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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und Rußland in Asien.

um den Anforderungen seiner Lage zu genügen. Man erwiedert: Soldaten,
Kanonen, Vorräte lassen sich rasch von hier hinsenden, aber wir möchten die
Meinung des Kriegsministeriums darüber hören. Die Truppen würden durch
Zauber beschafft oder es würde das Vereinigte Königreich von Soldaten ent¬
blößt werden müssen. Das ist keine erfreuliche Aussicht und natürlich sehr
"alarmistisch," aber es enthüllt die Wahrheit, und je rascher wir' nach der Lehre,
die es enthält, handeln, umso bessere Hoffnung werden wir haben, Indien un¬
berührt zu sehen und einige andre Dinge zu behalten, welche phantasievolle
Politiker wegzuwerfen Lust zu haben scheinen."

Wir ergänzen diesen Notschrei zunächst dnrch einen Überblick über das
Vordringen Rußlands in der jüngsten Zeit, den wir aus andern guten Berichten
zusammenstellen. Bekannt ist, daß die Russen einen großen Teil der Turkmenen-
stcimme im Norden von Afghanistan unterwarfen, welche früher ihre Raubzüge
über die benachbarte" russischen und persischen Provinzen ausdehnten und von
Persien wiederholt ohne Erfolg bekämpft worden waren, und über welche uns
der englische Reisende O'Donovan, der sie vor einigen Jahren in Merw besuchte,
ausführliche und zuverlässige Mitteilungen gemacht hat,"') aus denen wir n. a.
ersehen, daß es unter den Telles von Merw vor vier Jahren eine zu England
hinneigende und mit Aufwendung einer Summe Geldes leicht zu gewinnende
Partei gab. Rußland spielte hier das Prävenire und gelangte, nachdem es
früher die Jamudeu unterworfen, dann unter General Lomcckin eine Niederlage
erlitten, dann aber unter Skobeleff wieder Erfolge errungen hatte, bald nach der
Erstürmung von Geol-Tepe mit Einwilligung der Häuptlinge ans gütlichem Wege
in den Besitz jener wichtigen Oase, durch deren Erwerbung und Besetzung es
jetzt das Chenal Chiwa von allen Seiten umfaßt. Merw und das seitwärts
davon gelegene Sarachs sollen nun befestigt werden, und es ist jetzt so gut
wie sicher, daß demnächst auch Chiwa dem russischen Reiche einverleibt werden
wird. Die Beziehungen zwischen diesem und dem Charade sind neuerdings sehr
gespannte geworden. Die Russen hatten dem Chan während der Moskaner
Krönung allerlei Aufmerksamkeiten und Auszeichnungen erwiesen und hielten
ihn für ihrer Sache ergeben, erfuhren aber dann, daß er ihnen feindlich gesinnt
sei und dies kaum noch verberge. Er gewährte räuberischen Tekinzen Zuflucht,
gestattete ihnen Streifzüge in das russische Gebiet hinein und teilte mit ihnen
ihre Bente. Die früher ziemlich sichere Handelsstraße zwischen Krcisnvwodsk
und Chiwa ist jetzt sehr gefährlich geworden, und es ist wiederholt vorgekommen,
daß hier nicht nur einzelne Reisende, sondern ganze Karawanen russischer Kauf¬
leute angefallen und beraubt worden sind. Man geht infolge dessen mit
energischen Maßregeln um, und bereits hat sich die russische Regierung, um



*) In dem zweibändigen Werke: Uorv 0-this, 'Il-g.vsls ana ^.ävsnturss vast
dew C"sxi"u ÄurivK ils?hin-L 1879 -1881 Vänwnä O'vonovim.. KoMon, 1882.
England und Rußland in Asien.

um den Anforderungen seiner Lage zu genügen. Man erwiedert: Soldaten,
Kanonen, Vorräte lassen sich rasch von hier hinsenden, aber wir möchten die
Meinung des Kriegsministeriums darüber hören. Die Truppen würden durch
Zauber beschafft oder es würde das Vereinigte Königreich von Soldaten ent¬
blößt werden müssen. Das ist keine erfreuliche Aussicht und natürlich sehr
»alarmistisch,« aber es enthüllt die Wahrheit, und je rascher wir' nach der Lehre,
die es enthält, handeln, umso bessere Hoffnung werden wir haben, Indien un¬
berührt zu sehen und einige andre Dinge zu behalten, welche phantasievolle
Politiker wegzuwerfen Lust zu haben scheinen."

Wir ergänzen diesen Notschrei zunächst dnrch einen Überblick über das
Vordringen Rußlands in der jüngsten Zeit, den wir aus andern guten Berichten
zusammenstellen. Bekannt ist, daß die Russen einen großen Teil der Turkmenen-
stcimme im Norden von Afghanistan unterwarfen, welche früher ihre Raubzüge
über die benachbarte« russischen und persischen Provinzen ausdehnten und von
Persien wiederholt ohne Erfolg bekämpft worden waren, und über welche uns
der englische Reisende O'Donovan, der sie vor einigen Jahren in Merw besuchte,
ausführliche und zuverlässige Mitteilungen gemacht hat,"') aus denen wir n. a.
ersehen, daß es unter den Telles von Merw vor vier Jahren eine zu England
hinneigende und mit Aufwendung einer Summe Geldes leicht zu gewinnende
Partei gab. Rußland spielte hier das Prävenire und gelangte, nachdem es
früher die Jamudeu unterworfen, dann unter General Lomcckin eine Niederlage
erlitten, dann aber unter Skobeleff wieder Erfolge errungen hatte, bald nach der
Erstürmung von Geol-Tepe mit Einwilligung der Häuptlinge ans gütlichem Wege
in den Besitz jener wichtigen Oase, durch deren Erwerbung und Besetzung es
jetzt das Chenal Chiwa von allen Seiten umfaßt. Merw und das seitwärts
davon gelegene Sarachs sollen nun befestigt werden, und es ist jetzt so gut
wie sicher, daß demnächst auch Chiwa dem russischen Reiche einverleibt werden
wird. Die Beziehungen zwischen diesem und dem Charade sind neuerdings sehr
gespannte geworden. Die Russen hatten dem Chan während der Moskaner
Krönung allerlei Aufmerksamkeiten und Auszeichnungen erwiesen und hielten
ihn für ihrer Sache ergeben, erfuhren aber dann, daß er ihnen feindlich gesinnt
sei und dies kaum noch verberge. Er gewährte räuberischen Tekinzen Zuflucht,
gestattete ihnen Streifzüge in das russische Gebiet hinein und teilte mit ihnen
ihre Bente. Die früher ziemlich sichere Handelsstraße zwischen Krcisnvwodsk
und Chiwa ist jetzt sehr gefährlich geworden, und es ist wiederholt vorgekommen,
daß hier nicht nur einzelne Reisende, sondern ganze Karawanen russischer Kauf¬
leute angefallen und beraubt worden sind. Man geht infolge dessen mit
energischen Maßregeln um, und bereits hat sich die russische Regierung, um



*) In dem zweibändigen Werke: Uorv 0-this, 'Il-g.vsls ana ^.ävsnturss vast
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[0286] England und Rußland in Asien. um den Anforderungen seiner Lage zu genügen. Man erwiedert: Soldaten, Kanonen, Vorräte lassen sich rasch von hier hinsenden, aber wir möchten die Meinung des Kriegsministeriums darüber hören. Die Truppen würden durch Zauber beschafft oder es würde das Vereinigte Königreich von Soldaten ent¬ blößt werden müssen. Das ist keine erfreuliche Aussicht und natürlich sehr »alarmistisch,« aber es enthüllt die Wahrheit, und je rascher wir' nach der Lehre, die es enthält, handeln, umso bessere Hoffnung werden wir haben, Indien un¬ berührt zu sehen und einige andre Dinge zu behalten, welche phantasievolle Politiker wegzuwerfen Lust zu haben scheinen." Wir ergänzen diesen Notschrei zunächst dnrch einen Überblick über das Vordringen Rußlands in der jüngsten Zeit, den wir aus andern guten Berichten zusammenstellen. Bekannt ist, daß die Russen einen großen Teil der Turkmenen- stcimme im Norden von Afghanistan unterwarfen, welche früher ihre Raubzüge über die benachbarte« russischen und persischen Provinzen ausdehnten und von Persien wiederholt ohne Erfolg bekämpft worden waren, und über welche uns der englische Reisende O'Donovan, der sie vor einigen Jahren in Merw besuchte, ausführliche und zuverlässige Mitteilungen gemacht hat,"') aus denen wir n. a. ersehen, daß es unter den Telles von Merw vor vier Jahren eine zu England hinneigende und mit Aufwendung einer Summe Geldes leicht zu gewinnende Partei gab. Rußland spielte hier das Prävenire und gelangte, nachdem es früher die Jamudeu unterworfen, dann unter General Lomcckin eine Niederlage erlitten, dann aber unter Skobeleff wieder Erfolge errungen hatte, bald nach der Erstürmung von Geol-Tepe mit Einwilligung der Häuptlinge ans gütlichem Wege in den Besitz jener wichtigen Oase, durch deren Erwerbung und Besetzung es jetzt das Chenal Chiwa von allen Seiten umfaßt. Merw und das seitwärts davon gelegene Sarachs sollen nun befestigt werden, und es ist jetzt so gut wie sicher, daß demnächst auch Chiwa dem russischen Reiche einverleibt werden wird. Die Beziehungen zwischen diesem und dem Charade sind neuerdings sehr gespannte geworden. Die Russen hatten dem Chan während der Moskaner Krönung allerlei Aufmerksamkeiten und Auszeichnungen erwiesen und hielten ihn für ihrer Sache ergeben, erfuhren aber dann, daß er ihnen feindlich gesinnt sei und dies kaum noch verberge. Er gewährte räuberischen Tekinzen Zuflucht, gestattete ihnen Streifzüge in das russische Gebiet hinein und teilte mit ihnen ihre Bente. Die früher ziemlich sichere Handelsstraße zwischen Krcisnvwodsk und Chiwa ist jetzt sehr gefährlich geworden, und es ist wiederholt vorgekommen, daß hier nicht nur einzelne Reisende, sondern ganze Karawanen russischer Kauf¬ leute angefallen und beraubt worden sind. Man geht infolge dessen mit energischen Maßregeln um, und bereits hat sich die russische Regierung, um *) In dem zweibändigen Werke: Uorv 0-this, 'Il-g.vsls ana ^.ävsnturss vast dew C»sxi»u ÄurivK ils?hin-L 1879 -1881 Vänwnä O'vonovim.. KoMon, 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/286>, abgerufen am 23.07.2024.