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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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werden vielleicht durch die hergebrachten Formen, welche sie da antreffen, von
einer solchen Geringschätzung bald wieder geheilt, aber die andern, die sich der
Advokatur und dein Notariat zuwenden, finden in ihrem künftigen Berufe nichts,
was der auf der Schule angenommenen Richtung entgegenwirken könnte. Dies
ist nicht bloß heute so: in allen Revolutionen habe", die Advokaten und Notare
eine bedeutende Rolle gespielt, und aus ihrem Berufskreise rekrutircn sich anch
vornehmlich die extremen Parteien in den Vertretungskörpern aller Nationen.

Wenn aber dem Wiener Juristen wissenschaftliche Bestrebungen oder auch
mir ein etwas tiefergehendes Studium seines Faches gewöhnlich sern liegen, so
repräsentirt er vor allem die Studentenschaft nach außen, dem Publikum gegen¬
über. In den Vereinen, den Burschenschafter, den Ballkomitees dominirt der
Jurist; gilt es eine Demonstration zu veranstalten, einen Kranz auf ein Grab
zu legen, einen Jubilar zu beglückwünschen, einen Kommers zu arrangiren,
immer wird der Jurist in erster Linie dabei beteiligt sein, er ist der Faiseur,
der Redner, der Politiker, der Führer der Studentenschaft; er, der in der Regel
am wenigsten studirt, hier erscheint er als der Student xar"

Das Professorenkollegium der juristischen Fakultät zählt unter seinen Mit¬
gliedern Männer von europäischem Ruf. Wir gedachten schon des geistvollen
und redegewandten Lorenz von Stein, der heute, da Exminister Unger nicht
liest, wohl der einzige ist, dem es gelingt, bisweilen auch einen großen Saal
mit aufmerksamen Zuhörern zu füllen. Sein Vortrag ist weit entfernt, pathetisch
zu sein; ein großer schlanker Mann von eleganten Allüren und so jünglinghafter
Beweglichkeit, daß ihm wohl niemand seine siebzig Jahre ansieht -- diskutirt
Stein vielmehr auf dem Katheder mit sich selbst, und diese Diskussion steigert
sich im Verlaufe der Vorlesung zu wahrhaft dramatischen Effekten. Dabei sind
aber die Anforderungen, die Stein an sein Publikum stellt, nicht etwa gering,
er liebt abstrakte Wendungen und seltsame Bilder, überrascht gern mit para¬
doxen Apercus. Friedrich Maaßen, so bedeutend als Kirchcnrechtslehrer und
.^irchenhistvriker, versteht als akademischer Lehrer kaum zu fesseln oder anzu¬
regen. Nur wenn er von momentaner Erregung hingerissen wird -- was selten
geschieht --, macht er Eindruck auf seine Zuhörer. Professor Siegel, der
deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, sowie deutsches Privatrecht vorträgt, im-
ponirt durch stattliches Austreten, ein sonores Organ und einen getragenen Ton,
der bisweilen geradezu an Deklamation streift. Am meisten bringt er sich bei
feierlichen Gelegenheiten zur Geltung, so im Herbst 1879, wo er als scheidender
Rektor den Bericht über das abgelaufene Studienjahr gab. Auch versteht er
es wohl, in kritische Situationen energisch einzugreifen und sie befriedigend zu
lösen: auf einem Kommers, der infolge der aufeinanderstoßenden Gegensätze
zwischen Burschenschafter und Korps in einen Tumult auszuarten drohte, er¬
griff er selbst deu Schläger des Präses und kommandirte mit Donnerstimme
Silentium, und wirklich gelang es ihm, den heraufziehenden Sturm zu be-


werden vielleicht durch die hergebrachten Formen, welche sie da antreffen, von
einer solchen Geringschätzung bald wieder geheilt, aber die andern, die sich der
Advokatur und dein Notariat zuwenden, finden in ihrem künftigen Berufe nichts,
was der auf der Schule angenommenen Richtung entgegenwirken könnte. Dies
ist nicht bloß heute so: in allen Revolutionen habe», die Advokaten und Notare
eine bedeutende Rolle gespielt, und aus ihrem Berufskreise rekrutircn sich anch
vornehmlich die extremen Parteien in den Vertretungskörpern aller Nationen.

Wenn aber dem Wiener Juristen wissenschaftliche Bestrebungen oder auch
mir ein etwas tiefergehendes Studium seines Faches gewöhnlich sern liegen, so
repräsentirt er vor allem die Studentenschaft nach außen, dem Publikum gegen¬
über. In den Vereinen, den Burschenschafter, den Ballkomitees dominirt der
Jurist; gilt es eine Demonstration zu veranstalten, einen Kranz auf ein Grab
zu legen, einen Jubilar zu beglückwünschen, einen Kommers zu arrangiren,
immer wird der Jurist in erster Linie dabei beteiligt sein, er ist der Faiseur,
der Redner, der Politiker, der Führer der Studentenschaft; er, der in der Regel
am wenigsten studirt, hier erscheint er als der Student xar"

Das Professorenkollegium der juristischen Fakultät zählt unter seinen Mit¬
gliedern Männer von europäischem Ruf. Wir gedachten schon des geistvollen
und redegewandten Lorenz von Stein, der heute, da Exminister Unger nicht
liest, wohl der einzige ist, dem es gelingt, bisweilen auch einen großen Saal
mit aufmerksamen Zuhörern zu füllen. Sein Vortrag ist weit entfernt, pathetisch
zu sein; ein großer schlanker Mann von eleganten Allüren und so jünglinghafter
Beweglichkeit, daß ihm wohl niemand seine siebzig Jahre ansieht — diskutirt
Stein vielmehr auf dem Katheder mit sich selbst, und diese Diskussion steigert
sich im Verlaufe der Vorlesung zu wahrhaft dramatischen Effekten. Dabei sind
aber die Anforderungen, die Stein an sein Publikum stellt, nicht etwa gering,
er liebt abstrakte Wendungen und seltsame Bilder, überrascht gern mit para¬
doxen Apercus. Friedrich Maaßen, so bedeutend als Kirchcnrechtslehrer und
.^irchenhistvriker, versteht als akademischer Lehrer kaum zu fesseln oder anzu¬
regen. Nur wenn er von momentaner Erregung hingerissen wird — was selten
geschieht —, macht er Eindruck auf seine Zuhörer. Professor Siegel, der
deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, sowie deutsches Privatrecht vorträgt, im-
ponirt durch stattliches Austreten, ein sonores Organ und einen getragenen Ton,
der bisweilen geradezu an Deklamation streift. Am meisten bringt er sich bei
feierlichen Gelegenheiten zur Geltung, so im Herbst 1879, wo er als scheidender
Rektor den Bericht über das abgelaufene Studienjahr gab. Auch versteht er
es wohl, in kritische Situationen energisch einzugreifen und sie befriedigend zu
lösen: auf einem Kommers, der infolge der aufeinanderstoßenden Gegensätze
zwischen Burschenschafter und Korps in einen Tumult auszuarten drohte, er¬
griff er selbst deu Schläger des Präses und kommandirte mit Donnerstimme
Silentium, und wirklich gelang es ihm, den heraufziehenden Sturm zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/300>, abgerufen am 25.08.2024.