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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

die in der Ausbildung eines "wissenschaftlichen Proletariats" unzweifelhaft liegt.
An demselben Übelstande krankt übrigens in nicht geringem Grade die philo¬
sophische Fakultät, an der aber doch das Studium nicht so kostspielig und lang¬
wierig ist wie an der medizinischen, auch die Beschäftigung mit Privatunterricht
weniger störend in den Studiengang eingreift. Allerdings hängt mit der Ar¬
mut der Hörer aus der philosophischen Fakultät wiederum das ziemlich geringe
Ansehen zusammen, denen sich die Mittelschullehrer im allgemeinen erfreuen, da
der arme Staat nicht in der Lage ist, sie in einer würdigen Weise zu bezahlen,
und also jeder, der diesem Stande angehört und nicht zufällig eine gute Partie
macht, gesellschaftlich tot ist. Dazu kommt, daß ihnen Bildung -- im eigent¬
lichen Sinne, nicht gelehrtes Wissen -- gewöhnlich fehlt, ja oft genug selbst
feinere Lebensformen, was freilich nur selten eigne Schuld ist, sondern durch
den Druck der äußern Verhältnisse herbeigeführt wird. Die Autorität in den
Schulen erleidet so in Österreich gar manchen harten Stoß, denn bei dem
Selbstgefühl und dem kritischen Blick für die äußeren Schwächen andrer, den
die Jugend gerade in den "Flegeljahren" so häusig besitzt, genügt nicht das
Wissen allein, um ihr zu imponiren; der Lehrer muß in jeder Beziehung auf
der Höhe der Bildung erscheinen, auch Takt und gute Manieren besitzen, und
dies erwerben zu können, ist dem weitaus größern Teile unsers Lehrerstandes
niemals möglich gewesen.

In der philosophischen Fakultät tritt zwar das Brotstudium ebenso domi-
nirend hervor wie an den beiden andern weltlichen Fakultäten, aber es hat
doch freiere Bewegung, auch sorgen wissenschaftliche Institute für die Pflege
des eigentlichen Gelehrtenstudiums. Freilich kann man diesen Instituten einen
Vorwurf machen: sie legen sich zu sehr auf die Ausbildung von Privatdozenten.
Obwohl es deren fast in allen Fächern giebt, so ermuntern doch die Professoren
so ziemlich jeden, der Fleiß und Neigung zu rein wissenschaftlicher Beschäftigung
und Abneigung gegen den Beruf eines Gymnasiallehrers zur Schau trägt, die
akademische Karriere zu ergreifen, während sie doch die sorgsamste Auswahl
treffen und -- wo nicht ein ganz hervorragendes Talent zu erkennen ist --
eher davon abschrecken sollten. Denn von einem Mangel an akademischen Lehrern
kann im allgemeinen in dieser Fakultät auf lange Jahre hinaus nicht die Rede
sein, im Gegenteil, es ist Überproduktion zu befürchten.

Die Lehrkräfte der philosophischen Fakultät können sich zwar in den meisten
Disziplinen nicht mit denen von Berlin oder auch von Leipzig und München messen,
aber Männe role sinket, Büdinger, Lorenz, Claus, Oppolzer, Wiesner, Eitelberger,
Miklosich, Gomperz, Mussafia, Schmidt, Bühler und andre würden jeder Hoch¬
schule zur Zierde gereichen. Wir müssen darauf verzichten, sie alle als akade¬
mische Lehrer zu charakterisiren, und wenden uns nur noch für einige Augenblicke
einem von ihnen zu, den Wien leider nicht mehr lange besitzen dürfte. Es ist
Ottokar Lorenz, der vor Jahresfrist durch sein Auftreten in der Maaßen-Affaire


Unpolitische Briefe aus Wien.

die in der Ausbildung eines „wissenschaftlichen Proletariats" unzweifelhaft liegt.
An demselben Übelstande krankt übrigens in nicht geringem Grade die philo¬
sophische Fakultät, an der aber doch das Studium nicht so kostspielig und lang¬
wierig ist wie an der medizinischen, auch die Beschäftigung mit Privatunterricht
weniger störend in den Studiengang eingreift. Allerdings hängt mit der Ar¬
mut der Hörer aus der philosophischen Fakultät wiederum das ziemlich geringe
Ansehen zusammen, denen sich die Mittelschullehrer im allgemeinen erfreuen, da
der arme Staat nicht in der Lage ist, sie in einer würdigen Weise zu bezahlen,
und also jeder, der diesem Stande angehört und nicht zufällig eine gute Partie
macht, gesellschaftlich tot ist. Dazu kommt, daß ihnen Bildung — im eigent¬
lichen Sinne, nicht gelehrtes Wissen — gewöhnlich fehlt, ja oft genug selbst
feinere Lebensformen, was freilich nur selten eigne Schuld ist, sondern durch
den Druck der äußern Verhältnisse herbeigeführt wird. Die Autorität in den
Schulen erleidet so in Österreich gar manchen harten Stoß, denn bei dem
Selbstgefühl und dem kritischen Blick für die äußeren Schwächen andrer, den
die Jugend gerade in den „Flegeljahren" so häusig besitzt, genügt nicht das
Wissen allein, um ihr zu imponiren; der Lehrer muß in jeder Beziehung auf
der Höhe der Bildung erscheinen, auch Takt und gute Manieren besitzen, und
dies erwerben zu können, ist dem weitaus größern Teile unsers Lehrerstandes
niemals möglich gewesen.

In der philosophischen Fakultät tritt zwar das Brotstudium ebenso domi-
nirend hervor wie an den beiden andern weltlichen Fakultäten, aber es hat
doch freiere Bewegung, auch sorgen wissenschaftliche Institute für die Pflege
des eigentlichen Gelehrtenstudiums. Freilich kann man diesen Instituten einen
Vorwurf machen: sie legen sich zu sehr auf die Ausbildung von Privatdozenten.
Obwohl es deren fast in allen Fächern giebt, so ermuntern doch die Professoren
so ziemlich jeden, der Fleiß und Neigung zu rein wissenschaftlicher Beschäftigung
und Abneigung gegen den Beruf eines Gymnasiallehrers zur Schau trägt, die
akademische Karriere zu ergreifen, während sie doch die sorgsamste Auswahl
treffen und — wo nicht ein ganz hervorragendes Talent zu erkennen ist —
eher davon abschrecken sollten. Denn von einem Mangel an akademischen Lehrern
kann im allgemeinen in dieser Fakultät auf lange Jahre hinaus nicht die Rede
sein, im Gegenteil, es ist Überproduktion zu befürchten.

Die Lehrkräfte der philosophischen Fakultät können sich zwar in den meisten
Disziplinen nicht mit denen von Berlin oder auch von Leipzig und München messen,
aber Männe role sinket, Büdinger, Lorenz, Claus, Oppolzer, Wiesner, Eitelberger,
Miklosich, Gomperz, Mussafia, Schmidt, Bühler und andre würden jeder Hoch¬
schule zur Zierde gereichen. Wir müssen darauf verzichten, sie alle als akade¬
mische Lehrer zu charakterisiren, und wenden uns nur noch für einige Augenblicke
einem von ihnen zu, den Wien leider nicht mehr lange besitzen dürfte. Es ist
Ottokar Lorenz, der vor Jahresfrist durch sein Auftreten in der Maaßen-Affaire


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[0302] Unpolitische Briefe aus Wien. die in der Ausbildung eines „wissenschaftlichen Proletariats" unzweifelhaft liegt. An demselben Übelstande krankt übrigens in nicht geringem Grade die philo¬ sophische Fakultät, an der aber doch das Studium nicht so kostspielig und lang¬ wierig ist wie an der medizinischen, auch die Beschäftigung mit Privatunterricht weniger störend in den Studiengang eingreift. Allerdings hängt mit der Ar¬ mut der Hörer aus der philosophischen Fakultät wiederum das ziemlich geringe Ansehen zusammen, denen sich die Mittelschullehrer im allgemeinen erfreuen, da der arme Staat nicht in der Lage ist, sie in einer würdigen Weise zu bezahlen, und also jeder, der diesem Stande angehört und nicht zufällig eine gute Partie macht, gesellschaftlich tot ist. Dazu kommt, daß ihnen Bildung — im eigent¬ lichen Sinne, nicht gelehrtes Wissen — gewöhnlich fehlt, ja oft genug selbst feinere Lebensformen, was freilich nur selten eigne Schuld ist, sondern durch den Druck der äußern Verhältnisse herbeigeführt wird. Die Autorität in den Schulen erleidet so in Österreich gar manchen harten Stoß, denn bei dem Selbstgefühl und dem kritischen Blick für die äußeren Schwächen andrer, den die Jugend gerade in den „Flegeljahren" so häusig besitzt, genügt nicht das Wissen allein, um ihr zu imponiren; der Lehrer muß in jeder Beziehung auf der Höhe der Bildung erscheinen, auch Takt und gute Manieren besitzen, und dies erwerben zu können, ist dem weitaus größern Teile unsers Lehrerstandes niemals möglich gewesen. In der philosophischen Fakultät tritt zwar das Brotstudium ebenso domi- nirend hervor wie an den beiden andern weltlichen Fakultäten, aber es hat doch freiere Bewegung, auch sorgen wissenschaftliche Institute für die Pflege des eigentlichen Gelehrtenstudiums. Freilich kann man diesen Instituten einen Vorwurf machen: sie legen sich zu sehr auf die Ausbildung von Privatdozenten. Obwohl es deren fast in allen Fächern giebt, so ermuntern doch die Professoren so ziemlich jeden, der Fleiß und Neigung zu rein wissenschaftlicher Beschäftigung und Abneigung gegen den Beruf eines Gymnasiallehrers zur Schau trägt, die akademische Karriere zu ergreifen, während sie doch die sorgsamste Auswahl treffen und — wo nicht ein ganz hervorragendes Talent zu erkennen ist — eher davon abschrecken sollten. Denn von einem Mangel an akademischen Lehrern kann im allgemeinen in dieser Fakultät auf lange Jahre hinaus nicht die Rede sein, im Gegenteil, es ist Überproduktion zu befürchten. Die Lehrkräfte der philosophischen Fakultät können sich zwar in den meisten Disziplinen nicht mit denen von Berlin oder auch von Leipzig und München messen, aber Männe role sinket, Büdinger, Lorenz, Claus, Oppolzer, Wiesner, Eitelberger, Miklosich, Gomperz, Mussafia, Schmidt, Bühler und andre würden jeder Hoch¬ schule zur Zierde gereichen. Wir müssen darauf verzichten, sie alle als akade¬ mische Lehrer zu charakterisiren, und wenden uns nur noch für einige Augenblicke einem von ihnen zu, den Wien leider nicht mehr lange besitzen dürfte. Es ist Ottokar Lorenz, der vor Jahresfrist durch sein Auftreten in der Maaßen-Affaire

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/302>, abgerufen am 23.07.2024.