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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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überhaupt nur die Wiedergeburt der griechischen Bauweise, Diese wurde schon
zu jener Zeit, weil sich ihr Formcninhalt sehr schnell verbraucht hatte, als
" Eklekticismus" bezeichnet, und Bötticher durste in jener Rede mit vollem
Rechte fragen: "Wohin wird eine solche nur aus den Fingern quillende Thätig¬
keit zuletzt führen, wenn nichts mehr zu eklegiren da sein wird, wenn die
Formen der Schinkelschen Werke, wenn die der alten Monumente abgezogen
und verbraucht sein werden?" Bötticher fügte noch hinzu: "Vielleicht zu einer,
wiederholten Renaissance!" und auch darin hat er das Richtige vvrausgesehent
Zu einer wiederholten Renaissance, welche in tollem Wettlauf alles wiederholt
hat, was im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Italien, Frankreich,
Deutschland und Holland geschaffen worden ist.

Wenn jemand noch daran zweifelt, daß die Renaissance, die italienische wie
die deutsche, kein neuer Kunftftil, sondern nur ein wieder aufgefrischtes orna¬
mentales Musterbuch ist, der mag die modernen Monumental-, Industrie- und
Nutzbauten der Reihe nach durchprüfe!! oder im Geiste nebeneinander auf-
marschiren lassen, um sich davon zu überzeugen, daß die angebliche nationale
"Stileinheit" auf einer dürftigen Grammatik von Formenelementen beruht, welche
nach modernen Begriffen nur für die nötigsten Phrasen ausreichen. Wir wollen
eine Villa oder ein ländliches Wohnhaus im Stile der deutschen Renaissance
bauen; aber die deutsche Renaissance liefert uns kein Vorbild, weil sie kleine,
freistehende Bauwerke dieser Art nicht gekannt hat. Man hat Wohl Rathäuser
erbaut, welche auf größeren Plätzen isolirt standen; im Wesen des bürgerlichen
Wohnhauses lag jedoch der Anschluß an seinesgleichen und im Charakter der
aus dem Mittelalter herausgewachsenen Ncnaissaneestadt zugleich die Notwendig¬
keit der größten Raumersparnis begründet. Für die geringe Frvutentwicklung,
welche durch das enge Zusammenwohnen behufs wirksamerer Verteidigungs¬
fähigkeit bedingt war, mußte die größere Tiefe der Grundstücke entschädigen.
Ein Berliner Architekt hat vor einigen Jahren den Versuch gemacht, ans dieser
auch in modernen Städten noch vorhandnen Raumnot eine Tugend zu machen
und die schmale Straßenfront zu gunsten der deutschen Renaissance in einem
von ihm sogenannten "Dreifensterwohnhaus" künstlerisch auszubilden. Aber
trotz seiner geistvollen Durchführung und Begründung hat er mit seinen Pro¬
jekten nur wenig Anklang gefunden. Im Gegensatz zu dem Menschen des
Mittelalters strebt der moderne Mensch zu einer größeren Jsolirung, zumal da
die Mittel des modernen Staatenshstems dem einzelnen Bürger auch über das
Weichbild einer von Mauern umschränkten Stadt hinaus zureichende Sicherheit
für Wohlfahrt und Eigentum gewähren. Wir wollen mehr Licht und Luft
haben, als fie uns der enge Rahmen der mittelalterlichen Bauart zu bieten
vermag. Mit der Befreiung des Individuums von den Fesseln der Tradition,
welche That man gewöhnlich als die Quintessenz und das Symbolum des welt¬
bewegenden Gedankens der Renaissance bezeichnet, ist auch das Naturgefühl in


überhaupt nur die Wiedergeburt der griechischen Bauweise, Diese wurde schon
zu jener Zeit, weil sich ihr Formcninhalt sehr schnell verbraucht hatte, als
„ Eklekticismus" bezeichnet, und Bötticher durste in jener Rede mit vollem
Rechte fragen: „Wohin wird eine solche nur aus den Fingern quillende Thätig¬
keit zuletzt führen, wenn nichts mehr zu eklegiren da sein wird, wenn die
Formen der Schinkelschen Werke, wenn die der alten Monumente abgezogen
und verbraucht sein werden?" Bötticher fügte noch hinzu: „Vielleicht zu einer,
wiederholten Renaissance!" und auch darin hat er das Richtige vvrausgesehent
Zu einer wiederholten Renaissance, welche in tollem Wettlauf alles wiederholt
hat, was im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Italien, Frankreich,
Deutschland und Holland geschaffen worden ist.

Wenn jemand noch daran zweifelt, daß die Renaissance, die italienische wie
die deutsche, kein neuer Kunftftil, sondern nur ein wieder aufgefrischtes orna¬
mentales Musterbuch ist, der mag die modernen Monumental-, Industrie- und
Nutzbauten der Reihe nach durchprüfe!! oder im Geiste nebeneinander auf-
marschiren lassen, um sich davon zu überzeugen, daß die angebliche nationale
„Stileinheit" auf einer dürftigen Grammatik von Formenelementen beruht, welche
nach modernen Begriffen nur für die nötigsten Phrasen ausreichen. Wir wollen
eine Villa oder ein ländliches Wohnhaus im Stile der deutschen Renaissance
bauen; aber die deutsche Renaissance liefert uns kein Vorbild, weil sie kleine,
freistehende Bauwerke dieser Art nicht gekannt hat. Man hat Wohl Rathäuser
erbaut, welche auf größeren Plätzen isolirt standen; im Wesen des bürgerlichen
Wohnhauses lag jedoch der Anschluß an seinesgleichen und im Charakter der
aus dem Mittelalter herausgewachsenen Ncnaissaneestadt zugleich die Notwendig¬
keit der größten Raumersparnis begründet. Für die geringe Frvutentwicklung,
welche durch das enge Zusammenwohnen behufs wirksamerer Verteidigungs¬
fähigkeit bedingt war, mußte die größere Tiefe der Grundstücke entschädigen.
Ein Berliner Architekt hat vor einigen Jahren den Versuch gemacht, ans dieser
auch in modernen Städten noch vorhandnen Raumnot eine Tugend zu machen
und die schmale Straßenfront zu gunsten der deutschen Renaissance in einem
von ihm sogenannten „Dreifensterwohnhaus" künstlerisch auszubilden. Aber
trotz seiner geistvollen Durchführung und Begründung hat er mit seinen Pro¬
jekten nur wenig Anklang gefunden. Im Gegensatz zu dem Menschen des
Mittelalters strebt der moderne Mensch zu einer größeren Jsolirung, zumal da
die Mittel des modernen Staatenshstems dem einzelnen Bürger auch über das
Weichbild einer von Mauern umschränkten Stadt hinaus zureichende Sicherheit
für Wohlfahrt und Eigentum gewähren. Wir wollen mehr Licht und Luft
haben, als fie uns der enge Rahmen der mittelalterlichen Bauart zu bieten
vermag. Mit der Befreiung des Individuums von den Fesseln der Tradition,
welche That man gewöhnlich als die Quintessenz und das Symbolum des welt¬
bewegenden Gedankens der Renaissance bezeichnet, ist auch das Naturgefühl in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/102>, abgerufen am 22.07.2024.