Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Aus der französisch?" Revolution. Erfüllen zuzuschreiben. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß Aus der französisch?» Revolution. Erfüllen zuzuschreiben. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194706"/> <fw type="header" place="top"> Aus der französisch?» Revolution.</fw><lb/> <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55" next="#ID_57"> Erfüllen zuzuschreiben. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß<lb/> die ganze geistige Bewegung der Zivilisation damals von Frankreich ausgegangen<lb/> sei. Größe Staatsmänner und Feldherren, Philosophen und Dichter, hervor¬<lb/> ragende Juristen, Künstler — es war kein Gebiet menschlicher Kultur, das nicht<lb/> in Frankreich seine besten Repräsentanten gefunden hätte. Abgesehen von den<lb/> paar tausend Müßiggängern, die in dein ununterbrochenen Schaugepränge des<lb/> Versailler Hofes die Statisten spielten, in Frivolitäten und Nichtsthun ihre<lb/> Kräfte und ihren Besitz vergeudeten, war Justiz und Verwaltung in einem für<lb/> damalige Zeiten mustergiltigen Zustande. Die französische Justiz hatte sich schon<lb/> seit Jahrhunderten einen hohen Ruf verschafft, ihre Stellen gingen in den guten<lb/> Bürgerkrcisen von Vater auf Sohn über. Der Provinzialadel war mäßig und<lb/> tapfer, seine Söhne hatten als Offiziere die großen Siege erfechten helfen. Kauf¬<lb/> mannschaft und Handwerk erfreuten sich geregelter Zustände. Die Pariser Börse<lb/> bedürfte schon damals derjenigen gesetzlichen Einschränkungen, welche man heute<lb/> vergeblich in Deutschland anstrebt — ein Beweis des großen Aufschwunges, deu<lb/> der Handel genommen hatte. Das Kunsthandwerk, das in Deutschland der<lb/> dreißigjährige Krieg vernichtet hatte, stand in Frankreich in Blüte. Freilich<lb/> waren daneben arge Mißstände; nicht sowohl in dem mangelnden Schutze einer<lb/> persönlichen Freiheit — denn die Bauern in der Bretagne berührte es wenig,<lb/> ob ein Pamphletist einmal 8g,n8 en)on in die Vastille gesteckt wurde. Aber die<lb/> Steuerlast war ins Unermeßliche gestiegen und bedrückte namentlich die Land¬<lb/> wirtschaft. Es mußten Reformen eintreten, aber alle diese privilegirten Klassen,<lb/> mit Ausnahme nnr weniger bornirten Köpfe, waren dazu bereit. Zu keiner<lb/> Zeit waren die Ideen der Freiheit und Gleichheit so sehr in den Kreisen der<lb/> obersten Zehntausend verbreitet, wie in dem Frankreich von 1,789, und die Ge¬<lb/> setze der Konstituante geben von dieser Gesinnung tausendfältiges Zeugnis. Was<lb/> ließ sich nicht mit solcher Elite alles leisten! Was hat die Revolution aus<lb/> ihnen gemacht? Am Ende der Schreckensherrschaft zählte man 150 000 Flücht¬<lb/> linge und Verbannte, 258 000 in Gefängnissen, 175 000 in Stubenarrest, andre<lb/> 175 000 in ihre Gemeinden konfinirt, im ganzen 758 000 Personen, die in<lb/> ihrer Freiheit beschränkt waren. Wieviel Opfer an Menschenleben die Anarchie<lb/> verschlungen hat, läßt sich kaum annähernd bestimmen, nicht bloß der Tod durch<lb/> die Guillotine, die Massenmorde in den Gefängnissen, durch Pelotons oder<lb/> Noynaden ist auf ihre Rechnung zu schreiben; wenn z.B. in Nantes von 13 000<lb/> Verhafteten 3000 am Typhus starben, so kann man sich einen Begriff machen,<lb/> wie der Tod gewütet hat, da die Gefängnisse an allen Orten überfüllt waren.<lb/> Dazu trat die Hungersnot und die in ihrem Gefolge befindlichen Krankheiten,<lb/> sodaß die Sterblichkeit während der ersten Jahre der Revolution um mehr als<lb/> fünfundzwanzig Prozent gewachsen war. Alles war erschöpft; die Staatsfinanzen<lb/> am Bankerott, das Vermögen des Ganzen und der Einzelnen vergeudet oder<lb/> zerstört; das Neglementiren des Verkehrs durch das Reqnisitivnsrecht des Staates</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Aus der französisch?» Revolution.
Erfüllen zuzuschreiben. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß
die ganze geistige Bewegung der Zivilisation damals von Frankreich ausgegangen
sei. Größe Staatsmänner und Feldherren, Philosophen und Dichter, hervor¬
ragende Juristen, Künstler — es war kein Gebiet menschlicher Kultur, das nicht
in Frankreich seine besten Repräsentanten gefunden hätte. Abgesehen von den
paar tausend Müßiggängern, die in dein ununterbrochenen Schaugepränge des
Versailler Hofes die Statisten spielten, in Frivolitäten und Nichtsthun ihre
Kräfte und ihren Besitz vergeudeten, war Justiz und Verwaltung in einem für
damalige Zeiten mustergiltigen Zustande. Die französische Justiz hatte sich schon
seit Jahrhunderten einen hohen Ruf verschafft, ihre Stellen gingen in den guten
Bürgerkrcisen von Vater auf Sohn über. Der Provinzialadel war mäßig und
tapfer, seine Söhne hatten als Offiziere die großen Siege erfechten helfen. Kauf¬
mannschaft und Handwerk erfreuten sich geregelter Zustände. Die Pariser Börse
bedürfte schon damals derjenigen gesetzlichen Einschränkungen, welche man heute
vergeblich in Deutschland anstrebt — ein Beweis des großen Aufschwunges, deu
der Handel genommen hatte. Das Kunsthandwerk, das in Deutschland der
dreißigjährige Krieg vernichtet hatte, stand in Frankreich in Blüte. Freilich
waren daneben arge Mißstände; nicht sowohl in dem mangelnden Schutze einer
persönlichen Freiheit — denn die Bauern in der Bretagne berührte es wenig,
ob ein Pamphletist einmal 8g,n8 en)on in die Vastille gesteckt wurde. Aber die
Steuerlast war ins Unermeßliche gestiegen und bedrückte namentlich die Land¬
wirtschaft. Es mußten Reformen eintreten, aber alle diese privilegirten Klassen,
mit Ausnahme nnr weniger bornirten Köpfe, waren dazu bereit. Zu keiner
Zeit waren die Ideen der Freiheit und Gleichheit so sehr in den Kreisen der
obersten Zehntausend verbreitet, wie in dem Frankreich von 1,789, und die Ge¬
setze der Konstituante geben von dieser Gesinnung tausendfältiges Zeugnis. Was
ließ sich nicht mit solcher Elite alles leisten! Was hat die Revolution aus
ihnen gemacht? Am Ende der Schreckensherrschaft zählte man 150 000 Flücht¬
linge und Verbannte, 258 000 in Gefängnissen, 175 000 in Stubenarrest, andre
175 000 in ihre Gemeinden konfinirt, im ganzen 758 000 Personen, die in
ihrer Freiheit beschränkt waren. Wieviel Opfer an Menschenleben die Anarchie
verschlungen hat, läßt sich kaum annähernd bestimmen, nicht bloß der Tod durch
die Guillotine, die Massenmorde in den Gefängnissen, durch Pelotons oder
Noynaden ist auf ihre Rechnung zu schreiben; wenn z.B. in Nantes von 13 000
Verhafteten 3000 am Typhus starben, so kann man sich einen Begriff machen,
wie der Tod gewütet hat, da die Gefängnisse an allen Orten überfüllt waren.
Dazu trat die Hungersnot und die in ihrem Gefolge befindlichen Krankheiten,
sodaß die Sterblichkeit während der ersten Jahre der Revolution um mehr als
fünfundzwanzig Prozent gewachsen war. Alles war erschöpft; die Staatsfinanzen
am Bankerott, das Vermögen des Ganzen und der Einzelnen vergeudet oder
zerstört; das Neglementiren des Verkehrs durch das Reqnisitivnsrecht des Staates
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