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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Lierlegende Säugetiere,

gestützten Beutel, welcher die Zitzen umgiebt, noch lange Zeit mit sich herum¬
zutragen. Diese eigentümlichen Beutelknochen finden sich auch bei den Gabel¬
tieren und bei einem von ihnen, dem Ameisenigel, auch ein Analogon des Beutels
in der sogenannten Mammillartasche, einer das Milchdrüseufeld umgebenden
Hnutfaltung.

Fassen wir nun diese Thatsachen gleichzeitig mit dem so höchst merkwür¬
digen Eierlegen des Ameisenigels und wahrscheinlich auch dem des Schnabel¬
tieres ins Auge, so haben wir das Schauspiel eines ganz allmählichen Über¬
ganges, nicht nur von der Gestalt des Reptils zu der des Säugetieres, auf
welche es uns hier weniger ankommt, sondern auch von einer Fortpflnnzungs-
art zu einer von ihr scheinbar dnrch eine unüberschreitbare Kluft getrennten
andern. Wir gehen aus von einem Tiere, welches seine Eier, um ihre Ent¬
wicklung mehr zu sichern, mit reichen Nahrnngsmasscn umgiebt, sie dann nach
außen bringt und sie sich selbst überläßt -- ein Zustand, welcher sich bei den
meisten Reptilien findet. Mit der Entwicklung der Warmblütigkeit war dieser
Zustand nicht mehr vereinbar; die Eier mußten auf der Temperaturhöhe des
mütterlichen Körpers gehalten werden, falls sie sich entwickeln sollten. Beim
Ameisenigel finden wir das Problem gelöst, jedoch anders als bei den brütenden
Vögeln: er bringt seine Eier gleichfalls nach außen, aber um sie sofort wieder
in einem andern Organe seines Körpers, der Mammillartasche, zu bergen, wo,
durch die Wärme des mütterlichen Körpers entwickelt, die Jungen nach dem
Verlassen des Eies in der Milch der Mutter noch längere Zeit die notwen¬
digen Ncchrnngsstoffe finden. Einen Schritt weiter führen uns die Beuteltiere.
Hier kommt es garnicht mehr zur Bildung von Eiern im gewöhnlichen Sinne.
Aber die Verbindung der Eizelle mit dem mütterlichen, blut- und säftevermittelnden,
d. h. ernährenden Organe ist noch keine innige, der wachsende Organismus wird
daher auf noch früher Entwicklungsstufe geboren, aber wieder nicht, um sich
selbst und den Unbilden der Außenwelt überlassen zu werden: im Beutel der
Mutter findet er Schutz und an den nunmehr schon weiter entwickelten milch-
spendcnden Organen eine reiche Nahrungsanelle für lange Zeit, bis er endlich,
völlig ausgereift, seinen eignen Weg geht.

Der Übergang zu den Verhältnissen, wie die höheren Säugetiere sie auf¬
weisen, ist nun, im Prinzip wenigstens, verständlich. Die Verbindung der
wachsenden Eizelle mit der Mutter wird enger und enger, später und später
erfolgt die Trennung durch die Geburt, bis zuletzt ein nahezu vollendeter
Organismus durch dieselbe zutage tritt, der nunmehr nur kurze Zeit durch die
Muttermilch ernährt wird und bald selbständig in das Leben eintritt.

Einlegende Säugetiere, so paradox diese Verbindung auch anfangs scheinen
mochte, sind also keine Wunder, wenigstens rückt die Allmählichkeit des Über¬
ganges von einem zum andern, welche die Natur hier wie überall zeigt, ihre
Erscheinung unserm Verständnisse näher, wenn auch der Übergang von hier


Grmzbotenl. 1885. 23
Lierlegende Säugetiere,

gestützten Beutel, welcher die Zitzen umgiebt, noch lange Zeit mit sich herum¬
zutragen. Diese eigentümlichen Beutelknochen finden sich auch bei den Gabel¬
tieren und bei einem von ihnen, dem Ameisenigel, auch ein Analogon des Beutels
in der sogenannten Mammillartasche, einer das Milchdrüseufeld umgebenden
Hnutfaltung.

Fassen wir nun diese Thatsachen gleichzeitig mit dem so höchst merkwür¬
digen Eierlegen des Ameisenigels und wahrscheinlich auch dem des Schnabel¬
tieres ins Auge, so haben wir das Schauspiel eines ganz allmählichen Über¬
ganges, nicht nur von der Gestalt des Reptils zu der des Säugetieres, auf
welche es uns hier weniger ankommt, sondern auch von einer Fortpflnnzungs-
art zu einer von ihr scheinbar dnrch eine unüberschreitbare Kluft getrennten
andern. Wir gehen aus von einem Tiere, welches seine Eier, um ihre Ent¬
wicklung mehr zu sichern, mit reichen Nahrnngsmasscn umgiebt, sie dann nach
außen bringt und sie sich selbst überläßt — ein Zustand, welcher sich bei den
meisten Reptilien findet. Mit der Entwicklung der Warmblütigkeit war dieser
Zustand nicht mehr vereinbar; die Eier mußten auf der Temperaturhöhe des
mütterlichen Körpers gehalten werden, falls sie sich entwickeln sollten. Beim
Ameisenigel finden wir das Problem gelöst, jedoch anders als bei den brütenden
Vögeln: er bringt seine Eier gleichfalls nach außen, aber um sie sofort wieder
in einem andern Organe seines Körpers, der Mammillartasche, zu bergen, wo,
durch die Wärme des mütterlichen Körpers entwickelt, die Jungen nach dem
Verlassen des Eies in der Milch der Mutter noch längere Zeit die notwen¬
digen Ncchrnngsstoffe finden. Einen Schritt weiter führen uns die Beuteltiere.
Hier kommt es garnicht mehr zur Bildung von Eiern im gewöhnlichen Sinne.
Aber die Verbindung der Eizelle mit dem mütterlichen, blut- und säftevermittelnden,
d. h. ernährenden Organe ist noch keine innige, der wachsende Organismus wird
daher auf noch früher Entwicklungsstufe geboren, aber wieder nicht, um sich
selbst und den Unbilden der Außenwelt überlassen zu werden: im Beutel der
Mutter findet er Schutz und an den nunmehr schon weiter entwickelten milch-
spendcnden Organen eine reiche Nahrungsanelle für lange Zeit, bis er endlich,
völlig ausgereift, seinen eignen Weg geht.

Der Übergang zu den Verhältnissen, wie die höheren Säugetiere sie auf¬
weisen, ist nun, im Prinzip wenigstens, verständlich. Die Verbindung der
wachsenden Eizelle mit der Mutter wird enger und enger, später und später
erfolgt die Trennung durch die Geburt, bis zuletzt ein nahezu vollendeter
Organismus durch dieselbe zutage tritt, der nunmehr nur kurze Zeit durch die
Muttermilch ernährt wird und bald selbständig in das Leben eintritt.

Einlegende Säugetiere, so paradox diese Verbindung auch anfangs scheinen
mochte, sind also keine Wunder, wenigstens rückt die Allmählichkeit des Über¬
ganges von einem zum andern, welche die Natur hier wie überall zeigt, ihre
Erscheinung unserm Verständnisse näher, wenn auch der Übergang von hier


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[0189] Lierlegende Säugetiere, gestützten Beutel, welcher die Zitzen umgiebt, noch lange Zeit mit sich herum¬ zutragen. Diese eigentümlichen Beutelknochen finden sich auch bei den Gabel¬ tieren und bei einem von ihnen, dem Ameisenigel, auch ein Analogon des Beutels in der sogenannten Mammillartasche, einer das Milchdrüseufeld umgebenden Hnutfaltung. Fassen wir nun diese Thatsachen gleichzeitig mit dem so höchst merkwür¬ digen Eierlegen des Ameisenigels und wahrscheinlich auch dem des Schnabel¬ tieres ins Auge, so haben wir das Schauspiel eines ganz allmählichen Über¬ ganges, nicht nur von der Gestalt des Reptils zu der des Säugetieres, auf welche es uns hier weniger ankommt, sondern auch von einer Fortpflnnzungs- art zu einer von ihr scheinbar dnrch eine unüberschreitbare Kluft getrennten andern. Wir gehen aus von einem Tiere, welches seine Eier, um ihre Ent¬ wicklung mehr zu sichern, mit reichen Nahrnngsmasscn umgiebt, sie dann nach außen bringt und sie sich selbst überläßt — ein Zustand, welcher sich bei den meisten Reptilien findet. Mit der Entwicklung der Warmblütigkeit war dieser Zustand nicht mehr vereinbar; die Eier mußten auf der Temperaturhöhe des mütterlichen Körpers gehalten werden, falls sie sich entwickeln sollten. Beim Ameisenigel finden wir das Problem gelöst, jedoch anders als bei den brütenden Vögeln: er bringt seine Eier gleichfalls nach außen, aber um sie sofort wieder in einem andern Organe seines Körpers, der Mammillartasche, zu bergen, wo, durch die Wärme des mütterlichen Körpers entwickelt, die Jungen nach dem Verlassen des Eies in der Milch der Mutter noch längere Zeit die notwen¬ digen Ncchrnngsstoffe finden. Einen Schritt weiter führen uns die Beuteltiere. Hier kommt es garnicht mehr zur Bildung von Eiern im gewöhnlichen Sinne. Aber die Verbindung der Eizelle mit dem mütterlichen, blut- und säftevermittelnden, d. h. ernährenden Organe ist noch keine innige, der wachsende Organismus wird daher auf noch früher Entwicklungsstufe geboren, aber wieder nicht, um sich selbst und den Unbilden der Außenwelt überlassen zu werden: im Beutel der Mutter findet er Schutz und an den nunmehr schon weiter entwickelten milch- spendcnden Organen eine reiche Nahrungsanelle für lange Zeit, bis er endlich, völlig ausgereift, seinen eignen Weg geht. Der Übergang zu den Verhältnissen, wie die höheren Säugetiere sie auf¬ weisen, ist nun, im Prinzip wenigstens, verständlich. Die Verbindung der wachsenden Eizelle mit der Mutter wird enger und enger, später und später erfolgt die Trennung durch die Geburt, bis zuletzt ein nahezu vollendeter Organismus durch dieselbe zutage tritt, der nunmehr nur kurze Zeit durch die Muttermilch ernährt wird und bald selbständig in das Leben eintritt. Einlegende Säugetiere, so paradox diese Verbindung auch anfangs scheinen mochte, sind also keine Wunder, wenigstens rückt die Allmählichkeit des Über¬ ganges von einem zum andern, welche die Natur hier wie überall zeigt, ihre Erscheinung unserm Verständnisse näher, wenn auch der Übergang von hier Grmzbotenl. 1885. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/189>, abgerufen am 25.08.2024.