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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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genötigt sehen, ihrem Weiterschreiten in den Weg zu treten?" Der Verfasser
meint dann, die Negierung, das Gladstvneschc Kabinet, habe das Dringende der
Frage durch Absendung der mehrerwähnten Grenzregulirungs-Kommission an¬
erkannt, und er meint ferner, das Ergebnis dieses Unternehmens werde eine
genaue Bestimmung über Anfang und Ende des afghanischen Gebietes sein,
wobei er sich die großen Schwierigkeiten, welche die Natur hier der Ge¬
nauigkeit entgegenstellt, uicht recht vergegenwärtigt zu haben scheint. Doch kommt
ihm der Gedanke sogleich, denn zweifelnd fährt er fort: "Wenn es ihr mit
diesem Ziele mißlingt, so wird die Ursache darin liegen, daß Rußland es für
geraten hält, den schließlichen Zusammenstoß zu beschleunigen. Aber gleichviel,
ob die Sache mißglückt oder ein gutes Resultat hat, so wird es als eine positive
Thatsache fortan irgendwo in Asien eine Linie geben, die eine Landgrenze zwischen
Großbritannien und Rußland vorstellt -- eine Linie, deren Überschreitung von
seiten der einen oder der andern Großmacht mit einer Kriegserklärung gleiche
Bedeutung haben wird. Denn ob nun unsre Regierung sich entscheidet, auf der
nördlichen oder auf der südlichen Seite der Grenze des Afghanenlandes Stellung
zu nehmen, immer wird, wie auf der Hand liegt, das Ergebnis das gleiche
sein, insofern es besagt, daß es eine feststehende Linie geben muß, von der aus
wir nicht rückwärts gehen und ans der Rußland, wenn es vorrückt, britischen
Bajvnnetspitzcn begegnen muß.

Nun denn, eine solche Lage der Dinge ist absolut neu in unsrer Geschichte.
Bis jetzt sind wir eine rein insulare Macht gewesen. >Die Gebirge und Sand¬
wüsten Mittelasiens schlössen, wie es schien und lange Zeit wirklich der Fall
war, das Reich der Kaiserin von Indien ebenso ab, wie das Meer das Reich
derselben in Europas Wir lebten in Sicherheit vor Angriffen, und wenn wir
die Offensive ergriffen, so konnten wir eine beliebig starke Streitkruft nach dem
Punkte im Gebiete des Feindes senden, den wir selbst auswählen durften. Die
Kämpfe, die wir zu kolonialen Zwecken zu bestehen hatten, hatten keinen Einfluß
auf dieses Verhältnis der Dinge. In diesem Falle hatten beide Mächte ihre
Streitlüste auswärts zu senden, und unsre Herrschaft zur See setzte uns in
den Stand, den überseeischen Besitzungen unsers Gegners die von daheim zur
Unterstützung zugeschickten Hilfstruppen abzuschneiden. Jetzt aber haben wir
eine Landgrenze gegen Nußland zu verteidigen. Und ferner: jetzt ist es Ru߬
land, welches zu Hause ist und nach Belieben Ort und Stunde zum Angriffe
wählen kann. Wir stehen daher zu diesen, in derselben Beziehung wie Deutsch¬
land und Österreich. Daraus ergiebt sich die unvermeidliche Folgerung, daß
wir von jetzt an allezeit ganz ebenso wie Deutschland und Österreich vorbereitet sein
müssen, unsre Landgrenze mit Übermacht an Streitmitteln zu verteidigen, sonst haben
wir zu erwarten, daß wir unterliegen und der Unterjochung anheimfallen werden.

Es ist ja wahr, daß es in unserm Falle Indiens, nicht Großbritannien
sein würde, welches der Eroberung versiele. Aber wenn wir die Verteidigung


genötigt sehen, ihrem Weiterschreiten in den Weg zu treten?" Der Verfasser
meint dann, die Negierung, das Gladstvneschc Kabinet, habe das Dringende der
Frage durch Absendung der mehrerwähnten Grenzregulirungs-Kommission an¬
erkannt, und er meint ferner, das Ergebnis dieses Unternehmens werde eine
genaue Bestimmung über Anfang und Ende des afghanischen Gebietes sein,
wobei er sich die großen Schwierigkeiten, welche die Natur hier der Ge¬
nauigkeit entgegenstellt, uicht recht vergegenwärtigt zu haben scheint. Doch kommt
ihm der Gedanke sogleich, denn zweifelnd fährt er fort: „Wenn es ihr mit
diesem Ziele mißlingt, so wird die Ursache darin liegen, daß Rußland es für
geraten hält, den schließlichen Zusammenstoß zu beschleunigen. Aber gleichviel,
ob die Sache mißglückt oder ein gutes Resultat hat, so wird es als eine positive
Thatsache fortan irgendwo in Asien eine Linie geben, die eine Landgrenze zwischen
Großbritannien und Rußland vorstellt — eine Linie, deren Überschreitung von
seiten der einen oder der andern Großmacht mit einer Kriegserklärung gleiche
Bedeutung haben wird. Denn ob nun unsre Regierung sich entscheidet, auf der
nördlichen oder auf der südlichen Seite der Grenze des Afghanenlandes Stellung
zu nehmen, immer wird, wie auf der Hand liegt, das Ergebnis das gleiche
sein, insofern es besagt, daß es eine feststehende Linie geben muß, von der aus
wir nicht rückwärts gehen und ans der Rußland, wenn es vorrückt, britischen
Bajvnnetspitzcn begegnen muß.

Nun denn, eine solche Lage der Dinge ist absolut neu in unsrer Geschichte.
Bis jetzt sind wir eine rein insulare Macht gewesen. >Die Gebirge und Sand¬
wüsten Mittelasiens schlössen, wie es schien und lange Zeit wirklich der Fall
war, das Reich der Kaiserin von Indien ebenso ab, wie das Meer das Reich
derselben in Europas Wir lebten in Sicherheit vor Angriffen, und wenn wir
die Offensive ergriffen, so konnten wir eine beliebig starke Streitkruft nach dem
Punkte im Gebiete des Feindes senden, den wir selbst auswählen durften. Die
Kämpfe, die wir zu kolonialen Zwecken zu bestehen hatten, hatten keinen Einfluß
auf dieses Verhältnis der Dinge. In diesem Falle hatten beide Mächte ihre
Streitlüste auswärts zu senden, und unsre Herrschaft zur See setzte uns in
den Stand, den überseeischen Besitzungen unsers Gegners die von daheim zur
Unterstützung zugeschickten Hilfstruppen abzuschneiden. Jetzt aber haben wir
eine Landgrenze gegen Nußland zu verteidigen. Und ferner: jetzt ist es Ru߬
land, welches zu Hause ist und nach Belieben Ort und Stunde zum Angriffe
wählen kann. Wir stehen daher zu diesen, in derselben Beziehung wie Deutsch¬
land und Österreich. Daraus ergiebt sich die unvermeidliche Folgerung, daß
wir von jetzt an allezeit ganz ebenso wie Deutschland und Österreich vorbereitet sein
müssen, unsre Landgrenze mit Übermacht an Streitmitteln zu verteidigen, sonst haben
wir zu erwarten, daß wir unterliegen und der Unterjochung anheimfallen werden.

Es ist ja wahr, daß es in unserm Falle Indiens, nicht Großbritannien
sein würde, welches der Eroberung versiele. Aber wenn wir die Verteidigung


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[0291] genötigt sehen, ihrem Weiterschreiten in den Weg zu treten?" Der Verfasser meint dann, die Negierung, das Gladstvneschc Kabinet, habe das Dringende der Frage durch Absendung der mehrerwähnten Grenzregulirungs-Kommission an¬ erkannt, und er meint ferner, das Ergebnis dieses Unternehmens werde eine genaue Bestimmung über Anfang und Ende des afghanischen Gebietes sein, wobei er sich die großen Schwierigkeiten, welche die Natur hier der Ge¬ nauigkeit entgegenstellt, uicht recht vergegenwärtigt zu haben scheint. Doch kommt ihm der Gedanke sogleich, denn zweifelnd fährt er fort: „Wenn es ihr mit diesem Ziele mißlingt, so wird die Ursache darin liegen, daß Rußland es für geraten hält, den schließlichen Zusammenstoß zu beschleunigen. Aber gleichviel, ob die Sache mißglückt oder ein gutes Resultat hat, so wird es als eine positive Thatsache fortan irgendwo in Asien eine Linie geben, die eine Landgrenze zwischen Großbritannien und Rußland vorstellt — eine Linie, deren Überschreitung von seiten der einen oder der andern Großmacht mit einer Kriegserklärung gleiche Bedeutung haben wird. Denn ob nun unsre Regierung sich entscheidet, auf der nördlichen oder auf der südlichen Seite der Grenze des Afghanenlandes Stellung zu nehmen, immer wird, wie auf der Hand liegt, das Ergebnis das gleiche sein, insofern es besagt, daß es eine feststehende Linie geben muß, von der aus wir nicht rückwärts gehen und ans der Rußland, wenn es vorrückt, britischen Bajvnnetspitzcn begegnen muß. Nun denn, eine solche Lage der Dinge ist absolut neu in unsrer Geschichte. Bis jetzt sind wir eine rein insulare Macht gewesen. >Die Gebirge und Sand¬ wüsten Mittelasiens schlössen, wie es schien und lange Zeit wirklich der Fall war, das Reich der Kaiserin von Indien ebenso ab, wie das Meer das Reich derselben in Europas Wir lebten in Sicherheit vor Angriffen, und wenn wir die Offensive ergriffen, so konnten wir eine beliebig starke Streitkruft nach dem Punkte im Gebiete des Feindes senden, den wir selbst auswählen durften. Die Kämpfe, die wir zu kolonialen Zwecken zu bestehen hatten, hatten keinen Einfluß auf dieses Verhältnis der Dinge. In diesem Falle hatten beide Mächte ihre Streitlüste auswärts zu senden, und unsre Herrschaft zur See setzte uns in den Stand, den überseeischen Besitzungen unsers Gegners die von daheim zur Unterstützung zugeschickten Hilfstruppen abzuschneiden. Jetzt aber haben wir eine Landgrenze gegen Nußland zu verteidigen. Und ferner: jetzt ist es Ru߬ land, welches zu Hause ist und nach Belieben Ort und Stunde zum Angriffe wählen kann. Wir stehen daher zu diesen, in derselben Beziehung wie Deutsch¬ land und Österreich. Daraus ergiebt sich die unvermeidliche Folgerung, daß wir von jetzt an allezeit ganz ebenso wie Deutschland und Österreich vorbereitet sein müssen, unsre Landgrenze mit Übermacht an Streitmitteln zu verteidigen, sonst haben wir zu erwarten, daß wir unterliegen und der Unterjochung anheimfallen werden. Es ist ja wahr, daß es in unserm Falle Indiens, nicht Großbritannien sein würde, welches der Eroberung versiele. Aber wenn wir die Verteidigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/291>, abgerufen am 25.08.2024.