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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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schiedenste Wille des mächtigsten Selbstherrschers, Es giebt auf der einen Seite
eine öffentliche Meinung oder vielmehr den rohen, aber unwiderstehlichen In¬
stinkt der Massen, und auf der andern die unerbittliche Logik der Ereignisse,
die Fatalität der Geschichte, die nicht gestatten, daß in der fortdauernden Ent¬
wicklung oder dem Vorwärtsgange eines großen Volkes nach der Erfüllung seiner
Geschicke und Aufgaben Halt gemacht werde."

Die Schlüsse, die das Blatt aus diesen Sätzen abgeleitet zu sehen
wünscht und denen wir uns anschließen möchten, lauten etwa folgendermaßen:
Herrn Gladstones angelegentliche Werbungen um die Freundschaft Rußlands
kamen zu spät und haben ganz und gar keinen Nutzen, wenn damit der Zweck
verfolgt wird, Indien Sicherheit zu verschaffen. Soll die Macht und Geltung
Englands im Osten der alten Welt nicht rasch abnehmen und schließlich ganz
in die Brüche gehen, so muß der leitende Minister Großbritanniens seine bis¬
herige Haltung in diesen Angelegenheiten aufgeben und zu der festen und mut-
vvllen Politik seines Vorgängers Bcaconsfield zurückkehren.

Was aber die militärische Seite der Frage betrifft, so fragt sich sehr, ob
die hier empfohlene energische Politik des verstorbenen Führers der englischen
Konservativen sich mit Aussicht auf dauernden Erfolg durchführen lassen, mit
andern Worten, ob England bei seiner jetzigen Wehrversassung imstande sein
wird, einen Krieg in großem Stile, wie ihn die Verteidigung Indiens gegen
eine Macht wie Rußland erfordern würde, zu führen und bald oder doch zuletzt
zu siegen. Sehr interessant ist in dieser Beziehung ein Artikel der Le. .Isimo"
(la^veto vom 17. Januar d. I., welcher den Titel 2?n<z vstenoo cet ImUs trügt
und in welchem allem Anscheine nach ein Sachkenner sich ausspricht, womit
indes nicht ausgedrückt werden soll, daß er das betreffende Problem hinreichend
löse. Der Verfasser, I. Bvyd Kinnear, sagt hier, nachdem er vorausgeschickt
hat, daß er sich an die Prüfung der Angelegenheit weder als geängstigt und
verblendet von übertriebenen Befürchtungen vor Nußland begebe, noch zu Partei¬
zwecken Lärm zu schlagen beabsichtige, und daß er vielmehr einerseits das Vor¬
dringen der Russen in Asien stets als unvermeidlich und schließlich dem bri¬
tischen Interesse uicht unbedingt feindlich betrachtet, andrerseits immer gegen
eine Vermehrung der Rüstungen daheim gesprochen habe: "Aber jenes Vor¬
dringen hat gegenwärtig eine Stelle erreicht, wo wir uns gezwungen sehen,
die thatsächliche Lage mit ruhigem Verstände zu überschauen. Die Theorie von
einem ueutralisirten Gebietsgürtel zwischen unsrer indischen Grenze und der des
russischen Reiches, im beseelt Falle nur eine uichtsbedeutende Redensart, ein
Wortgcspinnst (vsrb-z.1 rrmIcWtlil't), ist jetzt praktisch aufgegeben. Die Absicht der
russischen Regierung, uns zu bedrohen, ist deutlich erkennbar. Ihre Vorposten
stehen bereits ganz dicht an der afghanischen Grenze, deren Verbindungen mit
ihrer Operationsbasis sind gesichert lind erfahren Tag für Tag Verbesserungen,
und es drängt sich uns die Frage auf: an welchem Punkte werden wir uns


schiedenste Wille des mächtigsten Selbstherrschers, Es giebt auf der einen Seite
eine öffentliche Meinung oder vielmehr den rohen, aber unwiderstehlichen In¬
stinkt der Massen, und auf der andern die unerbittliche Logik der Ereignisse,
die Fatalität der Geschichte, die nicht gestatten, daß in der fortdauernden Ent¬
wicklung oder dem Vorwärtsgange eines großen Volkes nach der Erfüllung seiner
Geschicke und Aufgaben Halt gemacht werde."

Die Schlüsse, die das Blatt aus diesen Sätzen abgeleitet zu sehen
wünscht und denen wir uns anschließen möchten, lauten etwa folgendermaßen:
Herrn Gladstones angelegentliche Werbungen um die Freundschaft Rußlands
kamen zu spät und haben ganz und gar keinen Nutzen, wenn damit der Zweck
verfolgt wird, Indien Sicherheit zu verschaffen. Soll die Macht und Geltung
Englands im Osten der alten Welt nicht rasch abnehmen und schließlich ganz
in die Brüche gehen, so muß der leitende Minister Großbritanniens seine bis¬
herige Haltung in diesen Angelegenheiten aufgeben und zu der festen und mut-
vvllen Politik seines Vorgängers Bcaconsfield zurückkehren.

Was aber die militärische Seite der Frage betrifft, so fragt sich sehr, ob
die hier empfohlene energische Politik des verstorbenen Führers der englischen
Konservativen sich mit Aussicht auf dauernden Erfolg durchführen lassen, mit
andern Worten, ob England bei seiner jetzigen Wehrversassung imstande sein
wird, einen Krieg in großem Stile, wie ihn die Verteidigung Indiens gegen
eine Macht wie Rußland erfordern würde, zu führen und bald oder doch zuletzt
zu siegen. Sehr interessant ist in dieser Beziehung ein Artikel der Le. .Isimo«
(la^veto vom 17. Januar d. I., welcher den Titel 2?n<z vstenoo cet ImUs trügt
und in welchem allem Anscheine nach ein Sachkenner sich ausspricht, womit
indes nicht ausgedrückt werden soll, daß er das betreffende Problem hinreichend
löse. Der Verfasser, I. Bvyd Kinnear, sagt hier, nachdem er vorausgeschickt
hat, daß er sich an die Prüfung der Angelegenheit weder als geängstigt und
verblendet von übertriebenen Befürchtungen vor Nußland begebe, noch zu Partei¬
zwecken Lärm zu schlagen beabsichtige, und daß er vielmehr einerseits das Vor¬
dringen der Russen in Asien stets als unvermeidlich und schließlich dem bri¬
tischen Interesse uicht unbedingt feindlich betrachtet, andrerseits immer gegen
eine Vermehrung der Rüstungen daheim gesprochen habe: „Aber jenes Vor¬
dringen hat gegenwärtig eine Stelle erreicht, wo wir uns gezwungen sehen,
die thatsächliche Lage mit ruhigem Verstände zu überschauen. Die Theorie von
einem ueutralisirten Gebietsgürtel zwischen unsrer indischen Grenze und der des
russischen Reiches, im beseelt Falle nur eine uichtsbedeutende Redensart, ein
Wortgcspinnst (vsrb-z.1 rrmIcWtlil't), ist jetzt praktisch aufgegeben. Die Absicht der
russischen Regierung, uns zu bedrohen, ist deutlich erkennbar. Ihre Vorposten
stehen bereits ganz dicht an der afghanischen Grenze, deren Verbindungen mit
ihrer Operationsbasis sind gesichert lind erfahren Tag für Tag Verbesserungen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/290>, abgerufen am 23.07.2024.