Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Mißbräuche des Lebensversicherungswosens. von 11 M. 1 Pf. zugesagt. Sind das nicht einfach lächerliche Zahlen? Allem Eine Betrachtung der oben angegebenen Zahlen ergiebt dies denn auch Wenn ich recht berichtet bin, so ist das ganze Leibrentengeschäst in Deutsch¬ Mißbräuche des Lebensversicherungswosens. von 11 M. 1 Pf. zugesagt. Sind das nicht einfach lächerliche Zahlen? Allem Eine Betrachtung der oben angegebenen Zahlen ergiebt dies denn auch Wenn ich recht berichtet bin, so ist das ganze Leibrentengeschäst in Deutsch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194906"/> <fw type="header" place="top"> Mißbräuche des Lebensversicherungswosens.</fw><lb/> <p xml:id="ID_756" prev="#ID_755"> von 11 M. 1 Pf. zugesagt. Sind das nicht einfach lächerliche Zahlen? Allem<lb/> Anschein nach hat die Bank selbst gefühlt, daß diese Anerbietungen doch gar<lb/> zu wenig verlockend seien und auf jeden Versicherungslustigen, der einigermaßen<lb/> mit Zahlen umgehen kann, wie ein Strahl kaltes Wasser wirken müssen; sie<lb/> sügt daher hinzu, daß die Versicherten „Anspruch auf Dividende" besitzen, und<lb/> daß die letztere in den letzten Jahren 15 bis 25 Prozent der Rentensumme<lb/> betragen habe. Recht erfreulich für die Versicherten, einen so hohen Gewinn<lb/> herbeiführen zu helfen! Darin liegt doch thatsächlich das Zugeständnis, daß die<lb/> zu gründe gelegten Sätze von: Standpunkte eines soliden, nicht ausschließlich<lb/> auf Gewinn bedachten Geschäftsbetriebes viel zu niedrig sind, und da diese<lb/> Sätze allem Vermuten nach deshalb so schlecht sind, damit sie sich von denen<lb/> andrer Rentenbanken nicht in zu „unknlnnter" Weise unterscheiden, so ist damit<lb/> über unsre Lebensrentenanstalten das Urteil ausgesprochen, daß sie einen<lb/> kolossalen Gewinn abwerfen, für das Publikum also unmöglich zuträglich sein<lb/> können.</p><lb/> <p xml:id="ID_757"> Eine Betrachtung der oben angegebenen Zahlen ergiebt dies denn auch<lb/> aufs deutlichste. Greifen wir mein eignes Alter, 50 Jahre, heraus und legen<lb/> wir einen Zinssatz von 3 Prozent zu gründe, der doch gewiß niedrig genug<lb/> ist, um für Verwaltungskosten und Gewinne einen hübschen Spielraum zu<lb/> lassen. Dann ist, um ein Kapital von 100 Mark mit jährlich 7 M. 40 Pf.<lb/> aufzuzehren, rechnungsmüßig ein Zeitraum vou 17 Jcihreu erforderlich. Ist es<lb/> nun wahr, daß sür einen 50 jährigen Mann die Erreichung eines Alters von<lb/> 67 Jahren den Durchschnitt darstellt? Niemand wird dies im Ernste behaupten<lb/> wollen, und wenn die Statistik zu dieser Zahl gekommen ist, so behaupte ich<lb/> ohne weiteres, daß dieselbe auf irgendeinem Mißverständnis oder einer falschen<lb/> Beobachtung beruhen muß. Noch toller stellt sich die Sache bei dem Alter von<lb/> 60 Jahren. Um 100 Mark mit 8 M. 33 Pf. jährlich aufzubrauchen, dazu<lb/> gehören bei 3 Prozent Verzinsung immer noch 14 Jahre. Also ein 60 jähriger<lb/> Mann soll die Durchschnittswahrschcinlichkeit haben, 74 Jahre alt zu werden!<lb/> Ist das nicht handgreiflicher Blödsinn? Aber freilich, für die Nentenbanken<lb/> stellen diese Zahlen gar keinen Blödsinn, sondern einen sehr respektabeln Gewinn<lb/> dar, wenn sich nämlich so rechennnknndige oder gegen die Interessen ihrer Erben<lb/> so absolut gleichgiltige Leute finden, die auf solche Bedingungen einen Leib¬<lb/> rentenvertrag abschließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_758"> Wenn ich recht berichtet bin, so ist das ganze Leibrentengeschäst in Deutsch¬<lb/> land noch sehr unentwickelt. Das ist freilich unter solchen Umständen nicht zu<lb/> verwundern. Zugleich aber ist es ein weiterer Beweis dafür, daß das Kapital<lb/> keineswegs mit der kühlen, überlegenen Weisheit zu Werke geht, die ihm von<lb/> seinen Verehrern so gern zugeschrieben wird, sondern in manchen Fällen lieber<lb/> die Ausdehnung des Geschäftes in die Schanze schlägt, um nur so lange wie<lb/> möglich einen ungebührlich hohen Einzclgewinn zu erzielen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Mißbräuche des Lebensversicherungswosens.
von 11 M. 1 Pf. zugesagt. Sind das nicht einfach lächerliche Zahlen? Allem
Anschein nach hat die Bank selbst gefühlt, daß diese Anerbietungen doch gar
zu wenig verlockend seien und auf jeden Versicherungslustigen, der einigermaßen
mit Zahlen umgehen kann, wie ein Strahl kaltes Wasser wirken müssen; sie
sügt daher hinzu, daß die Versicherten „Anspruch auf Dividende" besitzen, und
daß die letztere in den letzten Jahren 15 bis 25 Prozent der Rentensumme
betragen habe. Recht erfreulich für die Versicherten, einen so hohen Gewinn
herbeiführen zu helfen! Darin liegt doch thatsächlich das Zugeständnis, daß die
zu gründe gelegten Sätze von: Standpunkte eines soliden, nicht ausschließlich
auf Gewinn bedachten Geschäftsbetriebes viel zu niedrig sind, und da diese
Sätze allem Vermuten nach deshalb so schlecht sind, damit sie sich von denen
andrer Rentenbanken nicht in zu „unknlnnter" Weise unterscheiden, so ist damit
über unsre Lebensrentenanstalten das Urteil ausgesprochen, daß sie einen
kolossalen Gewinn abwerfen, für das Publikum also unmöglich zuträglich sein
können.
Eine Betrachtung der oben angegebenen Zahlen ergiebt dies denn auch
aufs deutlichste. Greifen wir mein eignes Alter, 50 Jahre, heraus und legen
wir einen Zinssatz von 3 Prozent zu gründe, der doch gewiß niedrig genug
ist, um für Verwaltungskosten und Gewinne einen hübschen Spielraum zu
lassen. Dann ist, um ein Kapital von 100 Mark mit jährlich 7 M. 40 Pf.
aufzuzehren, rechnungsmüßig ein Zeitraum vou 17 Jcihreu erforderlich. Ist es
nun wahr, daß sür einen 50 jährigen Mann die Erreichung eines Alters von
67 Jahren den Durchschnitt darstellt? Niemand wird dies im Ernste behaupten
wollen, und wenn die Statistik zu dieser Zahl gekommen ist, so behaupte ich
ohne weiteres, daß dieselbe auf irgendeinem Mißverständnis oder einer falschen
Beobachtung beruhen muß. Noch toller stellt sich die Sache bei dem Alter von
60 Jahren. Um 100 Mark mit 8 M. 33 Pf. jährlich aufzubrauchen, dazu
gehören bei 3 Prozent Verzinsung immer noch 14 Jahre. Also ein 60 jähriger
Mann soll die Durchschnittswahrschcinlichkeit haben, 74 Jahre alt zu werden!
Ist das nicht handgreiflicher Blödsinn? Aber freilich, für die Nentenbanken
stellen diese Zahlen gar keinen Blödsinn, sondern einen sehr respektabeln Gewinn
dar, wenn sich nämlich so rechennnknndige oder gegen die Interessen ihrer Erben
so absolut gleichgiltige Leute finden, die auf solche Bedingungen einen Leib¬
rentenvertrag abschließen.
Wenn ich recht berichtet bin, so ist das ganze Leibrentengeschäst in Deutsch¬
land noch sehr unentwickelt. Das ist freilich unter solchen Umständen nicht zu
verwundern. Zugleich aber ist es ein weiterer Beweis dafür, daß das Kapital
keineswegs mit der kühlen, überlegenen Weisheit zu Werke geht, die ihm von
seinen Verehrern so gern zugeschrieben wird, sondern in manchen Fällen lieber
die Ausdehnung des Geschäftes in die Schanze schlägt, um nur so lange wie
möglich einen ungebührlich hohen Einzclgewinn zu erzielen.
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