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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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beiden Quellen des Übels auf Erden richtete sich folgerichtig die ganze Breit¬
seite des jakobinischen Programms. Daher wurde die Ausübung des bisherigen
Kultus verboten und die konstitutionellen wie nichtkvnstitutionellen Priester ver-
folgt, verbannt oder getötet, die Kirchen wurden geschlossen, alle Zeremonien
unterdrückt. In gleicher Weise und mit den schärfsten Mitteln richtete sich der
Augriff gegen König und Adel als den Vorzug der Geburt, gegen Eigentümer,
Kapitalisten und Rentiers als den Vorzug des Besitzes. Die großen Vermögen
wurde" zerstört, die Bevorzugung eines einzelnen Kindes nicht mehr gestattet, un¬
eheliche Kinder in bezug auf die elterlichen und Erbrechte den ehelichen gleich¬
gestellt. Mit einer Tyrannei, wie sie Europa niemals geahnt und selbst der
Orient nie gelaunt hatte, wurden Maßregeln angeordnet, um den Menschen
fortan nach dem jakobinischen Muster umzumodeln, um jede individuelle Ader
im Menschen zu vernichten. Die Religion wurde nach abstrakten Begriffen be¬
gründet, die Erziehung und Ausbildung, die Nahrung und Kleidung wurde für
alle gleich reglementirt, und es darf uns uicht wunder nehmen, wenn Lavoisier
der erbetene vierzehntägige Aufschub des Todesurteils mit dem Bemerken ab¬
geschlagen wurde, daß die wahre Republik keiner Gelehrten bedürfe. Wie die Welt
aussehen würde, wenn es möglich wäre, jenes Programm der Freiheit, Gleich¬
heit und Brüderlichkeit zu verwirklichen -- ein Programm, das sich von dem
der heutigen Sozialdemokratie kaum unterscheidet --, das hat Taine in einer
Weise geschildert, die hier angedeutet, aber nicht wiedergegeben werden kann.

Unter den Jakobinern ragen drei Männer hervor, welche das Programm
am tiefsten erfaßt und am gründlichsten zu verwirklichen gesucht haben: Marat,
der Verrückte, Danton, der Unmensch, und Robespierre, der Pedant. Der
Wahnsinn Marats beginnt mit dem Größenwahn, verbindet sich mit dem Ver¬
folgungswahn und endet mit Monomanie der Mordlust. Danton, ein Mann
von geistigen Fähigkeiten, wird von dem wildeu Instinkte einer bestialischer
Natur zu allen Schandthaten getrieben, durch welche eine Menschcmmtur be¬
fleckt werden kann. Der unbedeutendste von allen ist Robespierre, dem noch
jüngst Haiuel einen dreibändigen Paneghrikns gewidmet hat, worin er nicht an¬
steht, ihn mit Christus zu vergleichen -- ein Vergleich, der ebenso richtig ist,
wie wenn man Paskals Jesuiten auf die gleiche Stufe setzte mit dem Jesus
der Evangelien. Robespierre ist ein Mann von nur mittelmäßiger Begabung,
ein Pedant (vuiströ) ohne eigne Ideen, der nur imstande ist, die Sätze des
Lehrmeisters Rousseau in einen langen, phrasenhaften Wortschwall künstlicher
Rhetorik auszuspinnen. Dabei ein Geck, den Eigenliebe und Beschränktheit zu¬
letzt sogar an die Nichtigkeit der Sätze seiner Nachmittagspredigten glauben läßt.
Wie Marat hält er sich überall für verfolgt, ist er der alleinige republikanische
Tugendspiegel, dem gegenüber er überall Verräter und Verderbte wittert, für
die es zuletzt kein andres Mittel giebt als die Guillotine. Nicht Moliere in
seinem Tartüffe noch Shakespeare in seinem Richard III. haben jemals einen


beiden Quellen des Übels auf Erden richtete sich folgerichtig die ganze Breit¬
seite des jakobinischen Programms. Daher wurde die Ausübung des bisherigen
Kultus verboten und die konstitutionellen wie nichtkvnstitutionellen Priester ver-
folgt, verbannt oder getötet, die Kirchen wurden geschlossen, alle Zeremonien
unterdrückt. In gleicher Weise und mit den schärfsten Mitteln richtete sich der
Augriff gegen König und Adel als den Vorzug der Geburt, gegen Eigentümer,
Kapitalisten und Rentiers als den Vorzug des Besitzes. Die großen Vermögen
wurde» zerstört, die Bevorzugung eines einzelnen Kindes nicht mehr gestattet, un¬
eheliche Kinder in bezug auf die elterlichen und Erbrechte den ehelichen gleich¬
gestellt. Mit einer Tyrannei, wie sie Europa niemals geahnt und selbst der
Orient nie gelaunt hatte, wurden Maßregeln angeordnet, um den Menschen
fortan nach dem jakobinischen Muster umzumodeln, um jede individuelle Ader
im Menschen zu vernichten. Die Religion wurde nach abstrakten Begriffen be¬
gründet, die Erziehung und Ausbildung, die Nahrung und Kleidung wurde für
alle gleich reglementirt, und es darf uns uicht wunder nehmen, wenn Lavoisier
der erbetene vierzehntägige Aufschub des Todesurteils mit dem Bemerken ab¬
geschlagen wurde, daß die wahre Republik keiner Gelehrten bedürfe. Wie die Welt
aussehen würde, wenn es möglich wäre, jenes Programm der Freiheit, Gleich¬
heit und Brüderlichkeit zu verwirklichen — ein Programm, das sich von dem
der heutigen Sozialdemokratie kaum unterscheidet —, das hat Taine in einer
Weise geschildert, die hier angedeutet, aber nicht wiedergegeben werden kann.

Unter den Jakobinern ragen drei Männer hervor, welche das Programm
am tiefsten erfaßt und am gründlichsten zu verwirklichen gesucht haben: Marat,
der Verrückte, Danton, der Unmensch, und Robespierre, der Pedant. Der
Wahnsinn Marats beginnt mit dem Größenwahn, verbindet sich mit dem Ver¬
folgungswahn und endet mit Monomanie der Mordlust. Danton, ein Mann
von geistigen Fähigkeiten, wird von dem wildeu Instinkte einer bestialischer
Natur zu allen Schandthaten getrieben, durch welche eine Menschcmmtur be¬
fleckt werden kann. Der unbedeutendste von allen ist Robespierre, dem noch
jüngst Haiuel einen dreibändigen Paneghrikns gewidmet hat, worin er nicht an¬
steht, ihn mit Christus zu vergleichen — ein Vergleich, der ebenso richtig ist,
wie wenn man Paskals Jesuiten auf die gleiche Stufe setzte mit dem Jesus
der Evangelien. Robespierre ist ein Mann von nur mittelmäßiger Begabung,
ein Pedant (vuiströ) ohne eigne Ideen, der nur imstande ist, die Sätze des
Lehrmeisters Rousseau in einen langen, phrasenhaften Wortschwall künstlicher
Rhetorik auszuspinnen. Dabei ein Geck, den Eigenliebe und Beschränktheit zu¬
letzt sogar an die Nichtigkeit der Sätze seiner Nachmittagspredigten glauben läßt.
Wie Marat hält er sich überall für verfolgt, ist er der alleinige republikanische
Tugendspiegel, dem gegenüber er überall Verräter und Verderbte wittert, für
die es zuletzt kein andres Mittel giebt als die Guillotine. Nicht Moliere in
seinem Tartüffe noch Shakespeare in seinem Richard III. haben jemals einen


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[0027] beiden Quellen des Übels auf Erden richtete sich folgerichtig die ganze Breit¬ seite des jakobinischen Programms. Daher wurde die Ausübung des bisherigen Kultus verboten und die konstitutionellen wie nichtkvnstitutionellen Priester ver- folgt, verbannt oder getötet, die Kirchen wurden geschlossen, alle Zeremonien unterdrückt. In gleicher Weise und mit den schärfsten Mitteln richtete sich der Augriff gegen König und Adel als den Vorzug der Geburt, gegen Eigentümer, Kapitalisten und Rentiers als den Vorzug des Besitzes. Die großen Vermögen wurde» zerstört, die Bevorzugung eines einzelnen Kindes nicht mehr gestattet, un¬ eheliche Kinder in bezug auf die elterlichen und Erbrechte den ehelichen gleich¬ gestellt. Mit einer Tyrannei, wie sie Europa niemals geahnt und selbst der Orient nie gelaunt hatte, wurden Maßregeln angeordnet, um den Menschen fortan nach dem jakobinischen Muster umzumodeln, um jede individuelle Ader im Menschen zu vernichten. Die Religion wurde nach abstrakten Begriffen be¬ gründet, die Erziehung und Ausbildung, die Nahrung und Kleidung wurde für alle gleich reglementirt, und es darf uns uicht wunder nehmen, wenn Lavoisier der erbetene vierzehntägige Aufschub des Todesurteils mit dem Bemerken ab¬ geschlagen wurde, daß die wahre Republik keiner Gelehrten bedürfe. Wie die Welt aussehen würde, wenn es möglich wäre, jenes Programm der Freiheit, Gleich¬ heit und Brüderlichkeit zu verwirklichen — ein Programm, das sich von dem der heutigen Sozialdemokratie kaum unterscheidet —, das hat Taine in einer Weise geschildert, die hier angedeutet, aber nicht wiedergegeben werden kann. Unter den Jakobinern ragen drei Männer hervor, welche das Programm am tiefsten erfaßt und am gründlichsten zu verwirklichen gesucht haben: Marat, der Verrückte, Danton, der Unmensch, und Robespierre, der Pedant. Der Wahnsinn Marats beginnt mit dem Größenwahn, verbindet sich mit dem Ver¬ folgungswahn und endet mit Monomanie der Mordlust. Danton, ein Mann von geistigen Fähigkeiten, wird von dem wildeu Instinkte einer bestialischer Natur zu allen Schandthaten getrieben, durch welche eine Menschcmmtur be¬ fleckt werden kann. Der unbedeutendste von allen ist Robespierre, dem noch jüngst Haiuel einen dreibändigen Paneghrikns gewidmet hat, worin er nicht an¬ steht, ihn mit Christus zu vergleichen — ein Vergleich, der ebenso richtig ist, wie wenn man Paskals Jesuiten auf die gleiche Stufe setzte mit dem Jesus der Evangelien. Robespierre ist ein Mann von nur mittelmäßiger Begabung, ein Pedant (vuiströ) ohne eigne Ideen, der nur imstande ist, die Sätze des Lehrmeisters Rousseau in einen langen, phrasenhaften Wortschwall künstlicher Rhetorik auszuspinnen. Dabei ein Geck, den Eigenliebe und Beschränktheit zu¬ letzt sogar an die Nichtigkeit der Sätze seiner Nachmittagspredigten glauben läßt. Wie Marat hält er sich überall für verfolgt, ist er der alleinige republikanische Tugendspiegel, dem gegenüber er überall Verräter und Verderbte wittert, für die es zuletzt kein andres Mittel giebt als die Guillotine. Nicht Moliere in seinem Tartüffe noch Shakespeare in seinem Richard III. haben jemals einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/27>, abgerufen am 22.07.2024.