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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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"Lord Mayo, Lord Northbrook, Lord Lytton wurden, so schreibt der Verfasser
des hier zitirten Artikels ferner, mehr oder minder gelähmt durch irrige Schlüsse
und Parteifordcrungcn, die daheim ausgeheckt waren, und Lord Ripou besaß
weder das Temperament noch die Befähigung, die der Gelegenheit gewachsen
waren, und so ist auf Lord Dufferins Schulter, der ebenfalls den in der ewig
wechselnden Atmosphäre von Westminster entstehenden Einflüssen ausgesetzt sein
wird, eine schwere Last geladen, jwozu wir bemerken, daß diese Last eine doppelte
ist, da der neue oberste Vertreter der britischen Regierung in Indien nicht allein
die Aufgabe, Schutzmaßregeln gegen die von Norden drohende Invasion auf¬
zufinden, hat. sondern auch die Auslosung der zum Teil sehr starken Armeen
der einheimischen Fürsten in die Hand nehmen soll^. Der Kampf der Klassen
und Nassen, welchen der abgetretene Vizekönig begann, war nicht geeignet, die
Wurzeln unsrer Macht zu festigen. Die Ausdehnung der Eisenbahnen ist die
einzige deutlich erkennbare Vorbereitung dazu, sehr wahrscheinlich gewordenen
Ereignissen die Spitze bieten zu können. Im übrigen ist keine einzige der
Maßregeln zur Ausführung gelangt, welche nach dem großen Militäraufstande
öder Sipoy-Rebellion der fünfziger Jahres empfohlen wurden. Es ist eine er¬
schreckende Thatsache, daß, obwohl Indien aufgehört hat, "eine Insel" gegenüber
den Großmächten zu sein und obwohl auf einer Seite die Franzosen gegen
Tonking und selbst gegen Sieur vorzurücken anfangen und auf der andern
Rußland in Schlagweite vor Herat und Kabul steht, wir im Reiche weniger
Bewaffnete haben als selbst vor jenem Aufstande. Die eingeborne Armee in
Indien wurde um fast die Hälfte ihrer früheren Stärke vermindert, und wenn
die britischen Steitkräfte vermehrt wurden, so hat man die damals festgesetzte
Durchschnittszahl derselbe" nicht beibehalten, sodaß sie jetzt sogar schwächer ist
als vor einigen Jahren. Nichts ist geschehen, um von den durch die eingebogen
Fürsten gesammelten Truppen, von denen einige gut, andre schlecht sind, Gebrauch
wachen zu können, ausgenommen allein diejenigen, deren Schicksal mit dem
unsrigen verknüpft ist. Wir haben keinerlei neue Festungswerke augelegt und
keine Schutzmittel in der Nachbarschaft der großen Städte geschaffen. In demselben
Augenblicke, wo eine schwarze Gewitterwolke am Horizont aufsteigt, würde die
indische Negierung. wenn sie durch kühnen Angriff an der nordwestlichen Grenze
gefährdet würde, es höchst schwierig finden, eine Streitkraft von allen Waffen¬
gattungen zusammenzubringen, die vollen Anspruch ans die Bedeutung und den
Namen einer Armee hätte... Wir haben zwei weitverbreitete Schulen, die sich
und dieser Verteidigungsfrage beschäftigen und von denen die eine sich einer
russischen Invasion am Indus entgegenstellen will, während die andre empfiehlt,
dem Feinde an den Pässen entgegenzutreten. Jene würde eine Armee in Pendschab
und Seirbe sammeln, diese würde sie nach Afghanistan führen. Ohne eine der
einen oder der andern Partei günstige oder widersprechende Meinung zu äußern,
erklären wir mit vollem Bedacht: Indien besitzt nicht die militärischen Mittel,


Grmzbotml. 188S, 32

„Lord Mayo, Lord Northbrook, Lord Lytton wurden, so schreibt der Verfasser
des hier zitirten Artikels ferner, mehr oder minder gelähmt durch irrige Schlüsse
und Parteifordcrungcn, die daheim ausgeheckt waren, und Lord Ripou besaß
weder das Temperament noch die Befähigung, die der Gelegenheit gewachsen
waren, und so ist auf Lord Dufferins Schulter, der ebenfalls den in der ewig
wechselnden Atmosphäre von Westminster entstehenden Einflüssen ausgesetzt sein
wird, eine schwere Last geladen, jwozu wir bemerken, daß diese Last eine doppelte
ist, da der neue oberste Vertreter der britischen Regierung in Indien nicht allein
die Aufgabe, Schutzmaßregeln gegen die von Norden drohende Invasion auf¬
zufinden, hat. sondern auch die Auslosung der zum Teil sehr starken Armeen
der einheimischen Fürsten in die Hand nehmen soll^. Der Kampf der Klassen
und Nassen, welchen der abgetretene Vizekönig begann, war nicht geeignet, die
Wurzeln unsrer Macht zu festigen. Die Ausdehnung der Eisenbahnen ist die
einzige deutlich erkennbare Vorbereitung dazu, sehr wahrscheinlich gewordenen
Ereignissen die Spitze bieten zu können. Im übrigen ist keine einzige der
Maßregeln zur Ausführung gelangt, welche nach dem großen Militäraufstande
öder Sipoy-Rebellion der fünfziger Jahres empfohlen wurden. Es ist eine er¬
schreckende Thatsache, daß, obwohl Indien aufgehört hat, »eine Insel« gegenüber
den Großmächten zu sein und obwohl auf einer Seite die Franzosen gegen
Tonking und selbst gegen Sieur vorzurücken anfangen und auf der andern
Rußland in Schlagweite vor Herat und Kabul steht, wir im Reiche weniger
Bewaffnete haben als selbst vor jenem Aufstande. Die eingeborne Armee in
Indien wurde um fast die Hälfte ihrer früheren Stärke vermindert, und wenn
die britischen Steitkräfte vermehrt wurden, so hat man die damals festgesetzte
Durchschnittszahl derselbe» nicht beibehalten, sodaß sie jetzt sogar schwächer ist
als vor einigen Jahren. Nichts ist geschehen, um von den durch die eingebogen
Fürsten gesammelten Truppen, von denen einige gut, andre schlecht sind, Gebrauch
wachen zu können, ausgenommen allein diejenigen, deren Schicksal mit dem
unsrigen verknüpft ist. Wir haben keinerlei neue Festungswerke augelegt und
keine Schutzmittel in der Nachbarschaft der großen Städte geschaffen. In demselben
Augenblicke, wo eine schwarze Gewitterwolke am Horizont aufsteigt, würde die
indische Negierung. wenn sie durch kühnen Angriff an der nordwestlichen Grenze
gefährdet würde, es höchst schwierig finden, eine Streitkraft von allen Waffen¬
gattungen zusammenzubringen, die vollen Anspruch ans die Bedeutung und den
Namen einer Armee hätte... Wir haben zwei weitverbreitete Schulen, die sich
und dieser Verteidigungsfrage beschäftigen und von denen die eine sich einer
russischen Invasion am Indus entgegenstellen will, während die andre empfiehlt,
dem Feinde an den Pässen entgegenzutreten. Jene würde eine Armee in Pendschab
und Seirbe sammeln, diese würde sie nach Afghanistan führen. Ohne eine der
einen oder der andern Partei günstige oder widersprechende Meinung zu äußern,
erklären wir mit vollem Bedacht: Indien besitzt nicht die militärischen Mittel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/285>, abgerufen am 23.07.2024.