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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe an" Wien.

Viel von sich reden gemacht hat. Die Popularität bei den Studenten, die er bis
dahin in hohem Maße genoß, verlor er damals mit einem Schlage und von
den Blättern der Opposition wurde er als ein Abtrünniger verfehmt.

Lorenz ist im Jahre 1832 zu Iglau geboren und gehört seit 1856 unsrer
Universität als Lehrer an. Die erste historische Arbeit, die er veröffentlichte,
behandelt ein Thema der alten Geschichte. Sehr bald wandte er sich aber von
dem Studium des Altertums ab und den neueren Zeiten zu. Aufmerksamkeit
in weiteren Kreisen erregte er zuerst durch die Schrift "Josef II- und die bel¬
gische Revolution." Seine Unabhängigkeit, die sich durch kein Dogma, wie modern
es auch sein mag, beschränken läßt, tritt schon hier bedeutend hervor. Josef II.
war von der liberalen Partei in Österreich längst als eine Art Schutzheiliger
ausgerufen worden, und es war in ihren Augen Ketzerei, diesem großen Mon¬
archen nicht alle die Eigenschaften zuzuschreiben, die dem Ideal entsprachen,
welches sie sich einmal von dem Fürsten gebildet hatten. Nun kam Lorenz und
bewies, wie despotisch Josef wenigstens in einem Falle verfahren sei, ja er stand
nicht an, ihn mit Philipp II. zu vergleiche", indem er den Unterschied der
Mittel, welche die beiden gebrauchten, um ihre Ziele zu erreichen, nur auf Rech¬
nung der verschiedenen Zeitalter setzte. Aber noch mehr, Lorenz trat auch für
die vielgeschmähten österreichischen Aristokraten der josefinischen Zeit ein, die
sich nach der allgemeinen Ansicht den edeln Reformplänen des Kaisers so oft
hemmend entgegengestellt hatten. Er betonte, daß der österreichische Adel der
damaligen Zeit garnicht reformfeindlich, sondern im Gegenteil von den Ideen
der Zeit so gut erfüllt gewesen sei wie das Staatsoberhaupt selbst; nur habe
die Realisirung dieser Ideen nicht ohne sie geschehen sollen; sie wollten dabei
mitwirken, man sollte sich mit ihnen abfinden, nicht über sie, ihre Rechte und
Verdienste zur Tagesordnung übergehen.

Ein österreichischer Dichter, Alexander Gigl, dessen größter Schmerz es
gewesen ist, nicht in Wurzbachs Lexikon aufgenommen worden zu sein, und der
hie und da auch im historischen Fache dilettirte, veröffentlichte damals eine
Gegenschrift, die wenig Eindruck machte. Größeres Aufsehen erregte Michel
Etienne's, des verstorbenen Chefredakteurs der Neuen Freien Presse, fast leiden¬
schaftliche Zurechtweisung von Lorenz' Häresie gegenüber dem modernen liberalen
Dogma, und es dauerte mehrere Jahre, bis Lorenz sich wieder in ein leidliches Ver¬
hältnis zu dem tonangebenden Journal der Kaiserstadt gesetzt hatte. Dazu mochte
auch beitragen, daß er sich nach einem verunglückten Versuch, in Klosterneuburg
gewählt zu werden, von der Tagespolitik ganz zurückzog, es auch aufgab, in
Zeitungsblättern anderswo als "unterhalb des Striches" zu erscheinen. Die
Schriften aber, die er in den nächsten Jahren herausgab, und die Feuilletons,
die er schrieb, mochten durch ihren freimütiger Ton, in welchem er über Kaiser
und Könige, Päpste und Bischöfe sprach, die Männer des Tages immerhin
glauben mochten, daß er ganz und gar der ihrige sei, und so war die Episode


Unpolitische Briefe an» Wien.

Viel von sich reden gemacht hat. Die Popularität bei den Studenten, die er bis
dahin in hohem Maße genoß, verlor er damals mit einem Schlage und von
den Blättern der Opposition wurde er als ein Abtrünniger verfehmt.

Lorenz ist im Jahre 1832 zu Iglau geboren und gehört seit 1856 unsrer
Universität als Lehrer an. Die erste historische Arbeit, die er veröffentlichte,
behandelt ein Thema der alten Geschichte. Sehr bald wandte er sich aber von
dem Studium des Altertums ab und den neueren Zeiten zu. Aufmerksamkeit
in weiteren Kreisen erregte er zuerst durch die Schrift „Josef II- und die bel¬
gische Revolution." Seine Unabhängigkeit, die sich durch kein Dogma, wie modern
es auch sein mag, beschränken läßt, tritt schon hier bedeutend hervor. Josef II.
war von der liberalen Partei in Österreich längst als eine Art Schutzheiliger
ausgerufen worden, und es war in ihren Augen Ketzerei, diesem großen Mon¬
archen nicht alle die Eigenschaften zuzuschreiben, die dem Ideal entsprachen,
welches sie sich einmal von dem Fürsten gebildet hatten. Nun kam Lorenz und
bewies, wie despotisch Josef wenigstens in einem Falle verfahren sei, ja er stand
nicht an, ihn mit Philipp II. zu vergleiche», indem er den Unterschied der
Mittel, welche die beiden gebrauchten, um ihre Ziele zu erreichen, nur auf Rech¬
nung der verschiedenen Zeitalter setzte. Aber noch mehr, Lorenz trat auch für
die vielgeschmähten österreichischen Aristokraten der josefinischen Zeit ein, die
sich nach der allgemeinen Ansicht den edeln Reformplänen des Kaisers so oft
hemmend entgegengestellt hatten. Er betonte, daß der österreichische Adel der
damaligen Zeit garnicht reformfeindlich, sondern im Gegenteil von den Ideen
der Zeit so gut erfüllt gewesen sei wie das Staatsoberhaupt selbst; nur habe
die Realisirung dieser Ideen nicht ohne sie geschehen sollen; sie wollten dabei
mitwirken, man sollte sich mit ihnen abfinden, nicht über sie, ihre Rechte und
Verdienste zur Tagesordnung übergehen.

Ein österreichischer Dichter, Alexander Gigl, dessen größter Schmerz es
gewesen ist, nicht in Wurzbachs Lexikon aufgenommen worden zu sein, und der
hie und da auch im historischen Fache dilettirte, veröffentlichte damals eine
Gegenschrift, die wenig Eindruck machte. Größeres Aufsehen erregte Michel
Etienne's, des verstorbenen Chefredakteurs der Neuen Freien Presse, fast leiden¬
schaftliche Zurechtweisung von Lorenz' Häresie gegenüber dem modernen liberalen
Dogma, und es dauerte mehrere Jahre, bis Lorenz sich wieder in ein leidliches Ver¬
hältnis zu dem tonangebenden Journal der Kaiserstadt gesetzt hatte. Dazu mochte
auch beitragen, daß er sich nach einem verunglückten Versuch, in Klosterneuburg
gewählt zu werden, von der Tagespolitik ganz zurückzog, es auch aufgab, in
Zeitungsblättern anderswo als „unterhalb des Striches" zu erscheinen. Die
Schriften aber, die er in den nächsten Jahren herausgab, und die Feuilletons,
die er schrieb, mochten durch ihren freimütiger Ton, in welchem er über Kaiser
und Könige, Päpste und Bischöfe sprach, die Männer des Tages immerhin
glauben mochten, daß er ganz und gar der ihrige sei, und so war die Episode


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[0303] Unpolitische Briefe an» Wien. Viel von sich reden gemacht hat. Die Popularität bei den Studenten, die er bis dahin in hohem Maße genoß, verlor er damals mit einem Schlage und von den Blättern der Opposition wurde er als ein Abtrünniger verfehmt. Lorenz ist im Jahre 1832 zu Iglau geboren und gehört seit 1856 unsrer Universität als Lehrer an. Die erste historische Arbeit, die er veröffentlichte, behandelt ein Thema der alten Geschichte. Sehr bald wandte er sich aber von dem Studium des Altertums ab und den neueren Zeiten zu. Aufmerksamkeit in weiteren Kreisen erregte er zuerst durch die Schrift „Josef II- und die bel¬ gische Revolution." Seine Unabhängigkeit, die sich durch kein Dogma, wie modern es auch sein mag, beschränken läßt, tritt schon hier bedeutend hervor. Josef II. war von der liberalen Partei in Österreich längst als eine Art Schutzheiliger ausgerufen worden, und es war in ihren Augen Ketzerei, diesem großen Mon¬ archen nicht alle die Eigenschaften zuzuschreiben, die dem Ideal entsprachen, welches sie sich einmal von dem Fürsten gebildet hatten. Nun kam Lorenz und bewies, wie despotisch Josef wenigstens in einem Falle verfahren sei, ja er stand nicht an, ihn mit Philipp II. zu vergleiche», indem er den Unterschied der Mittel, welche die beiden gebrauchten, um ihre Ziele zu erreichen, nur auf Rech¬ nung der verschiedenen Zeitalter setzte. Aber noch mehr, Lorenz trat auch für die vielgeschmähten österreichischen Aristokraten der josefinischen Zeit ein, die sich nach der allgemeinen Ansicht den edeln Reformplänen des Kaisers so oft hemmend entgegengestellt hatten. Er betonte, daß der österreichische Adel der damaligen Zeit garnicht reformfeindlich, sondern im Gegenteil von den Ideen der Zeit so gut erfüllt gewesen sei wie das Staatsoberhaupt selbst; nur habe die Realisirung dieser Ideen nicht ohne sie geschehen sollen; sie wollten dabei mitwirken, man sollte sich mit ihnen abfinden, nicht über sie, ihre Rechte und Verdienste zur Tagesordnung übergehen. Ein österreichischer Dichter, Alexander Gigl, dessen größter Schmerz es gewesen ist, nicht in Wurzbachs Lexikon aufgenommen worden zu sein, und der hie und da auch im historischen Fache dilettirte, veröffentlichte damals eine Gegenschrift, die wenig Eindruck machte. Größeres Aufsehen erregte Michel Etienne's, des verstorbenen Chefredakteurs der Neuen Freien Presse, fast leiden¬ schaftliche Zurechtweisung von Lorenz' Häresie gegenüber dem modernen liberalen Dogma, und es dauerte mehrere Jahre, bis Lorenz sich wieder in ein leidliches Ver¬ hältnis zu dem tonangebenden Journal der Kaiserstadt gesetzt hatte. Dazu mochte auch beitragen, daß er sich nach einem verunglückten Versuch, in Klosterneuburg gewählt zu werden, von der Tagespolitik ganz zurückzog, es auch aufgab, in Zeitungsblättern anderswo als „unterhalb des Striches" zu erscheinen. Die Schriften aber, die er in den nächsten Jahren herausgab, und die Feuilletons, die er schrieb, mochten durch ihren freimütiger Ton, in welchem er über Kaiser und Könige, Päpste und Bischöfe sprach, die Männer des Tages immerhin glauben mochten, daß er ganz und gar der ihrige sei, und so war die Episode

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/303>, abgerufen am 23.07.2024.