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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Theaterleitung Goethes."

Wenn aber auch die Theaterverwaltnng hierdurch sehr früh einen festen Boden
gewann und mit dem wichtigen Faktor rechnen konnte, daß dnrch die Abonnenten
in der Regel die Einnahmen des Theaters mehr als durch die Tagcsein-
nahmen gestützt wurden, so war zwar etwas, aber nicht soviel erzielt, daß das
Theater ausschließlich auf Weimar beschränkt werden konnte. Denn in den
achtmonatlichen Vorstellungen der Wintersaison brachte die Residenz, namentlich
was die ersten zehn Jahre anlangt, nicht mehr an Gesamteintrittsgcldern auf,
als was die Gagen des Theaterpersonals ausmachten, d. h. beide Faktoren
bezifferten sich auf kaum 4000 Thaler.

So war Goethe genötigt, den Fußtapfen der früheren Theaterdirektoren
zu folgen, die im Beginn des Frühjahrs dem theatermüden Publikum den
Rücken kehrten. Wie sie, so dirigirte anch er seine Truppe nach Lauchstädt.

Der jetzt unbedeutende Ort war, seitdem eine Kurfürstin von Sachsen
Heilung dort gefunden, alsbald ein berühmter Kurort und ein Luxus- und
Modebad zugleich geworden. Gleichzeitige Zeitungsberichte können nicht genug
betonen, wie hoch aristokratisch der Zuschnitt des Ganzen, wie ein armer Nicht¬
adliger in jeder Beziehung eine traurige Rolle zu spielen verurteilt war. Das
lag zum guten Teil an der örtlichen Beschaffenheit Lauchstcidts, einem lang¬
gestreckten Orte, in langweiliger, baumloser Ebene. Aber draußen vor dem Thor
des Städtchens hatte kurfürstliche Munificenz ein Stück Erde zu einem Para¬
diese umgewandelt. Noch heute lohnt es, von Halle oder Merseburg aus sich
einige Stunden aus gepflasterter Chaussee im Postwagen von einer Ecke zur
andern schleudern zu lassen, um dann unter prachtvollen Lindenalleen der wohl¬
verdienten Ruhe sich hingeben zu können.

Dort hatte Goethe mit herzogliche Genehmigung das bretterne Schauspiel"
Haus angekauft und die Erlaubnis erhalten, auf eine Reihe von Jahren gegen
die üblichen Abgaben Vorstellungen zu geben. Beide kontrahirende Teile hatten
alle Ursache, mit dem Abschluß des Geschäftes zufrieden zu sein. Am meisten
Goethe, dem das Publikum in hohem Maße zusagte. Er wußte seine Schau¬
spieler in guter Gesellschaft, und ihnen ging der Ruhm tüchtiger Leistung schon
um des Goethischen Namens willen voraus. Wenn wir hier und da der Be¬
hauptung begegnen, daß die Lauchstädter beim Anzug der Goethischen Truppe
ausgerufen haben sollen: "Thut die Wäsche weg, die Baude kommt!" so mögen
früher solche weise Vorsichtsmaßregeln Berechtigung gehabt haben, für die
Goethische Periode jedenfalls nicht.

Finanziell war Lauchstädt für das Weimarische Theater von hoher Bedeu¬
tung. In der Regel trafen die Schauspieler gegen die Mitte des Juni dort
ein, und zwar genau so, wie Goethe es vorgeschrieben hatte. Es wäre ein un-
gemessenes Betragen gewesen, wenn die Reisegesellschaft nach eignem Ermessen
in dem oder jenem Wagen Platz genommen hätte, jedes Mitglied mußte sich
gefallen lassen, an einen ganz bestimmten Sitz gebannt zu sein. Der Gang


Zur Geschichte der Theaterleitung Goethes."

Wenn aber auch die Theaterverwaltnng hierdurch sehr früh einen festen Boden
gewann und mit dem wichtigen Faktor rechnen konnte, daß dnrch die Abonnenten
in der Regel die Einnahmen des Theaters mehr als durch die Tagcsein-
nahmen gestützt wurden, so war zwar etwas, aber nicht soviel erzielt, daß das
Theater ausschließlich auf Weimar beschränkt werden konnte. Denn in den
achtmonatlichen Vorstellungen der Wintersaison brachte die Residenz, namentlich
was die ersten zehn Jahre anlangt, nicht mehr an Gesamteintrittsgcldern auf,
als was die Gagen des Theaterpersonals ausmachten, d. h. beide Faktoren
bezifferten sich auf kaum 4000 Thaler.

So war Goethe genötigt, den Fußtapfen der früheren Theaterdirektoren
zu folgen, die im Beginn des Frühjahrs dem theatermüden Publikum den
Rücken kehrten. Wie sie, so dirigirte anch er seine Truppe nach Lauchstädt.

Der jetzt unbedeutende Ort war, seitdem eine Kurfürstin von Sachsen
Heilung dort gefunden, alsbald ein berühmter Kurort und ein Luxus- und
Modebad zugleich geworden. Gleichzeitige Zeitungsberichte können nicht genug
betonen, wie hoch aristokratisch der Zuschnitt des Ganzen, wie ein armer Nicht¬
adliger in jeder Beziehung eine traurige Rolle zu spielen verurteilt war. Das
lag zum guten Teil an der örtlichen Beschaffenheit Lauchstcidts, einem lang¬
gestreckten Orte, in langweiliger, baumloser Ebene. Aber draußen vor dem Thor
des Städtchens hatte kurfürstliche Munificenz ein Stück Erde zu einem Para¬
diese umgewandelt. Noch heute lohnt es, von Halle oder Merseburg aus sich
einige Stunden aus gepflasterter Chaussee im Postwagen von einer Ecke zur
andern schleudern zu lassen, um dann unter prachtvollen Lindenalleen der wohl¬
verdienten Ruhe sich hingeben zu können.

Dort hatte Goethe mit herzogliche Genehmigung das bretterne Schauspiel»
Haus angekauft und die Erlaubnis erhalten, auf eine Reihe von Jahren gegen
die üblichen Abgaben Vorstellungen zu geben. Beide kontrahirende Teile hatten
alle Ursache, mit dem Abschluß des Geschäftes zufrieden zu sein. Am meisten
Goethe, dem das Publikum in hohem Maße zusagte. Er wußte seine Schau¬
spieler in guter Gesellschaft, und ihnen ging der Ruhm tüchtiger Leistung schon
um des Goethischen Namens willen voraus. Wenn wir hier und da der Be¬
hauptung begegnen, daß die Lauchstädter beim Anzug der Goethischen Truppe
ausgerufen haben sollen: „Thut die Wäsche weg, die Baude kommt!" so mögen
früher solche weise Vorsichtsmaßregeln Berechtigung gehabt haben, für die
Goethische Periode jedenfalls nicht.

Finanziell war Lauchstädt für das Weimarische Theater von hoher Bedeu¬
tung. In der Regel trafen die Schauspieler gegen die Mitte des Juni dort
ein, und zwar genau so, wie Goethe es vorgeschrieben hatte. Es wäre ein un-
gemessenes Betragen gewesen, wenn die Reisegesellschaft nach eignem Ermessen
in dem oder jenem Wagen Platz genommen hätte, jedes Mitglied mußte sich
gefallen lassen, an einen ganz bestimmten Sitz gebannt zu sein. Der Gang


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[0082] Zur Geschichte der Theaterleitung Goethes." Wenn aber auch die Theaterverwaltnng hierdurch sehr früh einen festen Boden gewann und mit dem wichtigen Faktor rechnen konnte, daß dnrch die Abonnenten in der Regel die Einnahmen des Theaters mehr als durch die Tagcsein- nahmen gestützt wurden, so war zwar etwas, aber nicht soviel erzielt, daß das Theater ausschließlich auf Weimar beschränkt werden konnte. Denn in den achtmonatlichen Vorstellungen der Wintersaison brachte die Residenz, namentlich was die ersten zehn Jahre anlangt, nicht mehr an Gesamteintrittsgcldern auf, als was die Gagen des Theaterpersonals ausmachten, d. h. beide Faktoren bezifferten sich auf kaum 4000 Thaler. So war Goethe genötigt, den Fußtapfen der früheren Theaterdirektoren zu folgen, die im Beginn des Frühjahrs dem theatermüden Publikum den Rücken kehrten. Wie sie, so dirigirte anch er seine Truppe nach Lauchstädt. Der jetzt unbedeutende Ort war, seitdem eine Kurfürstin von Sachsen Heilung dort gefunden, alsbald ein berühmter Kurort und ein Luxus- und Modebad zugleich geworden. Gleichzeitige Zeitungsberichte können nicht genug betonen, wie hoch aristokratisch der Zuschnitt des Ganzen, wie ein armer Nicht¬ adliger in jeder Beziehung eine traurige Rolle zu spielen verurteilt war. Das lag zum guten Teil an der örtlichen Beschaffenheit Lauchstcidts, einem lang¬ gestreckten Orte, in langweiliger, baumloser Ebene. Aber draußen vor dem Thor des Städtchens hatte kurfürstliche Munificenz ein Stück Erde zu einem Para¬ diese umgewandelt. Noch heute lohnt es, von Halle oder Merseburg aus sich einige Stunden aus gepflasterter Chaussee im Postwagen von einer Ecke zur andern schleudern zu lassen, um dann unter prachtvollen Lindenalleen der wohl¬ verdienten Ruhe sich hingeben zu können. Dort hatte Goethe mit herzogliche Genehmigung das bretterne Schauspiel» Haus angekauft und die Erlaubnis erhalten, auf eine Reihe von Jahren gegen die üblichen Abgaben Vorstellungen zu geben. Beide kontrahirende Teile hatten alle Ursache, mit dem Abschluß des Geschäftes zufrieden zu sein. Am meisten Goethe, dem das Publikum in hohem Maße zusagte. Er wußte seine Schau¬ spieler in guter Gesellschaft, und ihnen ging der Ruhm tüchtiger Leistung schon um des Goethischen Namens willen voraus. Wenn wir hier und da der Be¬ hauptung begegnen, daß die Lauchstädter beim Anzug der Goethischen Truppe ausgerufen haben sollen: „Thut die Wäsche weg, die Baude kommt!" so mögen früher solche weise Vorsichtsmaßregeln Berechtigung gehabt haben, für die Goethische Periode jedenfalls nicht. Finanziell war Lauchstädt für das Weimarische Theater von hoher Bedeu¬ tung. In der Regel trafen die Schauspieler gegen die Mitte des Juni dort ein, und zwar genau so, wie Goethe es vorgeschrieben hatte. Es wäre ein un- gemessenes Betragen gewesen, wenn die Reisegesellschaft nach eignem Ermessen in dem oder jenem Wagen Platz genommen hätte, jedes Mitglied mußte sich gefallen lassen, an einen ganz bestimmten Sitz gebannt zu sein. Der Gang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/82>, abgerufen am 28.09.2024.