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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Dyncimitattentate in London.

und demselben Tage beraten und angenommen; das deutsche Reich hat mit
seinem Gesetz vom 9. Juni 1884 gegen den verbrecherischen und gemeingefähr¬
lichen Gebrauch von Sprengstoffen ebenfalls seinen Behörden eine brauchbare
Waffe in die Hand gegeben, und auch die Vereinigten Staaten scheinen dem
allgemeinen Bedürfnisse nunmehr Rechnung tragen zu wollen, indem von dem
Senator Edmunds in den letzten Tagen ein Gesetzentwurf bei dem Senate ein¬
gebracht worden ist, in welchem neben den Maßregeln zur Bestrafung der durch
Explosivstoffe begangenen Verbrechen und zur Verhinderung solcher Verbrechen
anch die Bestrafung einer jeden wissentlichen Beteiligung an der Transportirung und
Ablieferung von Sprengstoffen für verbrecherische Zwecke mit Strafe bedroht wird.

Wenn nun auch mit diesen von den einzelnen Ländern angenommenen
Gesetzen der Anfang zur wirksamen Bekämpfung der überall verbreiteten
Anarchistenbande gemacht ist, so genügen doch die bisherigen Maßregeln
keineswegs, um die Seuche mit der Wurzel auszurotten. Es ist eine
Vereinbarung sämtlicher kultivirten Nationen dahin nötig, daß alle Anarchisten¬
attentate verfolgt werden, sie mögen begangen worden sein, wo sie wollen; die
Anarchisten müssen gegenseitig ausgeliefert werden, es darf für dieselben keine
Stätte mehr geben, von welcher aus sie ihre Brandreden ungestraft in die Welt
gehen lassen können, ob dieselben nun zum Augriff gegen den Staat aufreizen,
in welchem sie sich augenblicklich befinden, oder gegen einen andern; die sämt¬
lichen Staaten dürfen keinen Unterschied mehr darin machen, unter welcher
Firma das Verbrechen gepredigt wird, und ganz besonders muß der Wahn
fallen, ein zu sogenannten politischen Zwecken verübtes oder geplantes Ver¬
brechen habe irgendeinen Anspruch auf andre Behandlung und Beurteilung als
jedes andre. Einen Schritt in dieser Richtung haben Preußen und Rußland
mit dem unter dem 13. Januar d. I. in Se. Petersburg vereinbarten Vertrage
über die gegenseitige Auslieferung der Verbrecher gethan, und es ist Aussicht
vorhanden, daß in nächster Zeit Österreich diesem Vertrage beitreten wird. Der
Inhalt dieser auf die jüngste Zusammenkunft der drei Monarchen in Skicrniewiee
zurückzuführenden Vereinbarung geht dahin, daß wegen Totschlags, Thätlichkeit,
Körperverletzung, vorsätzlicher Freiheitsberaubung, Beleidigung gegenüber dem
Kaiser oder einem Mitgliede seiner Familie, sowie wegen Vorbereitung einer dieser
Handlungen, wegen Mordes, Mordversuchs, strafbarer Herstellung oder Jnnehabung
von Spreugstoffen die Auslieferung des Verbrechers auf Verlangen erfolgen
soll, ohne Unterschied, ob das betreffende Verbrechen in einer politischen Absicht
begangen worden sei oder nicht, und daß in allen andern Fällen eines Ver¬
brechens oder Vergehens die Auslieferung des betreffenden Unterthanen von
der ersuchten Regierung in Erwägung gezogen und derselben, wenn nichts
entgegensteht, stattgegeben werden soll.

Den "liberalen" Blättern ist diese Vereinbarung natürlich wieder bedenklich,
sie finden insbesondre, daß die zweite Bestimmung hinsichtlich der Auslieferung


Die Dyncimitattentate in London.

und demselben Tage beraten und angenommen; das deutsche Reich hat mit
seinem Gesetz vom 9. Juni 1884 gegen den verbrecherischen und gemeingefähr¬
lichen Gebrauch von Sprengstoffen ebenfalls seinen Behörden eine brauchbare
Waffe in die Hand gegeben, und auch die Vereinigten Staaten scheinen dem
allgemeinen Bedürfnisse nunmehr Rechnung tragen zu wollen, indem von dem
Senator Edmunds in den letzten Tagen ein Gesetzentwurf bei dem Senate ein¬
gebracht worden ist, in welchem neben den Maßregeln zur Bestrafung der durch
Explosivstoffe begangenen Verbrechen und zur Verhinderung solcher Verbrechen
anch die Bestrafung einer jeden wissentlichen Beteiligung an der Transportirung und
Ablieferung von Sprengstoffen für verbrecherische Zwecke mit Strafe bedroht wird.

Wenn nun auch mit diesen von den einzelnen Ländern angenommenen
Gesetzen der Anfang zur wirksamen Bekämpfung der überall verbreiteten
Anarchistenbande gemacht ist, so genügen doch die bisherigen Maßregeln
keineswegs, um die Seuche mit der Wurzel auszurotten. Es ist eine
Vereinbarung sämtlicher kultivirten Nationen dahin nötig, daß alle Anarchisten¬
attentate verfolgt werden, sie mögen begangen worden sein, wo sie wollen; die
Anarchisten müssen gegenseitig ausgeliefert werden, es darf für dieselben keine
Stätte mehr geben, von welcher aus sie ihre Brandreden ungestraft in die Welt
gehen lassen können, ob dieselben nun zum Augriff gegen den Staat aufreizen,
in welchem sie sich augenblicklich befinden, oder gegen einen andern; die sämt¬
lichen Staaten dürfen keinen Unterschied mehr darin machen, unter welcher
Firma das Verbrechen gepredigt wird, und ganz besonders muß der Wahn
fallen, ein zu sogenannten politischen Zwecken verübtes oder geplantes Ver¬
brechen habe irgendeinen Anspruch auf andre Behandlung und Beurteilung als
jedes andre. Einen Schritt in dieser Richtung haben Preußen und Rußland
mit dem unter dem 13. Januar d. I. in Se. Petersburg vereinbarten Vertrage
über die gegenseitige Auslieferung der Verbrecher gethan, und es ist Aussicht
vorhanden, daß in nächster Zeit Österreich diesem Vertrage beitreten wird. Der
Inhalt dieser auf die jüngste Zusammenkunft der drei Monarchen in Skicrniewiee
zurückzuführenden Vereinbarung geht dahin, daß wegen Totschlags, Thätlichkeit,
Körperverletzung, vorsätzlicher Freiheitsberaubung, Beleidigung gegenüber dem
Kaiser oder einem Mitgliede seiner Familie, sowie wegen Vorbereitung einer dieser
Handlungen, wegen Mordes, Mordversuchs, strafbarer Herstellung oder Jnnehabung
von Spreugstoffen die Auslieferung des Verbrechers auf Verlangen erfolgen
soll, ohne Unterschied, ob das betreffende Verbrechen in einer politischen Absicht
begangen worden sei oder nicht, und daß in allen andern Fällen eines Ver¬
brechens oder Vergehens die Auslieferung des betreffenden Unterthanen von
der ersuchten Regierung in Erwägung gezogen und derselben, wenn nichts
entgegensteht, stattgegeben werden soll.

Den „liberalen" Blättern ist diese Vereinbarung natürlich wieder bedenklich,
sie finden insbesondre, daß die zweite Bestimmung hinsichtlich der Auslieferung


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[0278] Die Dyncimitattentate in London. und demselben Tage beraten und angenommen; das deutsche Reich hat mit seinem Gesetz vom 9. Juni 1884 gegen den verbrecherischen und gemeingefähr¬ lichen Gebrauch von Sprengstoffen ebenfalls seinen Behörden eine brauchbare Waffe in die Hand gegeben, und auch die Vereinigten Staaten scheinen dem allgemeinen Bedürfnisse nunmehr Rechnung tragen zu wollen, indem von dem Senator Edmunds in den letzten Tagen ein Gesetzentwurf bei dem Senate ein¬ gebracht worden ist, in welchem neben den Maßregeln zur Bestrafung der durch Explosivstoffe begangenen Verbrechen und zur Verhinderung solcher Verbrechen anch die Bestrafung einer jeden wissentlichen Beteiligung an der Transportirung und Ablieferung von Sprengstoffen für verbrecherische Zwecke mit Strafe bedroht wird. Wenn nun auch mit diesen von den einzelnen Ländern angenommenen Gesetzen der Anfang zur wirksamen Bekämpfung der überall verbreiteten Anarchistenbande gemacht ist, so genügen doch die bisherigen Maßregeln keineswegs, um die Seuche mit der Wurzel auszurotten. Es ist eine Vereinbarung sämtlicher kultivirten Nationen dahin nötig, daß alle Anarchisten¬ attentate verfolgt werden, sie mögen begangen worden sein, wo sie wollen; die Anarchisten müssen gegenseitig ausgeliefert werden, es darf für dieselben keine Stätte mehr geben, von welcher aus sie ihre Brandreden ungestraft in die Welt gehen lassen können, ob dieselben nun zum Augriff gegen den Staat aufreizen, in welchem sie sich augenblicklich befinden, oder gegen einen andern; die sämt¬ lichen Staaten dürfen keinen Unterschied mehr darin machen, unter welcher Firma das Verbrechen gepredigt wird, und ganz besonders muß der Wahn fallen, ein zu sogenannten politischen Zwecken verübtes oder geplantes Ver¬ brechen habe irgendeinen Anspruch auf andre Behandlung und Beurteilung als jedes andre. Einen Schritt in dieser Richtung haben Preußen und Rußland mit dem unter dem 13. Januar d. I. in Se. Petersburg vereinbarten Vertrage über die gegenseitige Auslieferung der Verbrecher gethan, und es ist Aussicht vorhanden, daß in nächster Zeit Österreich diesem Vertrage beitreten wird. Der Inhalt dieser auf die jüngste Zusammenkunft der drei Monarchen in Skicrniewiee zurückzuführenden Vereinbarung geht dahin, daß wegen Totschlags, Thätlichkeit, Körperverletzung, vorsätzlicher Freiheitsberaubung, Beleidigung gegenüber dem Kaiser oder einem Mitgliede seiner Familie, sowie wegen Vorbereitung einer dieser Handlungen, wegen Mordes, Mordversuchs, strafbarer Herstellung oder Jnnehabung von Spreugstoffen die Auslieferung des Verbrechers auf Verlangen erfolgen soll, ohne Unterschied, ob das betreffende Verbrechen in einer politischen Absicht begangen worden sei oder nicht, und daß in allen andern Fällen eines Ver¬ brechens oder Vergehens die Auslieferung des betreffenden Unterthanen von der ersuchten Regierung in Erwägung gezogen und derselben, wenn nichts entgegensteht, stattgegeben werden soll. Den „liberalen" Blättern ist diese Vereinbarung natürlich wieder bedenklich, sie finden insbesondre, daß die zweite Bestimmung hinsichtlich der Auslieferung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/278>, abgerufen am 22.07.2024.