreichs mit dem Abeudzuge ab — ich darfs leider nicht — oder sie bleiben
weg aus der Aula.
Während solche feindliche Absonderung von den Kommilitonen ihn hinaus¬
trieb, sammelten sich diese, wenigstens die zurückgebliebenen vier, in entgegenge¬
setzter Richtung. Die beiden Damen hatten — Barbara mit einem flehenden
Blick auf ihren Vater — das Herrenzimmer wieder verlassen, in welchem ihre
Anwesenheit störte.
Pipin, Ratz. Mirbl und besonders Genserich besprachen, auf welche Weise
der eben erfolgte Zusammenstoß gemildert und etwaige unliebsame Folgen ver¬
mieden werden könnten. Sie wollten zunächst dem Verletzten gut freundschaftlich
entgegenkommen, vor allem sollte Kautschuk, der das Mißverständnis verschuldet
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