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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

gegen die Tendenzen der Aufklärungszeit ein, die auch nicht ohne Einfluß auf
die Stellung der Wiener Universität blieb. Aber man war doch weit davon
entfernt, ganz in das vortheresianische Verhältnis zurückzutreten. Die Allgewalt
des Staates auf allen Gebieten gesellschaftlichen Lebens war ja eine jener Er¬
rungenschaften der letzten Vergangenheit, die man deshalb nicht aufgeben mochte,
weil auch die Revolution sie zu ihrem Dogma gemacht hatte. Mau hütete sich
nur. zu den noch erhaltenen Resten des Mittelalters in einen feindlichen Gegen¬
satz zu treten, wie man dies zwei Generationen hindurch gethan hatte. Die
Universitäten sollten also ihren auf einem Historischen, verbrieften Rechte be¬
ruhenden korporativen Charakter beibehalten, und auch der Kirche wurde wieder
ein gut Teil des Einflusses zurückgegeben, den sie einst besessen hatte. Andrer¬
seits blieb aber doch die staatliche Bevormundung, die vor allem darauf achtete,
daß bloß dasjenige gelehrt werde, was dem Staate, wie mau ihn damals in
Österreich auffaßte, nützlich sei: die Universität sollte mir Beamte heranziehen --
die neue Wissenschaft schien, abgesehen davon, daß sie für gefährlich galt, vou
keinem praktischen Werte. So blieb es bis zu dem Jahre 1348, das auch der
Hochschule verschiedne vorübergehende Umwälzungen brachte. Aber auch nach
Wiederherstellung der Ordnung kehrte sie nicht ganz in den alten Zustand zurück.
Graf Leo Thun, dessen Thätigkeit als Unterrichtsminister neulich von
G. Wolf*) besser gewürdigt worden ist, als es Walter Rogge in seinem ten¬
denziösen "Österreich von Villagvs bis zur Gegenwart" gethan hatte, öffnete
der früher so gefürchteten Wissenschaft die Thore, Berufungen aus dem Aus¬
lande mußten aushelfen, wo das Inland im Stiche ließ, die Freiheit der Lehre
und des Lernens wurde schon damals -- ein Dezennium vor dem Beginne der
konstitutionellen Ära -- erklärt. Aber an die innere Verfassung der Universität
wagte man sich nicht. Es blieb der geistliche Kanzler, Akatholiken konnten
nicht zu Doktoren ntrwsiuv Mi-s, bloß zu Doktoren Mi" vivilis promovirt
werden, das Lehramt der Geschichte sollte nur einem Katholiken anvertraut
werden, in dem Doktoreide gelobte man dem Rektor die odeMvurm und versprach
die Privilegien der Universität jederzeit zu beschützen. Die Verwaltung der
Hochschule ' blieb geteilt zwischen den Professoren und deu Doktoreukollegieu,
welche das Recht' ihres Bestehens mir aus dem Stiftungsbriefe herleiteten,
der die Universität eben nur als einen Verein gelehrter Männer auf¬
faßte, in welchem das Lehren zwar nicht Nebenzweck, aber doch nicht aus¬
schließlicher Zweck sei. In den sechziger Jahren begannen aber die Professoren
die Rechte dieser Kollegien zu bestreiten und die Notwendigkeit oder Nützlichkeit
derselben zu leugnen: 'sie plädirten für ihre Auflösung. Nach langem Kampfe
entschied die Regierung im Sinne der Professoren: die Universität sollte nichts



In dem Buche "Zur Geschichte der Wiener Universität." Wien, 1883, dem wir hier
den historischen Details folgen.
Unpolitische Briefe aus Wien.

gegen die Tendenzen der Aufklärungszeit ein, die auch nicht ohne Einfluß auf
die Stellung der Wiener Universität blieb. Aber man war doch weit davon
entfernt, ganz in das vortheresianische Verhältnis zurückzutreten. Die Allgewalt
des Staates auf allen Gebieten gesellschaftlichen Lebens war ja eine jener Er¬
rungenschaften der letzten Vergangenheit, die man deshalb nicht aufgeben mochte,
weil auch die Revolution sie zu ihrem Dogma gemacht hatte. Mau hütete sich
nur. zu den noch erhaltenen Resten des Mittelalters in einen feindlichen Gegen¬
satz zu treten, wie man dies zwei Generationen hindurch gethan hatte. Die
Universitäten sollten also ihren auf einem Historischen, verbrieften Rechte be¬
ruhenden korporativen Charakter beibehalten, und auch der Kirche wurde wieder
ein gut Teil des Einflusses zurückgegeben, den sie einst besessen hatte. Andrer¬
seits blieb aber doch die staatliche Bevormundung, die vor allem darauf achtete,
daß bloß dasjenige gelehrt werde, was dem Staate, wie mau ihn damals in
Österreich auffaßte, nützlich sei: die Universität sollte mir Beamte heranziehen —
die neue Wissenschaft schien, abgesehen davon, daß sie für gefährlich galt, vou
keinem praktischen Werte. So blieb es bis zu dem Jahre 1348, das auch der
Hochschule verschiedne vorübergehende Umwälzungen brachte. Aber auch nach
Wiederherstellung der Ordnung kehrte sie nicht ganz in den alten Zustand zurück.
Graf Leo Thun, dessen Thätigkeit als Unterrichtsminister neulich von
G. Wolf*) besser gewürdigt worden ist, als es Walter Rogge in seinem ten¬
denziösen „Österreich von Villagvs bis zur Gegenwart" gethan hatte, öffnete
der früher so gefürchteten Wissenschaft die Thore, Berufungen aus dem Aus¬
lande mußten aushelfen, wo das Inland im Stiche ließ, die Freiheit der Lehre
und des Lernens wurde schon damals — ein Dezennium vor dem Beginne der
konstitutionellen Ära — erklärt. Aber an die innere Verfassung der Universität
wagte man sich nicht. Es blieb der geistliche Kanzler, Akatholiken konnten
nicht zu Doktoren ntrwsiuv Mi-s, bloß zu Doktoren Mi« vivilis promovirt
werden, das Lehramt der Geschichte sollte nur einem Katholiken anvertraut
werden, in dem Doktoreide gelobte man dem Rektor die odeMvurm und versprach
die Privilegien der Universität jederzeit zu beschützen. Die Verwaltung der
Hochschule ' blieb geteilt zwischen den Professoren und deu Doktoreukollegieu,
welche das Recht' ihres Bestehens mir aus dem Stiftungsbriefe herleiteten,
der die Universität eben nur als einen Verein gelehrter Männer auf¬
faßte, in welchem das Lehren zwar nicht Nebenzweck, aber doch nicht aus¬
schließlicher Zweck sei. In den sechziger Jahren begannen aber die Professoren
die Rechte dieser Kollegien zu bestreiten und die Notwendigkeit oder Nützlichkeit
derselben zu leugnen: 'sie plädirten für ihre Auflösung. Nach langem Kampfe
entschied die Regierung im Sinne der Professoren: die Universität sollte nichts



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[0297] Unpolitische Briefe aus Wien. gegen die Tendenzen der Aufklärungszeit ein, die auch nicht ohne Einfluß auf die Stellung der Wiener Universität blieb. Aber man war doch weit davon entfernt, ganz in das vortheresianische Verhältnis zurückzutreten. Die Allgewalt des Staates auf allen Gebieten gesellschaftlichen Lebens war ja eine jener Er¬ rungenschaften der letzten Vergangenheit, die man deshalb nicht aufgeben mochte, weil auch die Revolution sie zu ihrem Dogma gemacht hatte. Mau hütete sich nur. zu den noch erhaltenen Resten des Mittelalters in einen feindlichen Gegen¬ satz zu treten, wie man dies zwei Generationen hindurch gethan hatte. Die Universitäten sollten also ihren auf einem Historischen, verbrieften Rechte be¬ ruhenden korporativen Charakter beibehalten, und auch der Kirche wurde wieder ein gut Teil des Einflusses zurückgegeben, den sie einst besessen hatte. Andrer¬ seits blieb aber doch die staatliche Bevormundung, die vor allem darauf achtete, daß bloß dasjenige gelehrt werde, was dem Staate, wie mau ihn damals in Österreich auffaßte, nützlich sei: die Universität sollte mir Beamte heranziehen — die neue Wissenschaft schien, abgesehen davon, daß sie für gefährlich galt, vou keinem praktischen Werte. So blieb es bis zu dem Jahre 1348, das auch der Hochschule verschiedne vorübergehende Umwälzungen brachte. Aber auch nach Wiederherstellung der Ordnung kehrte sie nicht ganz in den alten Zustand zurück. Graf Leo Thun, dessen Thätigkeit als Unterrichtsminister neulich von G. Wolf*) besser gewürdigt worden ist, als es Walter Rogge in seinem ten¬ denziösen „Österreich von Villagvs bis zur Gegenwart" gethan hatte, öffnete der früher so gefürchteten Wissenschaft die Thore, Berufungen aus dem Aus¬ lande mußten aushelfen, wo das Inland im Stiche ließ, die Freiheit der Lehre und des Lernens wurde schon damals — ein Dezennium vor dem Beginne der konstitutionellen Ära — erklärt. Aber an die innere Verfassung der Universität wagte man sich nicht. Es blieb der geistliche Kanzler, Akatholiken konnten nicht zu Doktoren ntrwsiuv Mi-s, bloß zu Doktoren Mi« vivilis promovirt werden, das Lehramt der Geschichte sollte nur einem Katholiken anvertraut werden, in dem Doktoreide gelobte man dem Rektor die odeMvurm und versprach die Privilegien der Universität jederzeit zu beschützen. Die Verwaltung der Hochschule ' blieb geteilt zwischen den Professoren und deu Doktoreukollegieu, welche das Recht' ihres Bestehens mir aus dem Stiftungsbriefe herleiteten, der die Universität eben nur als einen Verein gelehrter Männer auf¬ faßte, in welchem das Lehren zwar nicht Nebenzweck, aber doch nicht aus¬ schließlicher Zweck sei. In den sechziger Jahren begannen aber die Professoren die Rechte dieser Kollegien zu bestreiten und die Notwendigkeit oder Nützlichkeit derselben zu leugnen: 'sie plädirten für ihre Auflösung. Nach langem Kampfe entschied die Regierung im Sinne der Professoren: die Universität sollte nichts In dem Buche „Zur Geschichte der Wiener Universität." Wien, 1883, dem wir hier den historischen Details folgen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/297>, abgerufen am 23.07.2024.