Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Herzogtum Frii'bläut.

dem Fremden begegnen sie -- in Prag mag es anders sein -- höflich und
zuvorkommend, und wenn er nicht tschechisch spricht, was sie allerdings zunächst
annehmen, so reden sie sogar deutsch. Und vorwärts gekommen sind sie; die Vor¬
stellung von der böhmischen und insbesondre tschechischen Unreinlichkeit und
Liederlichkeit beginnt seine Berechtigung zu verlieren oder hat sie vielmehr schon
verloren. Gitschin ist eine saubere, freundliche, ansehnliche Stadt in sichtbarem
Aufblühen, Noch erinnern ein paar alte Thortürme und Neste der Stadt¬
mauern an eine wehrhafte Vergangenheit, aber geschmackvolle Neubauten erheben
sich besonders in den Vorstädten, und stattlich genng nimmt sich der "Ring"
aus, nach der Art der slavisch-deutschen Lande ein großer, länglich viereckiger
Platz, ringsum massive, zumeist einstöckige Hänser unter hohem Schieferdach,
über offenen, gewölbten Lauben, die den Zugang zur Hausflur und zu den
Läden öffnen. Und dort an der Südostseite erhebt sich ein mächtiger, palast-
ühnlicher Bau: das ist das Schloß, welches Wallenstein sich errichtete.

Als er Gitschin von den Smirieky erwarb und es zu seiner Residenzstadt
erhob, war es ein ärmliches Städtchen von 1W schlechten, schindelgedeckten
Häusern voll Schmutz und Unflat, Da sorgte er zunächst dafür, daß sie massiv
hergestellt, die Straßen gesäubert wurden; er gab selber die Steine und Ziegel
dazu her, machte den unvermögenden Bürgern Vorschüsse und befahl im Jahre
1627, zweihundert Maurer zu bestellen, ja er dachte den Umfang des Ortes
auf etwa fünfhundert Häuser zu bringen. Inmitten dieser ärmlichen Umgebung
-- "Bauernhütten" nannte er die Hänser seiner Bürger -- begann er im Jahre
1627 den Bau seines Residenzschlosses nach den Plänen des Jtalieners Pironi.
Doch war es noch Anfang 1630 nicht bewohnbar; erst nach seinem Rücktritte vom
Oberbefehl (im Juni desselben Jahres) konnte er seinen Aufenthalt dort nehmen.
Noch steht es äußerlich im ganzen so, wie er es errichtete, doch enthält es jetzt
nieist Amtslokalitäten. Über Lauben, die sich auf kräftigen dorischen Pfeilern
wölben, erhebt sich der zweistöckige Ban, außen ziemlich schlicht, über den paar¬
weise angeordneten Fenstern mit geradem Sturz ein gebrochenes Adlerdach, an
den beiden Ecken polygonale Erker auf starken, runden Pfeilern; im Innern
ist er um zwei malerische Höfe geordnet. Der größere, westliche zeigt nur auf
zwei Seiten des Erdgeschosses offene, jetzt allerdings meist verbaute Laubcngcingc,
im übrigen glatt ansteigende Wände; weit reicher ist der kleinere, östliche ge¬
gliedert: in allen drei Stockwerken umgeben ihn offene Galerien ans Bogen¬
stellungen, im Erdgeschoß auf dorischen, im ersten Stock auf ionischen, im zweiten
auf korinthischen Pfeilern. An die Rückseite des Schlosses schließt sich der lang¬
gestreckte Stallhof, in dessen Stallungen einst Wallensteins Pferde aus mar¬
mornen Krippen fraßen.

Dem fürstlichen Schlosse durfte die Schloßkirche nicht fehlen. Dicht an
seiner Ostseite und mit ihm durch einen bedeckten Gang verbunden steht die
Dekanalkirche zu Se. Jnkob. Nach dem Muster von San Jago ti Campo-


Im Herzogtum Frii'bläut.

dem Fremden begegnen sie — in Prag mag es anders sein — höflich und
zuvorkommend, und wenn er nicht tschechisch spricht, was sie allerdings zunächst
annehmen, so reden sie sogar deutsch. Und vorwärts gekommen sind sie; die Vor¬
stellung von der böhmischen und insbesondre tschechischen Unreinlichkeit und
Liederlichkeit beginnt seine Berechtigung zu verlieren oder hat sie vielmehr schon
verloren. Gitschin ist eine saubere, freundliche, ansehnliche Stadt in sichtbarem
Aufblühen, Noch erinnern ein paar alte Thortürme und Neste der Stadt¬
mauern an eine wehrhafte Vergangenheit, aber geschmackvolle Neubauten erheben
sich besonders in den Vorstädten, und stattlich genng nimmt sich der „Ring"
aus, nach der Art der slavisch-deutschen Lande ein großer, länglich viereckiger
Platz, ringsum massive, zumeist einstöckige Hänser unter hohem Schieferdach,
über offenen, gewölbten Lauben, die den Zugang zur Hausflur und zu den
Läden öffnen. Und dort an der Südostseite erhebt sich ein mächtiger, palast-
ühnlicher Bau: das ist das Schloß, welches Wallenstein sich errichtete.

Als er Gitschin von den Smirieky erwarb und es zu seiner Residenzstadt
erhob, war es ein ärmliches Städtchen von 1W schlechten, schindelgedeckten
Häusern voll Schmutz und Unflat, Da sorgte er zunächst dafür, daß sie massiv
hergestellt, die Straßen gesäubert wurden; er gab selber die Steine und Ziegel
dazu her, machte den unvermögenden Bürgern Vorschüsse und befahl im Jahre
1627, zweihundert Maurer zu bestellen, ja er dachte den Umfang des Ortes
auf etwa fünfhundert Häuser zu bringen. Inmitten dieser ärmlichen Umgebung
— „Bauernhütten" nannte er die Hänser seiner Bürger — begann er im Jahre
1627 den Bau seines Residenzschlosses nach den Plänen des Jtalieners Pironi.
Doch war es noch Anfang 1630 nicht bewohnbar; erst nach seinem Rücktritte vom
Oberbefehl (im Juni desselben Jahres) konnte er seinen Aufenthalt dort nehmen.
Noch steht es äußerlich im ganzen so, wie er es errichtete, doch enthält es jetzt
nieist Amtslokalitäten. Über Lauben, die sich auf kräftigen dorischen Pfeilern
wölben, erhebt sich der zweistöckige Ban, außen ziemlich schlicht, über den paar¬
weise angeordneten Fenstern mit geradem Sturz ein gebrochenes Adlerdach, an
den beiden Ecken polygonale Erker auf starken, runden Pfeilern; im Innern
ist er um zwei malerische Höfe geordnet. Der größere, westliche zeigt nur auf
zwei Seiten des Erdgeschosses offene, jetzt allerdings meist verbaute Laubcngcingc,
im übrigen glatt ansteigende Wände; weit reicher ist der kleinere, östliche ge¬
gliedert: in allen drei Stockwerken umgeben ihn offene Galerien ans Bogen¬
stellungen, im Erdgeschoß auf dorischen, im ersten Stock auf ionischen, im zweiten
auf korinthischen Pfeilern. An die Rückseite des Schlosses schließt sich der lang¬
gestreckte Stallhof, in dessen Stallungen einst Wallensteins Pferde aus mar¬
mornen Krippen fraßen.

Dem fürstlichen Schlosse durfte die Schloßkirche nicht fehlen. Dicht an
seiner Ostseite und mit ihm durch einen bedeckten Gang verbunden steht die
Dekanalkirche zu Se. Jnkob. Nach dem Muster von San Jago ti Campo-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194912"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Herzogtum Frii'bläut.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_771" prev="#ID_770"> dem Fremden begegnen sie &#x2014; in Prag mag es anders sein &#x2014; höflich und<lb/>
zuvorkommend, und wenn er nicht tschechisch spricht, was sie allerdings zunächst<lb/>
annehmen, so reden sie sogar deutsch. Und vorwärts gekommen sind sie; die Vor¬<lb/>
stellung von der böhmischen und insbesondre tschechischen Unreinlichkeit und<lb/>
Liederlichkeit beginnt seine Berechtigung zu verlieren oder hat sie vielmehr schon<lb/>
verloren. Gitschin ist eine saubere, freundliche, ansehnliche Stadt in sichtbarem<lb/>
Aufblühen, Noch erinnern ein paar alte Thortürme und Neste der Stadt¬<lb/>
mauern an eine wehrhafte Vergangenheit, aber geschmackvolle Neubauten erheben<lb/>
sich besonders in den Vorstädten, und stattlich genng nimmt sich der &#x201E;Ring"<lb/>
aus, nach der Art der slavisch-deutschen Lande ein großer, länglich viereckiger<lb/>
Platz, ringsum massive, zumeist einstöckige Hänser unter hohem Schieferdach,<lb/>
über offenen, gewölbten Lauben, die den Zugang zur Hausflur und zu den<lb/>
Läden öffnen. Und dort an der Südostseite erhebt sich ein mächtiger, palast-<lb/>
ühnlicher Bau: das ist das Schloß, welches Wallenstein sich errichtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_772"> Als er Gitschin von den Smirieky erwarb und es zu seiner Residenzstadt<lb/>
erhob, war es ein ärmliches Städtchen von 1W schlechten, schindelgedeckten<lb/>
Häusern voll Schmutz und Unflat, Da sorgte er zunächst dafür, daß sie massiv<lb/>
hergestellt, die Straßen gesäubert wurden; er gab selber die Steine und Ziegel<lb/>
dazu her, machte den unvermögenden Bürgern Vorschüsse und befahl im Jahre<lb/>
1627, zweihundert Maurer zu bestellen, ja er dachte den Umfang des Ortes<lb/>
auf etwa fünfhundert Häuser zu bringen. Inmitten dieser ärmlichen Umgebung<lb/>
&#x2014; &#x201E;Bauernhütten" nannte er die Hänser seiner Bürger &#x2014; begann er im Jahre<lb/>
1627 den Bau seines Residenzschlosses nach den Plänen des Jtalieners Pironi.<lb/>
Doch war es noch Anfang 1630 nicht bewohnbar; erst nach seinem Rücktritte vom<lb/>
Oberbefehl (im Juni desselben Jahres) konnte er seinen Aufenthalt dort nehmen.<lb/>
Noch steht es äußerlich im ganzen so, wie er es errichtete, doch enthält es jetzt<lb/>
nieist Amtslokalitäten. Über Lauben, die sich auf kräftigen dorischen Pfeilern<lb/>
wölben, erhebt sich der zweistöckige Ban, außen ziemlich schlicht, über den paar¬<lb/>
weise angeordneten Fenstern mit geradem Sturz ein gebrochenes Adlerdach, an<lb/>
den beiden Ecken polygonale Erker auf starken, runden Pfeilern; im Innern<lb/>
ist er um zwei malerische Höfe geordnet. Der größere, westliche zeigt nur auf<lb/>
zwei Seiten des Erdgeschosses offene, jetzt allerdings meist verbaute Laubcngcingc,<lb/>
im übrigen glatt ansteigende Wände; weit reicher ist der kleinere, östliche ge¬<lb/>
gliedert: in allen drei Stockwerken umgeben ihn offene Galerien ans Bogen¬<lb/>
stellungen, im Erdgeschoß auf dorischen, im ersten Stock auf ionischen, im zweiten<lb/>
auf korinthischen Pfeilern. An die Rückseite des Schlosses schließt sich der lang¬<lb/>
gestreckte Stallhof, in dessen Stallungen einst Wallensteins Pferde aus mar¬<lb/>
mornen Krippen fraßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_773" next="#ID_774"> Dem fürstlichen Schlosse durfte die Schloßkirche nicht fehlen. Dicht an<lb/>
seiner Ostseite und mit ihm durch einen bedeckten Gang verbunden steht die<lb/>
Dekanalkirche zu Se. Jnkob.  Nach dem Muster von San Jago ti Campo-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Im Herzogtum Frii'bläut. dem Fremden begegnen sie — in Prag mag es anders sein — höflich und zuvorkommend, und wenn er nicht tschechisch spricht, was sie allerdings zunächst annehmen, so reden sie sogar deutsch. Und vorwärts gekommen sind sie; die Vor¬ stellung von der böhmischen und insbesondre tschechischen Unreinlichkeit und Liederlichkeit beginnt seine Berechtigung zu verlieren oder hat sie vielmehr schon verloren. Gitschin ist eine saubere, freundliche, ansehnliche Stadt in sichtbarem Aufblühen, Noch erinnern ein paar alte Thortürme und Neste der Stadt¬ mauern an eine wehrhafte Vergangenheit, aber geschmackvolle Neubauten erheben sich besonders in den Vorstädten, und stattlich genng nimmt sich der „Ring" aus, nach der Art der slavisch-deutschen Lande ein großer, länglich viereckiger Platz, ringsum massive, zumeist einstöckige Hänser unter hohem Schieferdach, über offenen, gewölbten Lauben, die den Zugang zur Hausflur und zu den Läden öffnen. Und dort an der Südostseite erhebt sich ein mächtiger, palast- ühnlicher Bau: das ist das Schloß, welches Wallenstein sich errichtete. Als er Gitschin von den Smirieky erwarb und es zu seiner Residenzstadt erhob, war es ein ärmliches Städtchen von 1W schlechten, schindelgedeckten Häusern voll Schmutz und Unflat, Da sorgte er zunächst dafür, daß sie massiv hergestellt, die Straßen gesäubert wurden; er gab selber die Steine und Ziegel dazu her, machte den unvermögenden Bürgern Vorschüsse und befahl im Jahre 1627, zweihundert Maurer zu bestellen, ja er dachte den Umfang des Ortes auf etwa fünfhundert Häuser zu bringen. Inmitten dieser ärmlichen Umgebung — „Bauernhütten" nannte er die Hänser seiner Bürger — begann er im Jahre 1627 den Bau seines Residenzschlosses nach den Plänen des Jtalieners Pironi. Doch war es noch Anfang 1630 nicht bewohnbar; erst nach seinem Rücktritte vom Oberbefehl (im Juni desselben Jahres) konnte er seinen Aufenthalt dort nehmen. Noch steht es äußerlich im ganzen so, wie er es errichtete, doch enthält es jetzt nieist Amtslokalitäten. Über Lauben, die sich auf kräftigen dorischen Pfeilern wölben, erhebt sich der zweistöckige Ban, außen ziemlich schlicht, über den paar¬ weise angeordneten Fenstern mit geradem Sturz ein gebrochenes Adlerdach, an den beiden Ecken polygonale Erker auf starken, runden Pfeilern; im Innern ist er um zwei malerische Höfe geordnet. Der größere, westliche zeigt nur auf zwei Seiten des Erdgeschosses offene, jetzt allerdings meist verbaute Laubcngcingc, im übrigen glatt ansteigende Wände; weit reicher ist der kleinere, östliche ge¬ gliedert: in allen drei Stockwerken umgeben ihn offene Galerien ans Bogen¬ stellungen, im Erdgeschoß auf dorischen, im ersten Stock auf ionischen, im zweiten auf korinthischen Pfeilern. An die Rückseite des Schlosses schließt sich der lang¬ gestreckte Stallhof, in dessen Stallungen einst Wallensteins Pferde aus mar¬ mornen Krippen fraßen. Dem fürstlichen Schlosse durfte die Schloßkirche nicht fehlen. Dicht an seiner Ostseite und mit ihm durch einen bedeckten Gang verbunden steht die Dekanalkirche zu Se. Jnkob. Nach dem Muster von San Jago ti Campo-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/236>, abgerufen am 22.07.2024.