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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Überhaupt wolle man den praktischen, reellen Gewinn nicht unterschätzen,
den Staat und Volk aus einer erhöhten Fürsorge für die alten Bau- und
Kunstdenkmäler ziehen würden. In einer Zeit, wo vor jeder Unternehmung
zuerst nach den Prozenten, die davon zu erwarten sind, gefragt wird, in einer
Zeit, die fast in all ihrem Thun und Treiben von materiellen Interessen, von
dem Jagen nach finanziellem Gewinn beherrscht erscheint, ist es vielleicht an¬
gemessen, auch hierauf die Aufmerksamkeit zu lenken. Eine große Reihe von
Techniken, deren Kenntnis unserm Volke im Verlauf der Zeit gänzlich verloren
gegangen war, ist ihm allein durch die gelehrte Forschung wieder bekannt ge¬
worden. In dem Kampfe der Renaissance gegen die Gothik hatte man z. B. in
vornehmer Geringschätzung der veralteten und verwilderten Weise auch deren
große Vorzüge, z. B. ihre ausgebildete Kunst des Gewölbebaues, vergessen, und
speziell die nordostdentsche Niederung, die von der Natur nicht durch Gebirge,
nicht durch große Lager von Kalk- und Sandstein ausgezeichnet, sondern allein
auf den Backstein angewiesen ist, hat den größten Gewinn aus den bekannten
Veröffentlichungen von Quast, Adler u. a. gezogen. Durch ihre Bücher, durch
ihre Forschungen und Beschreibungen der alten Werke hat man bei uns erst
wieder bauen gelernt. Ebenso steht es mit verschiedenen Arten der Goldschmiede¬
kunst, mit der Leinenstickerei, der Glasmalerei und Brennerei, der Thonbildnerei,
kurz den mannichfachsten Zweigen des Kunstgewerbes. Es ist erstaunlich, wie
schnell unsre Kunsthandwerker in den letzten Jahren durch das eifrige Studium
der alten Vorbilder und Techniken, auf die sie von den Gelehrten fast mit Ge¬
walt getrieben werden mußten, vorwärts gekommen sind, wie viel sie gelernt
haben. Aber noch gar vieles ist verborgen, noch manche Schätze müssen gehoben,
die vorhandenen noch allgemeiner zugänglich gemacht werden. Wenn erst auch
in kleinen Orten durchgängig die alten Denkmäler von ihrem Schmutz und ihrer
Tünche befreit sein werden, wenn die Schönheit ihrer Profilirungen, die Sorg¬
falt ihrer Ausführung u. a. erst wieder überall an das Tageslicht gebracht
sein wird, so wird das unfehlbar von anspornendem Einfluß auf unsre Bau-
gewerke sein.

Es ist ferner zu berücksichtigen, daß jetzt die Kunstaltertümer infolge der
hohen Preise, welche die Liebhaber dafür zahle", bedeutende Kapitalien und
geradezu einen Teil unsers Nationalvermögens darstellen. Und schließlich, welch
großartige Einnahmequelle sür eine Stadt, für ein ganzes Land schöne Samm¬
lungen zu bedeuten haben, davon wissen München, Dresden und neuerdings
auch Berlin zu erzählen, die durch den starken Zufluß von Fremden nicht bloß
direkte finanzielle Einkünfte, sondern auch den indirekten Vorteil haben, in den
Vordergrund des europäischen Interesses gerückt zu sein.

Aber hoch über diesen materiellen Vorteilen soll uns doch der ideelle Nutzen
stehen und stehen bleiben. Durch die Beschäftigung mit der Geschichte und der
Kunst seiner Vorzeit wird in jedem Volke der Patriotismus gefördert und die


Grenzboten I. 1384, ^

Überhaupt wolle man den praktischen, reellen Gewinn nicht unterschätzen,
den Staat und Volk aus einer erhöhten Fürsorge für die alten Bau- und
Kunstdenkmäler ziehen würden. In einer Zeit, wo vor jeder Unternehmung
zuerst nach den Prozenten, die davon zu erwarten sind, gefragt wird, in einer
Zeit, die fast in all ihrem Thun und Treiben von materiellen Interessen, von
dem Jagen nach finanziellem Gewinn beherrscht erscheint, ist es vielleicht an¬
gemessen, auch hierauf die Aufmerksamkeit zu lenken. Eine große Reihe von
Techniken, deren Kenntnis unserm Volke im Verlauf der Zeit gänzlich verloren
gegangen war, ist ihm allein durch die gelehrte Forschung wieder bekannt ge¬
worden. In dem Kampfe der Renaissance gegen die Gothik hatte man z. B. in
vornehmer Geringschätzung der veralteten und verwilderten Weise auch deren
große Vorzüge, z. B. ihre ausgebildete Kunst des Gewölbebaues, vergessen, und
speziell die nordostdentsche Niederung, die von der Natur nicht durch Gebirge,
nicht durch große Lager von Kalk- und Sandstein ausgezeichnet, sondern allein
auf den Backstein angewiesen ist, hat den größten Gewinn aus den bekannten
Veröffentlichungen von Quast, Adler u. a. gezogen. Durch ihre Bücher, durch
ihre Forschungen und Beschreibungen der alten Werke hat man bei uns erst
wieder bauen gelernt. Ebenso steht es mit verschiedenen Arten der Goldschmiede¬
kunst, mit der Leinenstickerei, der Glasmalerei und Brennerei, der Thonbildnerei,
kurz den mannichfachsten Zweigen des Kunstgewerbes. Es ist erstaunlich, wie
schnell unsre Kunsthandwerker in den letzten Jahren durch das eifrige Studium
der alten Vorbilder und Techniken, auf die sie von den Gelehrten fast mit Ge¬
walt getrieben werden mußten, vorwärts gekommen sind, wie viel sie gelernt
haben. Aber noch gar vieles ist verborgen, noch manche Schätze müssen gehoben,
die vorhandenen noch allgemeiner zugänglich gemacht werden. Wenn erst auch
in kleinen Orten durchgängig die alten Denkmäler von ihrem Schmutz und ihrer
Tünche befreit sein werden, wenn die Schönheit ihrer Profilirungen, die Sorg¬
falt ihrer Ausführung u. a. erst wieder überall an das Tageslicht gebracht
sein wird, so wird das unfehlbar von anspornendem Einfluß auf unsre Bau-
gewerke sein.

Es ist ferner zu berücksichtigen, daß jetzt die Kunstaltertümer infolge der
hohen Preise, welche die Liebhaber dafür zahle», bedeutende Kapitalien und
geradezu einen Teil unsers Nationalvermögens darstellen. Und schließlich, welch
großartige Einnahmequelle sür eine Stadt, für ein ganzes Land schöne Samm¬
lungen zu bedeuten haben, davon wissen München, Dresden und neuerdings
auch Berlin zu erzählen, die durch den starken Zufluß von Fremden nicht bloß
direkte finanzielle Einkünfte, sondern auch den indirekten Vorteil haben, in den
Vordergrund des europäischen Interesses gerückt zu sein.

Aber hoch über diesen materiellen Vorteilen soll uns doch der ideelle Nutzen
stehen und stehen bleiben. Durch die Beschäftigung mit der Geschichte und der
Kunst seiner Vorzeit wird in jedem Volke der Patriotismus gefördert und die


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[0099] Überhaupt wolle man den praktischen, reellen Gewinn nicht unterschätzen, den Staat und Volk aus einer erhöhten Fürsorge für die alten Bau- und Kunstdenkmäler ziehen würden. In einer Zeit, wo vor jeder Unternehmung zuerst nach den Prozenten, die davon zu erwarten sind, gefragt wird, in einer Zeit, die fast in all ihrem Thun und Treiben von materiellen Interessen, von dem Jagen nach finanziellem Gewinn beherrscht erscheint, ist es vielleicht an¬ gemessen, auch hierauf die Aufmerksamkeit zu lenken. Eine große Reihe von Techniken, deren Kenntnis unserm Volke im Verlauf der Zeit gänzlich verloren gegangen war, ist ihm allein durch die gelehrte Forschung wieder bekannt ge¬ worden. In dem Kampfe der Renaissance gegen die Gothik hatte man z. B. in vornehmer Geringschätzung der veralteten und verwilderten Weise auch deren große Vorzüge, z. B. ihre ausgebildete Kunst des Gewölbebaues, vergessen, und speziell die nordostdentsche Niederung, die von der Natur nicht durch Gebirge, nicht durch große Lager von Kalk- und Sandstein ausgezeichnet, sondern allein auf den Backstein angewiesen ist, hat den größten Gewinn aus den bekannten Veröffentlichungen von Quast, Adler u. a. gezogen. Durch ihre Bücher, durch ihre Forschungen und Beschreibungen der alten Werke hat man bei uns erst wieder bauen gelernt. Ebenso steht es mit verschiedenen Arten der Goldschmiede¬ kunst, mit der Leinenstickerei, der Glasmalerei und Brennerei, der Thonbildnerei, kurz den mannichfachsten Zweigen des Kunstgewerbes. Es ist erstaunlich, wie schnell unsre Kunsthandwerker in den letzten Jahren durch das eifrige Studium der alten Vorbilder und Techniken, auf die sie von den Gelehrten fast mit Ge¬ walt getrieben werden mußten, vorwärts gekommen sind, wie viel sie gelernt haben. Aber noch gar vieles ist verborgen, noch manche Schätze müssen gehoben, die vorhandenen noch allgemeiner zugänglich gemacht werden. Wenn erst auch in kleinen Orten durchgängig die alten Denkmäler von ihrem Schmutz und ihrer Tünche befreit sein werden, wenn die Schönheit ihrer Profilirungen, die Sorg¬ falt ihrer Ausführung u. a. erst wieder überall an das Tageslicht gebracht sein wird, so wird das unfehlbar von anspornendem Einfluß auf unsre Bau- gewerke sein. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß jetzt die Kunstaltertümer infolge der hohen Preise, welche die Liebhaber dafür zahle», bedeutende Kapitalien und geradezu einen Teil unsers Nationalvermögens darstellen. Und schließlich, welch großartige Einnahmequelle sür eine Stadt, für ein ganzes Land schöne Samm¬ lungen zu bedeuten haben, davon wissen München, Dresden und neuerdings auch Berlin zu erzählen, die durch den starken Zufluß von Fremden nicht bloß direkte finanzielle Einkünfte, sondern auch den indirekten Vorteil haben, in den Vordergrund des europäischen Interesses gerückt zu sein. Aber hoch über diesen materiellen Vorteilen soll uns doch der ideelle Nutzen stehen und stehen bleiben. Durch die Beschäftigung mit der Geschichte und der Kunst seiner Vorzeit wird in jedem Volke der Patriotismus gefördert und die Grenzboten I. 1384, ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/99>, abgerufen am 24.08.2024.