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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten,

Eigentlich wollte ich über die jetzige Wirtschaftspolitik spreche", will mich
jedoch bei der vorgerückten Stunde kurz fassen. Was braucht es denn auch
langer Auseinandersetzungen! Das Arbeiten ist eine langweilige Erfindung,
und man verliert die schönste Zeit damit darin wird mir wohl niemand
widersprechen. Wenn um Amerikaner und Engländer und Franzosen und andre
gutherzige Völker zu uns sagen: Was plagt ihr euch so? Wir wollen für euch
den Acker und den Wald bauen, wir wollen für euch fabriziren, was ihr braucht,
ihr sollt weiter keine Mühe haben, als uns das Getreide und den Wein und
den Zucker und das Holz und das Tuch und den Shirting und das Geschirr
und das Gerät u, s. w. u. s. w. abzukaufen, so haben wir alle Ursache, ihnen dankbar
zu sein. Wir können dann Bücher schreiben oder Reden halten oder spazieren
gehen oder im Wirtshaus sitzen, wie es uns beliebt: das reine Schlaraffenleben!
Ja noch mehr, die andern Nationen würden sich sogar erbitten lassen, für uns
die notwendigen Kriege zu führen, wenn wir nur eine Kleinigkeit dazu beisteuern
wollten, nämlich die Schlachtfelder hergeben, wie das unsre Vorfahren in der
gute" alten Zeit gethan haben. Diesem idealen Zustande waren wir schon so
nahe -- kommt uns da die verderbliche Wirtschaftspolitik in die Quere! Wie
verderblich sie ist, will ich Ihnen an einer Thatsache demonstriren. Ich habe
meiner Frau zu Weihnachten einen Kanarienvogel gekauft und zwanzig Pfennige
mehr zahlen müssen, als für einen ganz gleichen vor fünf Jahren. Nun frage
ich mit dem Abgeordneten Richter: Sind das die goldnen Berge, die man uns
versprochen hat? Der Vogelhändler sagt aber, er könne es nicht billiger thun,
denn in seiner Zeitung stehe, daß eine Hanfsamenstcuer eingeführt werden wird,
und was in der Zeitung steht, ist bekanntlich wahr. Einer Politik, welche die
notwendigen Lebensbedürfnisse der Stubenvögel belastet, damit die Reichen täglich
Fasan essen können, werde ich meine Zustimmung niemals geben.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten,

Eigentlich wollte ich über die jetzige Wirtschaftspolitik spreche», will mich
jedoch bei der vorgerückten Stunde kurz fassen. Was braucht es denn auch
langer Auseinandersetzungen! Das Arbeiten ist eine langweilige Erfindung,
und man verliert die schönste Zeit damit darin wird mir wohl niemand
widersprechen. Wenn um Amerikaner und Engländer und Franzosen und andre
gutherzige Völker zu uns sagen: Was plagt ihr euch so? Wir wollen für euch
den Acker und den Wald bauen, wir wollen für euch fabriziren, was ihr braucht,
ihr sollt weiter keine Mühe haben, als uns das Getreide und den Wein und
den Zucker und das Holz und das Tuch und den Shirting und das Geschirr
und das Gerät u, s. w. u. s. w. abzukaufen, so haben wir alle Ursache, ihnen dankbar
zu sein. Wir können dann Bücher schreiben oder Reden halten oder spazieren
gehen oder im Wirtshaus sitzen, wie es uns beliebt: das reine Schlaraffenleben!
Ja noch mehr, die andern Nationen würden sich sogar erbitten lassen, für uns
die notwendigen Kriege zu führen, wenn wir nur eine Kleinigkeit dazu beisteuern
wollten, nämlich die Schlachtfelder hergeben, wie das unsre Vorfahren in der
gute« alten Zeit gethan haben. Diesem idealen Zustande waren wir schon so
nahe — kommt uns da die verderbliche Wirtschaftspolitik in die Quere! Wie
verderblich sie ist, will ich Ihnen an einer Thatsache demonstriren. Ich habe
meiner Frau zu Weihnachten einen Kanarienvogel gekauft und zwanzig Pfennige
mehr zahlen müssen, als für einen ganz gleichen vor fünf Jahren. Nun frage
ich mit dem Abgeordneten Richter: Sind das die goldnen Berge, die man uns
versprochen hat? Der Vogelhändler sagt aber, er könne es nicht billiger thun,
denn in seiner Zeitung stehe, daß eine Hanfsamenstcuer eingeführt werden wird,
und was in der Zeitung steht, ist bekanntlich wahr. Einer Politik, welche die
notwendigen Lebensbedürfnisse der Stubenvögel belastet, damit die Reichen täglich
Fasan essen können, werde ich meine Zustimmung niemals geben.




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[0161] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten, Eigentlich wollte ich über die jetzige Wirtschaftspolitik spreche», will mich jedoch bei der vorgerückten Stunde kurz fassen. Was braucht es denn auch langer Auseinandersetzungen! Das Arbeiten ist eine langweilige Erfindung, und man verliert die schönste Zeit damit darin wird mir wohl niemand widersprechen. Wenn um Amerikaner und Engländer und Franzosen und andre gutherzige Völker zu uns sagen: Was plagt ihr euch so? Wir wollen für euch den Acker und den Wald bauen, wir wollen für euch fabriziren, was ihr braucht, ihr sollt weiter keine Mühe haben, als uns das Getreide und den Wein und den Zucker und das Holz und das Tuch und den Shirting und das Geschirr und das Gerät u, s. w. u. s. w. abzukaufen, so haben wir alle Ursache, ihnen dankbar zu sein. Wir können dann Bücher schreiben oder Reden halten oder spazieren gehen oder im Wirtshaus sitzen, wie es uns beliebt: das reine Schlaraffenleben! Ja noch mehr, die andern Nationen würden sich sogar erbitten lassen, für uns die notwendigen Kriege zu führen, wenn wir nur eine Kleinigkeit dazu beisteuern wollten, nämlich die Schlachtfelder hergeben, wie das unsre Vorfahren in der gute« alten Zeit gethan haben. Diesem idealen Zustande waren wir schon so nahe — kommt uns da die verderbliche Wirtschaftspolitik in die Quere! Wie verderblich sie ist, will ich Ihnen an einer Thatsache demonstriren. Ich habe meiner Frau zu Weihnachten einen Kanarienvogel gekauft und zwanzig Pfennige mehr zahlen müssen, als für einen ganz gleichen vor fünf Jahren. Nun frage ich mit dem Abgeordneten Richter: Sind das die goldnen Berge, die man uns versprochen hat? Der Vogelhändler sagt aber, er könne es nicht billiger thun, denn in seiner Zeitung stehe, daß eine Hanfsamenstcuer eingeführt werden wird, und was in der Zeitung steht, ist bekanntlich wahr. Einer Politik, welche die notwendigen Lebensbedürfnisse der Stubenvögel belastet, damit die Reichen täglich Fasan essen können, werde ich meine Zustimmung niemals geben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/161>, abgerufen am 22.07.2024.