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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Tageblatt" und die "Deutsche Zeitung" -- seit Jahr und Tag mit mehr oder
weniger Konsequenz, Geschick und Beredsamkeit verfolgen. Nun aber nahm er
auf einmal für Maaßen Partei, der als Rektor der Universität Wien sich nicht
gescheut hatte, im Landtage für die Errichtung einer tschechischen Schule in
Wien einzutreten, der schon lange klerikale Anwandlungen zur Seba" getragen
hatte und überhaupt niemals ein Anhänger des landläufigen deutschen Libe¬
ralismus war. Kein Wunder, daß sich da die Einen vor Erstaunen nicht zu
fassen wußten, die Parteipresse mit gut gespielter sittlicher Entrüstung über
einen solchen Gesinnungswechsel aburteilte, die Organe der Regierung aber
sofort ihren Vorteil wahrnahmen und Lorenz als den Ihrigen reklamirten.
Und doch war er damit so wenig dieser geworden, als er jemals ganz jener
gewesen war. Er hatte selbst die Adresse unterschrieben, in der die Professoren
sich mit Maaßen nicht einverstanden erklärt hatten, nun aber gestand er vor
den Studenten ein, dies sei ein Fehler gewesen, er hätte von dem Manne, mit
dem er jahrelang in Freundschaft verbunden gelebt hatte, sich in einem so be¬
deutenden Moment nicht trennen sollen, denn es wäre doch schlimm, wenn der
mutige Ausdruck innerer Überzeugung jemals verpönt würde. Jetzt, wo Maaßen
um eines solchen Ausdrucks willen von einer unreifen und mißleiteten Jugend
verhöhnt und beleidigt werde, da könne er nicht länger schweigen.

Damit hatte nun Lorenz freilich nichts andres gethan, als daß er mit an¬
erkennenswerten Freimut und ohne Rücksicht auf seine Popularität für eine"
vielgeschmähten Freund eingetreten war, über das Meritorische ^? D. Red.^j der
Angelegenheit hatte er sich nicht geäußert. Doch genügte dies den Fanatikern der
liberalen Partei, es entspann sich bald ein lebhaftes Für und Wider, und
schließlich vernahm man doch auch Worte von Lorenz, die keinen Zweifel darüber
ließen, daß ihm diese Partei und ihre Bestrebungen unendlich wenig bedeuteten.
Dies legte er im Laufe des Jahres auch dadurch in ganz unzweideutiger Weise
dar, daß er, der bisherige Mitarbeiter der "Neuen Freien Presse," nun in den
Spalten der regierungsfreundlichen alten "Presse" erschien. Im Juni veröffentlichte
er nämlich darin zwei Aufsätze über Oskar Medings "Memoiren für Zeitgeschichte."
Obwohl er in diesen der Vorfälle des Winters mit keiner Silbe gedenkt, wird
der aufmerksame Leser doch einige Nachklänge derselben herausfinden; so wenn
Lorenz von dem "tragischen Konflikte zwischen Nationalgefühl und legitimem
Rechtsbewußtsein" spricht, in dem aber "die Entscheidung so wenig zweifelhaft
sein könne, als zwischen einer leeren Phrase und einer vollen Mannespflicht."
Auch unterläßt er es nicht, hier gelegentlich anzudeuten, wie sehr er in der
Auffassung politischer Verhältnisse der Gegenwart ganz und gar von den land¬
läufigen Doktrinen abweiche, er betont, daß es da "auf die persönlichen Ge¬
sinnungen der Machthaber und nicht auf fadenscheinige Theorien" ankomme,
und bezeichnet es als einen der größten politischen und historischen Irrtümer
des vulgären Liberalismus, die streng dynastischen Fragen zu unterschätzen. Im


Unpolitische Briefe aus Wien.

Tageblatt" und die „Deutsche Zeitung" — seit Jahr und Tag mit mehr oder
weniger Konsequenz, Geschick und Beredsamkeit verfolgen. Nun aber nahm er
auf einmal für Maaßen Partei, der als Rektor der Universität Wien sich nicht
gescheut hatte, im Landtage für die Errichtung einer tschechischen Schule in
Wien einzutreten, der schon lange klerikale Anwandlungen zur Seba» getragen
hatte und überhaupt niemals ein Anhänger des landläufigen deutschen Libe¬
ralismus war. Kein Wunder, daß sich da die Einen vor Erstaunen nicht zu
fassen wußten, die Parteipresse mit gut gespielter sittlicher Entrüstung über
einen solchen Gesinnungswechsel aburteilte, die Organe der Regierung aber
sofort ihren Vorteil wahrnahmen und Lorenz als den Ihrigen reklamirten.
Und doch war er damit so wenig dieser geworden, als er jemals ganz jener
gewesen war. Er hatte selbst die Adresse unterschrieben, in der die Professoren
sich mit Maaßen nicht einverstanden erklärt hatten, nun aber gestand er vor
den Studenten ein, dies sei ein Fehler gewesen, er hätte von dem Manne, mit
dem er jahrelang in Freundschaft verbunden gelebt hatte, sich in einem so be¬
deutenden Moment nicht trennen sollen, denn es wäre doch schlimm, wenn der
mutige Ausdruck innerer Überzeugung jemals verpönt würde. Jetzt, wo Maaßen
um eines solchen Ausdrucks willen von einer unreifen und mißleiteten Jugend
verhöhnt und beleidigt werde, da könne er nicht länger schweigen.

Damit hatte nun Lorenz freilich nichts andres gethan, als daß er mit an¬
erkennenswerten Freimut und ohne Rücksicht auf seine Popularität für eine»
vielgeschmähten Freund eingetreten war, über das Meritorische ^? D. Red.^j der
Angelegenheit hatte er sich nicht geäußert. Doch genügte dies den Fanatikern der
liberalen Partei, es entspann sich bald ein lebhaftes Für und Wider, und
schließlich vernahm man doch auch Worte von Lorenz, die keinen Zweifel darüber
ließen, daß ihm diese Partei und ihre Bestrebungen unendlich wenig bedeuteten.
Dies legte er im Laufe des Jahres auch dadurch in ganz unzweideutiger Weise
dar, daß er, der bisherige Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse," nun in den
Spalten der regierungsfreundlichen alten „Presse" erschien. Im Juni veröffentlichte
er nämlich darin zwei Aufsätze über Oskar Medings „Memoiren für Zeitgeschichte."
Obwohl er in diesen der Vorfälle des Winters mit keiner Silbe gedenkt, wird
der aufmerksame Leser doch einige Nachklänge derselben herausfinden; so wenn
Lorenz von dem „tragischen Konflikte zwischen Nationalgefühl und legitimem
Rechtsbewußtsein" spricht, in dem aber „die Entscheidung so wenig zweifelhaft
sein könne, als zwischen einer leeren Phrase und einer vollen Mannespflicht."
Auch unterläßt er es nicht, hier gelegentlich anzudeuten, wie sehr er in der
Auffassung politischer Verhältnisse der Gegenwart ganz und gar von den land¬
läufigen Doktrinen abweiche, er betont, daß es da „auf die persönlichen Ge¬
sinnungen der Machthaber und nicht auf fadenscheinige Theorien" ankomme,
und bezeichnet es als einen der größten politischen und historischen Irrtümer
des vulgären Liberalismus, die streng dynastischen Fragen zu unterschätzen. Im


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[0306] Unpolitische Briefe aus Wien. Tageblatt" und die „Deutsche Zeitung" — seit Jahr und Tag mit mehr oder weniger Konsequenz, Geschick und Beredsamkeit verfolgen. Nun aber nahm er auf einmal für Maaßen Partei, der als Rektor der Universität Wien sich nicht gescheut hatte, im Landtage für die Errichtung einer tschechischen Schule in Wien einzutreten, der schon lange klerikale Anwandlungen zur Seba» getragen hatte und überhaupt niemals ein Anhänger des landläufigen deutschen Libe¬ ralismus war. Kein Wunder, daß sich da die Einen vor Erstaunen nicht zu fassen wußten, die Parteipresse mit gut gespielter sittlicher Entrüstung über einen solchen Gesinnungswechsel aburteilte, die Organe der Regierung aber sofort ihren Vorteil wahrnahmen und Lorenz als den Ihrigen reklamirten. Und doch war er damit so wenig dieser geworden, als er jemals ganz jener gewesen war. Er hatte selbst die Adresse unterschrieben, in der die Professoren sich mit Maaßen nicht einverstanden erklärt hatten, nun aber gestand er vor den Studenten ein, dies sei ein Fehler gewesen, er hätte von dem Manne, mit dem er jahrelang in Freundschaft verbunden gelebt hatte, sich in einem so be¬ deutenden Moment nicht trennen sollen, denn es wäre doch schlimm, wenn der mutige Ausdruck innerer Überzeugung jemals verpönt würde. Jetzt, wo Maaßen um eines solchen Ausdrucks willen von einer unreifen und mißleiteten Jugend verhöhnt und beleidigt werde, da könne er nicht länger schweigen. Damit hatte nun Lorenz freilich nichts andres gethan, als daß er mit an¬ erkennenswerten Freimut und ohne Rücksicht auf seine Popularität für eine» vielgeschmähten Freund eingetreten war, über das Meritorische ^? D. Red.^j der Angelegenheit hatte er sich nicht geäußert. Doch genügte dies den Fanatikern der liberalen Partei, es entspann sich bald ein lebhaftes Für und Wider, und schließlich vernahm man doch auch Worte von Lorenz, die keinen Zweifel darüber ließen, daß ihm diese Partei und ihre Bestrebungen unendlich wenig bedeuteten. Dies legte er im Laufe des Jahres auch dadurch in ganz unzweideutiger Weise dar, daß er, der bisherige Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse," nun in den Spalten der regierungsfreundlichen alten „Presse" erschien. Im Juni veröffentlichte er nämlich darin zwei Aufsätze über Oskar Medings „Memoiren für Zeitgeschichte." Obwohl er in diesen der Vorfälle des Winters mit keiner Silbe gedenkt, wird der aufmerksame Leser doch einige Nachklänge derselben herausfinden; so wenn Lorenz von dem „tragischen Konflikte zwischen Nationalgefühl und legitimem Rechtsbewußtsein" spricht, in dem aber „die Entscheidung so wenig zweifelhaft sein könne, als zwischen einer leeren Phrase und einer vollen Mannespflicht." Auch unterläßt er es nicht, hier gelegentlich anzudeuten, wie sehr er in der Auffassung politischer Verhältnisse der Gegenwart ganz und gar von den land¬ läufigen Doktrinen abweiche, er betont, daß es da „auf die persönlichen Ge¬ sinnungen der Machthaber und nicht auf fadenscheinige Theorien" ankomme, und bezeichnet es als einen der größten politischen und historischen Irrtümer des vulgären Liberalismus, die streng dynastischen Fragen zu unterschätzen. Im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/306>, abgerufen am 22.07.2024.