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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und Runstdenkmäler.

zugute halten, wenn sie z, B. eine romanische Apsis abbrachen, um einen neu¬
modischen, spitzbogigen Chor an deren Stelle zu setzen; verdanken wir doch
gerade dieser Naivität die köstliche, reine Entfaltung der Kunst, das eifrige,
frische Treiben ihrer Jünger in der Vorzeit, Anders steht es heute. Die
ganze Entwicklung, die Deutschlands Kunst während eines Jahrtausends durch¬
gemacht hat, hat sich innerhalb der letzten sechzig Jahre wiederholt. Noch
unter der vollen Herrschaft der Schinkelschen hellenisirenden Richtung begann
die romantische Strömung, die auf das Mittelalter zurückging. Dem roma¬
nischen Stil folgte der gothische, und während wir noch vor wenigen Jahren
überall das Lob der Renmssanee verkünden hörten und es fast schien, als ob
diese dauernd ins Leben zurückgerufen werden sollte, treiben wir jetzt, dank
den Bestrebungen der Münchner und Berliner, im Fahrwasser des ausgepräg¬
testen Barock und Rokoko. Dieser böse, schnelle Wechsel, der durch die Rasch-
lcbigkeit unsrer Zeit, die gesteigerte Kultur und besonders durch die Pflege der
Kunstgeschichte bewirkt worden ist, hat aber wenigstens das eine gute gehabt,
uns die rechte Pietät gegen alles vergangene zu lehren, uns zu lehren, daß
wir nicht aus Liebhaberei für den einen oder andern Stil die übrigen bei Seite
zu werfen und für nichts zu achten, sondern alle gleichmäßig zu erforschen und
unsern Nachkommen als ein teures Vermächtnis der Vorzeit nach Möglichkeit
zu erhalten haben. Indem wir während dieses Jahrhunderts in kurzem die
ganze bisherige kunstgeschichtliche Entwicklung praktisch noch einmal durchgemacht
haben, haben wir jede einzelne Periode umso besser verstehen und schätzen lernen.
Wir sind eigentlich erst jetzt in der Lage, mit einiger Berechtigung und mit
einiger Aussicht auf Erfolg an unsre Frage heranzutreten.

In dem ersten, größeren Teil unsers Jahrhunderts, in welchem bereits
mit großem Eifer und reger Begeisterung restaurirt wurde, ist vielfach, fast
gerade so wie früher, alles, was der Anschauung der leitenden Kreise nicht
gefiel, beiseite geschoben oder gar vernichtet worden. Ja es ist neuerdings die
Behauptung aufgestellt worden, daß die früheren Jahrhunderte sich bei weitem
nicht so zerstörungswütig und so erfolgreich im Vernichten erwiesen hätten als
das hochgebildete neunzehnte. Es hat das viel für sich, eine Menge von Be¬
legen spricht dafür. Mit puritanistischem Eifer hat man häufig ans Kirchen alles,
was nicht in ihrem Stil erbaut war, entfernt, in einen Winkel geworfen oder
gar zerhackt, verbrannt, verkauft. Manches schöne Glasfenster, manches pracht¬
volle Schnitzwerk, mancher herrliche Grabstein ist ans diese Weise verloren ge¬
gangen. Wie kahl und wie nüchtern sieht der Bamberger Dom, einer der
glänzendsten Bauten, der mit großem Kostenaufwand wiederhergestellt ist, jetzt
im Innern aus! So manche nicht restaurirte Kirche, in der die alten Denk¬
mäler, sowie sie historisch geworden und aufgestellt sind, noch unverändert am
alten Platze stehen, ist viel behaglicher, gemütlicher und gefälliger. Selbst der Würz¬
burger Dom , der in seiner jetzigen, vorzugsweise dem achtzehnten Jahrhundert


Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und Runstdenkmäler.

zugute halten, wenn sie z, B. eine romanische Apsis abbrachen, um einen neu¬
modischen, spitzbogigen Chor an deren Stelle zu setzen; verdanken wir doch
gerade dieser Naivität die köstliche, reine Entfaltung der Kunst, das eifrige,
frische Treiben ihrer Jünger in der Vorzeit, Anders steht es heute. Die
ganze Entwicklung, die Deutschlands Kunst während eines Jahrtausends durch¬
gemacht hat, hat sich innerhalb der letzten sechzig Jahre wiederholt. Noch
unter der vollen Herrschaft der Schinkelschen hellenisirenden Richtung begann
die romantische Strömung, die auf das Mittelalter zurückging. Dem roma¬
nischen Stil folgte der gothische, und während wir noch vor wenigen Jahren
überall das Lob der Renmssanee verkünden hörten und es fast schien, als ob
diese dauernd ins Leben zurückgerufen werden sollte, treiben wir jetzt, dank
den Bestrebungen der Münchner und Berliner, im Fahrwasser des ausgepräg¬
testen Barock und Rokoko. Dieser böse, schnelle Wechsel, der durch die Rasch-
lcbigkeit unsrer Zeit, die gesteigerte Kultur und besonders durch die Pflege der
Kunstgeschichte bewirkt worden ist, hat aber wenigstens das eine gute gehabt,
uns die rechte Pietät gegen alles vergangene zu lehren, uns zu lehren, daß
wir nicht aus Liebhaberei für den einen oder andern Stil die übrigen bei Seite
zu werfen und für nichts zu achten, sondern alle gleichmäßig zu erforschen und
unsern Nachkommen als ein teures Vermächtnis der Vorzeit nach Möglichkeit
zu erhalten haben. Indem wir während dieses Jahrhunderts in kurzem die
ganze bisherige kunstgeschichtliche Entwicklung praktisch noch einmal durchgemacht
haben, haben wir jede einzelne Periode umso besser verstehen und schätzen lernen.
Wir sind eigentlich erst jetzt in der Lage, mit einiger Berechtigung und mit
einiger Aussicht auf Erfolg an unsre Frage heranzutreten.

In dem ersten, größeren Teil unsers Jahrhunderts, in welchem bereits
mit großem Eifer und reger Begeisterung restaurirt wurde, ist vielfach, fast
gerade so wie früher, alles, was der Anschauung der leitenden Kreise nicht
gefiel, beiseite geschoben oder gar vernichtet worden. Ja es ist neuerdings die
Behauptung aufgestellt worden, daß die früheren Jahrhunderte sich bei weitem
nicht so zerstörungswütig und so erfolgreich im Vernichten erwiesen hätten als
das hochgebildete neunzehnte. Es hat das viel für sich, eine Menge von Be¬
legen spricht dafür. Mit puritanistischem Eifer hat man häufig ans Kirchen alles,
was nicht in ihrem Stil erbaut war, entfernt, in einen Winkel geworfen oder
gar zerhackt, verbrannt, verkauft. Manches schöne Glasfenster, manches pracht¬
volle Schnitzwerk, mancher herrliche Grabstein ist ans diese Weise verloren ge¬
gangen. Wie kahl und wie nüchtern sieht der Bamberger Dom, einer der
glänzendsten Bauten, der mit großem Kostenaufwand wiederhergestellt ist, jetzt
im Innern aus! So manche nicht restaurirte Kirche, in der die alten Denk¬
mäler, sowie sie historisch geworden und aufgestellt sind, noch unverändert am
alten Platze stehen, ist viel behaglicher, gemütlicher und gefälliger. Selbst der Würz¬
burger Dom , der in seiner jetzigen, vorzugsweise dem achtzehnten Jahrhundert


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[0089] Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und Runstdenkmäler. zugute halten, wenn sie z, B. eine romanische Apsis abbrachen, um einen neu¬ modischen, spitzbogigen Chor an deren Stelle zu setzen; verdanken wir doch gerade dieser Naivität die köstliche, reine Entfaltung der Kunst, das eifrige, frische Treiben ihrer Jünger in der Vorzeit, Anders steht es heute. Die ganze Entwicklung, die Deutschlands Kunst während eines Jahrtausends durch¬ gemacht hat, hat sich innerhalb der letzten sechzig Jahre wiederholt. Noch unter der vollen Herrschaft der Schinkelschen hellenisirenden Richtung begann die romantische Strömung, die auf das Mittelalter zurückging. Dem roma¬ nischen Stil folgte der gothische, und während wir noch vor wenigen Jahren überall das Lob der Renmssanee verkünden hörten und es fast schien, als ob diese dauernd ins Leben zurückgerufen werden sollte, treiben wir jetzt, dank den Bestrebungen der Münchner und Berliner, im Fahrwasser des ausgepräg¬ testen Barock und Rokoko. Dieser böse, schnelle Wechsel, der durch die Rasch- lcbigkeit unsrer Zeit, die gesteigerte Kultur und besonders durch die Pflege der Kunstgeschichte bewirkt worden ist, hat aber wenigstens das eine gute gehabt, uns die rechte Pietät gegen alles vergangene zu lehren, uns zu lehren, daß wir nicht aus Liebhaberei für den einen oder andern Stil die übrigen bei Seite zu werfen und für nichts zu achten, sondern alle gleichmäßig zu erforschen und unsern Nachkommen als ein teures Vermächtnis der Vorzeit nach Möglichkeit zu erhalten haben. Indem wir während dieses Jahrhunderts in kurzem die ganze bisherige kunstgeschichtliche Entwicklung praktisch noch einmal durchgemacht haben, haben wir jede einzelne Periode umso besser verstehen und schätzen lernen. Wir sind eigentlich erst jetzt in der Lage, mit einiger Berechtigung und mit einiger Aussicht auf Erfolg an unsre Frage heranzutreten. In dem ersten, größeren Teil unsers Jahrhunderts, in welchem bereits mit großem Eifer und reger Begeisterung restaurirt wurde, ist vielfach, fast gerade so wie früher, alles, was der Anschauung der leitenden Kreise nicht gefiel, beiseite geschoben oder gar vernichtet worden. Ja es ist neuerdings die Behauptung aufgestellt worden, daß die früheren Jahrhunderte sich bei weitem nicht so zerstörungswütig und so erfolgreich im Vernichten erwiesen hätten als das hochgebildete neunzehnte. Es hat das viel für sich, eine Menge von Be¬ legen spricht dafür. Mit puritanistischem Eifer hat man häufig ans Kirchen alles, was nicht in ihrem Stil erbaut war, entfernt, in einen Winkel geworfen oder gar zerhackt, verbrannt, verkauft. Manches schöne Glasfenster, manches pracht¬ volle Schnitzwerk, mancher herrliche Grabstein ist ans diese Weise verloren ge¬ gangen. Wie kahl und wie nüchtern sieht der Bamberger Dom, einer der glänzendsten Bauten, der mit großem Kostenaufwand wiederhergestellt ist, jetzt im Innern aus! So manche nicht restaurirte Kirche, in der die alten Denk¬ mäler, sowie sie historisch geworden und aufgestellt sind, noch unverändert am alten Platze stehen, ist viel behaglicher, gemütlicher und gefälliger. Selbst der Würz¬ burger Dom , der in seiner jetzigen, vorzugsweise dem achtzehnten Jahrhundert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/89>, abgerufen am 25.08.2024.