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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus der französischen Revolution.

und die Bestimmung eines Maximums für die Lebensmittel veranlaßte den Land¬
mann nicht mehr zu bauen, daher Not und Elend überall, und trotz dieses
jammervollen Lebens die stete Furcht vor Kerker und Tod.

Der Sturz Robespierres und seiner Anhänger am 9. Thermidor hatte nur
das Land von seinem schwersten Drucke befreit. Zwar hatten sich in der ersten
Zeit die gemäßigten Elemente wieder geregt, allein die Minorität, deren Leben
auf dem Spiele stand, wenn sie die Herrschaft verlor, verstand es, dieselbe all¬
mählich wieder an sich zu reißen, und die Diktatur des Direktoriums unterschied
sich von der der Schreckensmänner lediglich dnrch die Mittel, die Ziele waren
dieselben geblieben, nur die Männer, nicht das philosophische Regierungssystem,
wcireu andre geworden. Statt des blutigen Todes durch die Maschine Samsons
bedienten sich die Direktoren des trockenen "nach Caserne," und statt direkt
ihre Gegner zu töten, ließen sie dieselben sterben. Wurde auch das Leben, weil
die Guillotine nicht mehr so unmittelbar drohte, wieder lustiger und umso
ausgelassener, jemehr die Schreckenszeit alle Sinne gelähmt hatte -- die Grund¬
sätze der Negierung blieben dieselben: Vernichtung der persönlichen Freiheit,
Konfiskation der Vermögen, Verbannung, Bankerott der Staatsfinanzen und
Hungersnot. Die Regierung konnte sich nnr dadurch halten, daß sie die Kriege
mit dem Auslande in die Länge zog und gegen das öffentliche Interesse des
Landes jeden Friedensschluß ablehnte. Die .Kontributionen und Plünderungen,
die im Inlande fast erschöpft waren, mußten im Auslande den Direktoren die
Beute liefern, die sich in drei Jahren auf zwei Milliarden belief, abgesehen
von den Kostbarkeiten und Schätzen, die von allen Seiten zusammengerafft
wurden. Im Gegensatz zu der Zerrüttung im Innern zeigten nach außen die
Armeen Fortschritte über Fortschritte, die Anarchie konnte der Disziplin keinen
Widerstand leisten, und im Heer galt nicht das Prinzip der Losreißung der
Individuen von einander, sondern das ihrer Vereinigung. Siegreiche Feldherren
beginnen in der Mitte ihrer Armeen Einfluß und Anhang zu gewinnen; das
Direktorium selbst hat schon mit Hilfe Angereans seinen Staatsstreich vollenden
müssen -- das war der Weg, der dem siegreichsten der Heerführer gezeigt
wurde. Bonaparte giebt Frankreich die Zivilisation wieder und wird von dem
Lande als sein Befreier, sein Schutzherr, sein Wiederhersteller begrüßt. Sein
Regiment bezeichnet nach seinen eignen Worten die Vereinigung der Philosophie
mit dem Säbel. Die Philosophie im Sinne jener Epoche war die abstrakt¬
logische Staatskonstrnktivn nach allgemeinen Grundsätzen; sie führt zur Anarchie
oder zum Despotismus; der Herr der französischen Nation wählte den letztern,
um der erstem ein Ende zu machen. Mit dem Säbel in der Faust baut er
das Staatsgebäude nach einem bestimmten Plane -- aber es ist der Plan einer
Kaserne. Es ist ein Bau von Schönheit und Symmetrie, mit schöner Fassade
und für den gemeinen Verstand auch bequem und wohnlich, angemessen für den
beschränkten Egoismus, gut eingerichtet, um die niedern und durchschnittlichen


Aus der französischen Revolution.

und die Bestimmung eines Maximums für die Lebensmittel veranlaßte den Land¬
mann nicht mehr zu bauen, daher Not und Elend überall, und trotz dieses
jammervollen Lebens die stete Furcht vor Kerker und Tod.

Der Sturz Robespierres und seiner Anhänger am 9. Thermidor hatte nur
das Land von seinem schwersten Drucke befreit. Zwar hatten sich in der ersten
Zeit die gemäßigten Elemente wieder geregt, allein die Minorität, deren Leben
auf dem Spiele stand, wenn sie die Herrschaft verlor, verstand es, dieselbe all¬
mählich wieder an sich zu reißen, und die Diktatur des Direktoriums unterschied
sich von der der Schreckensmänner lediglich dnrch die Mittel, die Ziele waren
dieselben geblieben, nur die Männer, nicht das philosophische Regierungssystem,
wcireu andre geworden. Statt des blutigen Todes durch die Maschine Samsons
bedienten sich die Direktoren des trockenen „nach Caserne," und statt direkt
ihre Gegner zu töten, ließen sie dieselben sterben. Wurde auch das Leben, weil
die Guillotine nicht mehr so unmittelbar drohte, wieder lustiger und umso
ausgelassener, jemehr die Schreckenszeit alle Sinne gelähmt hatte — die Grund¬
sätze der Negierung blieben dieselben: Vernichtung der persönlichen Freiheit,
Konfiskation der Vermögen, Verbannung, Bankerott der Staatsfinanzen und
Hungersnot. Die Regierung konnte sich nnr dadurch halten, daß sie die Kriege
mit dem Auslande in die Länge zog und gegen das öffentliche Interesse des
Landes jeden Friedensschluß ablehnte. Die .Kontributionen und Plünderungen,
die im Inlande fast erschöpft waren, mußten im Auslande den Direktoren die
Beute liefern, die sich in drei Jahren auf zwei Milliarden belief, abgesehen
von den Kostbarkeiten und Schätzen, die von allen Seiten zusammengerafft
wurden. Im Gegensatz zu der Zerrüttung im Innern zeigten nach außen die
Armeen Fortschritte über Fortschritte, die Anarchie konnte der Disziplin keinen
Widerstand leisten, und im Heer galt nicht das Prinzip der Losreißung der
Individuen von einander, sondern das ihrer Vereinigung. Siegreiche Feldherren
beginnen in der Mitte ihrer Armeen Einfluß und Anhang zu gewinnen; das
Direktorium selbst hat schon mit Hilfe Angereans seinen Staatsstreich vollenden
müssen — das war der Weg, der dem siegreichsten der Heerführer gezeigt
wurde. Bonaparte giebt Frankreich die Zivilisation wieder und wird von dem
Lande als sein Befreier, sein Schutzherr, sein Wiederhersteller begrüßt. Sein
Regiment bezeichnet nach seinen eignen Worten die Vereinigung der Philosophie
mit dem Säbel. Die Philosophie im Sinne jener Epoche war die abstrakt¬
logische Staatskonstrnktivn nach allgemeinen Grundsätzen; sie führt zur Anarchie
oder zum Despotismus; der Herr der französischen Nation wählte den letztern,
um der erstem ein Ende zu machen. Mit dem Säbel in der Faust baut er
das Staatsgebäude nach einem bestimmten Plane — aber es ist der Plan einer
Kaserne. Es ist ein Bau von Schönheit und Symmetrie, mit schöner Fassade
und für den gemeinen Verstand auch bequem und wohnlich, angemessen für den
beschränkten Egoismus, gut eingerichtet, um die niedern und durchschnittlichen


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[0031] Aus der französischen Revolution. und die Bestimmung eines Maximums für die Lebensmittel veranlaßte den Land¬ mann nicht mehr zu bauen, daher Not und Elend überall, und trotz dieses jammervollen Lebens die stete Furcht vor Kerker und Tod. Der Sturz Robespierres und seiner Anhänger am 9. Thermidor hatte nur das Land von seinem schwersten Drucke befreit. Zwar hatten sich in der ersten Zeit die gemäßigten Elemente wieder geregt, allein die Minorität, deren Leben auf dem Spiele stand, wenn sie die Herrschaft verlor, verstand es, dieselbe all¬ mählich wieder an sich zu reißen, und die Diktatur des Direktoriums unterschied sich von der der Schreckensmänner lediglich dnrch die Mittel, die Ziele waren dieselben geblieben, nur die Männer, nicht das philosophische Regierungssystem, wcireu andre geworden. Statt des blutigen Todes durch die Maschine Samsons bedienten sich die Direktoren des trockenen „nach Caserne," und statt direkt ihre Gegner zu töten, ließen sie dieselben sterben. Wurde auch das Leben, weil die Guillotine nicht mehr so unmittelbar drohte, wieder lustiger und umso ausgelassener, jemehr die Schreckenszeit alle Sinne gelähmt hatte — die Grund¬ sätze der Negierung blieben dieselben: Vernichtung der persönlichen Freiheit, Konfiskation der Vermögen, Verbannung, Bankerott der Staatsfinanzen und Hungersnot. Die Regierung konnte sich nnr dadurch halten, daß sie die Kriege mit dem Auslande in die Länge zog und gegen das öffentliche Interesse des Landes jeden Friedensschluß ablehnte. Die .Kontributionen und Plünderungen, die im Inlande fast erschöpft waren, mußten im Auslande den Direktoren die Beute liefern, die sich in drei Jahren auf zwei Milliarden belief, abgesehen von den Kostbarkeiten und Schätzen, die von allen Seiten zusammengerafft wurden. Im Gegensatz zu der Zerrüttung im Innern zeigten nach außen die Armeen Fortschritte über Fortschritte, die Anarchie konnte der Disziplin keinen Widerstand leisten, und im Heer galt nicht das Prinzip der Losreißung der Individuen von einander, sondern das ihrer Vereinigung. Siegreiche Feldherren beginnen in der Mitte ihrer Armeen Einfluß und Anhang zu gewinnen; das Direktorium selbst hat schon mit Hilfe Angereans seinen Staatsstreich vollenden müssen — das war der Weg, der dem siegreichsten der Heerführer gezeigt wurde. Bonaparte giebt Frankreich die Zivilisation wieder und wird von dem Lande als sein Befreier, sein Schutzherr, sein Wiederhersteller begrüßt. Sein Regiment bezeichnet nach seinen eignen Worten die Vereinigung der Philosophie mit dem Säbel. Die Philosophie im Sinne jener Epoche war die abstrakt¬ logische Staatskonstrnktivn nach allgemeinen Grundsätzen; sie führt zur Anarchie oder zum Despotismus; der Herr der französischen Nation wählte den letztern, um der erstem ein Ende zu machen. Mit dem Säbel in der Faust baut er das Staatsgebäude nach einem bestimmten Plane — aber es ist der Plan einer Kaserne. Es ist ein Bau von Schönheit und Symmetrie, mit schöner Fassade und für den gemeinen Verstand auch bequem und wohnlich, angemessen für den beschränkten Egoismus, gut eingerichtet, um die niedern und durchschnittlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/31>, abgerufen am 22.07.2024.