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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

Der "blasse Heinrich" entgegnete: Diesen Katcilogos sollte ich zu meiner
Ilias verwenden können? Da, Thersites! Er reichte ihm das Blatt zurück,
und Kautschuk gab es dem Archimedes mit denselben Worten, aber mit andrer
Betonung: Da, Thersites!

Archimedes machte ein bitterböses Gesicht und verließ das Zimmer.

Was ist das für eine widerwärtige Art, die jede Verständigung aus¬
schließt! rief jetzt der "blasse Heinrich" mit gewaltiger Stimme. Es klang wie
ein Wetter, das zu Thale zieht. Wer mit mir etwa anbinden will, der sage
es bald heraus; den Archimedes werde ich versöhnen, seine Aufzeichnungen
mögen dem Gymnasialdirektor zur Verfügung gestellt werden, der sie vermutlich
bei statistischen Mitteilungen wird brauchen können, dem Verfasser aber werde
ich sagen, daß er sich einen untüchtigen Mittelsmann gewählt hat. Das gilt
diesem Herrn hier, fügte er hinzu.

Aber Freunde! Kommilitioncn! Friede doch! begann Reitz.

Der "blasse Heinrich" hat Recht, warf Pipin dazwischen.

Völlig Recht! fügte Mirbl bei. Auch Genserich bezeugte mit Blicken, wie
unzufrieden er mit Kautschuks Benehmen sei, und gebot dann: Verständige
euch, ihr Herren!

Das meine ich auch! rief der Geistliche. Der "blasse Heinrich" mag sich
unsrer Tagesordnung fügen und seine vitg, weiter erzählen. Zugleich hielt er
Kautschuk zurück, der aufgestanden war und ein Gesicht machte wie ein Makao¬
spieler, wenn er sich mit dem Schlagacht verrechnet hat.

Der "blasse Heinrich" fügte sich und fuhr in seiner Erzählung sort: Mein
Tiefriß war längst vernarbt, und ich wartete immer noch auf meine Anstellung;
endlich erfuhr ich, daß ich als Burschenschafter kompromittirt und anstcllungs-
unfcihig sei. Meine Mutter lag schon lange krank darnieder, meine Schwester
mußte im Institut ausgebildet, mein Bruder auf dem Gymnasium erhalten
werden; ich als Ältester hatte die Pflicht vom Vater überkommen. Ich habe
die Pflicht erfüllt, wenn auch meine großen Hoffnungen und meine schönen
Luftschlösser dabei zu gründe gegangen sind. Dozent auf der Hochschule hatte
ich werden wollen, die Dissertation war fertig. Sie mußte weggelegt werden,
und sie ist längst beseitigt. Ich kam in die Tretmühle des Privatunterrichtes,
in welcher allein der nötige Gelderwerb für mich möglich war. Es glückte mir
besonders mit der Vorbereitung von Einjährig-Freiwilligen, aber die Be¬
schäftigung wurde mir bald "unmöglich" gemacht. Ich begann die Heranbildung
von Pensionären für höhere Gymnasialklassen und kam auch hierbei vorwärts,
die Methode unsers ehemaligen Magisters bewährte sich. Inzwischen war meine
Mutter gestorben, die Schwester verheiratet, der Bruder im Amte -- er ist
jetzt Schulrat --, ich hatte schon eine Stube voll Zöglinge. Cohns Vater
lieh mir ein Kapital, ich richtete ein Schulhaus ein, das 1870 schon zwanzig
Pensionäre beherbergte. Vierzehn davon zogen mit unter den Johannitern nach
Frankreich, ich natürlich an ihrer Spitze.


Die Kommilitonen.

Der „blasse Heinrich" entgegnete: Diesen Katcilogos sollte ich zu meiner
Ilias verwenden können? Da, Thersites! Er reichte ihm das Blatt zurück,
und Kautschuk gab es dem Archimedes mit denselben Worten, aber mit andrer
Betonung: Da, Thersites!

Archimedes machte ein bitterböses Gesicht und verließ das Zimmer.

Was ist das für eine widerwärtige Art, die jede Verständigung aus¬
schließt! rief jetzt der „blasse Heinrich" mit gewaltiger Stimme. Es klang wie
ein Wetter, das zu Thale zieht. Wer mit mir etwa anbinden will, der sage
es bald heraus; den Archimedes werde ich versöhnen, seine Aufzeichnungen
mögen dem Gymnasialdirektor zur Verfügung gestellt werden, der sie vermutlich
bei statistischen Mitteilungen wird brauchen können, dem Verfasser aber werde
ich sagen, daß er sich einen untüchtigen Mittelsmann gewählt hat. Das gilt
diesem Herrn hier, fügte er hinzu.

Aber Freunde! Kommilitioncn! Friede doch! begann Reitz.

Der „blasse Heinrich" hat Recht, warf Pipin dazwischen.

Völlig Recht! fügte Mirbl bei. Auch Genserich bezeugte mit Blicken, wie
unzufrieden er mit Kautschuks Benehmen sei, und gebot dann: Verständige
euch, ihr Herren!

Das meine ich auch! rief der Geistliche. Der „blasse Heinrich" mag sich
unsrer Tagesordnung fügen und seine vitg, weiter erzählen. Zugleich hielt er
Kautschuk zurück, der aufgestanden war und ein Gesicht machte wie ein Makao¬
spieler, wenn er sich mit dem Schlagacht verrechnet hat.

Der „blasse Heinrich" fügte sich und fuhr in seiner Erzählung sort: Mein
Tiefriß war längst vernarbt, und ich wartete immer noch auf meine Anstellung;
endlich erfuhr ich, daß ich als Burschenschafter kompromittirt und anstcllungs-
unfcihig sei. Meine Mutter lag schon lange krank darnieder, meine Schwester
mußte im Institut ausgebildet, mein Bruder auf dem Gymnasium erhalten
werden; ich als Ältester hatte die Pflicht vom Vater überkommen. Ich habe
die Pflicht erfüllt, wenn auch meine großen Hoffnungen und meine schönen
Luftschlösser dabei zu gründe gegangen sind. Dozent auf der Hochschule hatte
ich werden wollen, die Dissertation war fertig. Sie mußte weggelegt werden,
und sie ist längst beseitigt. Ich kam in die Tretmühle des Privatunterrichtes,
in welcher allein der nötige Gelderwerb für mich möglich war. Es glückte mir
besonders mit der Vorbereitung von Einjährig-Freiwilligen, aber die Be¬
schäftigung wurde mir bald „unmöglich" gemacht. Ich begann die Heranbildung
von Pensionären für höhere Gymnasialklassen und kam auch hierbei vorwärts,
die Methode unsers ehemaligen Magisters bewährte sich. Inzwischen war meine
Mutter gestorben, die Schwester verheiratet, der Bruder im Amte — er ist
jetzt Schulrat —, ich hatte schon eine Stube voll Zöglinge. Cohns Vater
lieh mir ein Kapital, ich richtete ein Schulhaus ein, das 1870 schon zwanzig
Pensionäre beherbergte. Vierzehn davon zogen mit unter den Johannitern nach
Frankreich, ich natürlich an ihrer Spitze.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/270>, abgerufen am 22.07.2024.