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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der erste wissenschaftliche Sozmlist.

traten, besonders stark prcivalirte. Infolge dessen tritt uns jetzt die Erscheinung
entgegen, daß in den auf den antiken Kulturstätten sich umbildenden germanischen
Staaten das positive Recht mit dem gewonnenen formalen Inhalte des römische"
sofort in der Natur eines subjektiven Rechts zutage kommt, und daß sich die
Staaten sogar durch und durch aus einem an die Person geknüpften eignen
Rechte aufbauen, dergestalt, daß, wenn im römischen Reiche sogar das Privat-
recht einen staatsrechtlichen Charakter besitzt, umgekehrt in den germanischen
Reichen selbst das Staatsrecht privatrechtliche Natur annimmt." In solcher
Form wurde das positive Recht im ganzen Mittelalter gepflegt, und in den
Natnrrechtsshstemen des vorigen Jahrhunderts trat diesem bloß subjektiv ge¬
arteten positiven Rechte ein idealer Teil entgegen, "der in seinen Untersuchungen
nach Art und Umfang solcher subjektiven Berechtigung anfing, den Menschen
als solchen dem Rechtssubjekt unterzuschieben, und damit auf einmal jene Unter¬
scheidung von natürlichen und erworbenen Rechten ins Leben rief, an deren
Hand sich in der Neuzeit allein in der Idee des subjektiven Rechts das positive
Recht fortgebildet hat." Damit war die antike Allgewalt des Staates gebrochen;
denn jetzt wurden dessen Gebote durch die Forderung des subjektive" Rechts-
gcfühls beschränkt, und er bekam von entgegengesetzter Seite Impulse, und so trat
durch neue Begrenzung und neue Antriebe allmählich der ganze grnndrechtliche
Inhalt des gegenwärtigen Rechts ins Leben, so ist derselbe für die Zukunft
besser gesichert als durch seine Aufnahme in Vcrfassnngsnrknnden,

Dies sind die allgemeinen Grundlagen, ans denen die "alio"alökonomische
Lehre von Rvdbertns richt. "Ist, so schließt er, die Gemeinschaft i" alle" Lebens-
sphären, besonders auch in der wirtschaftlichen, das Hauptprinzip des sozialen
Körpers, so muß man auch in der Sozialökouomie anstatt von den einzelnen
Individuen vielmehr von der Gesamtheit ausgehen," und dies hat er grundsätz¬
lich und mit vollem Bewußtsein, nicht wie Smith und Ricardo bloß instinkt¬
mäßig und flüchtig, gethan. Schon bei Smith findet sich die Andeutung, daß
die Grundbesitzer und die Kapitalisten vom Ertrage der nationalen Arbeit leben,
aber während dieser Satz bei ihm harmlos auftritt, steht er bei Rodbertus im
Mittelpunkte der Darstellung und ist ein wuchtiger Schlag gegen die heutige
Gesellschaftsordnung. Der Begriff des verhältnismäßigen Arbeitlohnes ist bereits
von Ricardo in die Wissenschaft eingeführt worden, aber Rodbertus zieht daraus
kühne Folgerungen, indem er jenen verhältnismäßigen Arbeitslohn nicht ge¬
nügend bestimmt findet.

Das Ziel der Geschichte ist nach Rodbertus die kommunistisch organi-
sirte Menschheit. Er unterscheidet drei Perioden: die des Menscheneigcn-
tums, deren Typus die heidnisch-antike Wirtschaftsordnung ist, die des Grnnd-
und Kapitalcigcimims, welche von der christlich-germanischen Staatcnordnung
repräsentirt wird, und die in etwa fünfhundert Jahren zu erwartende Periode
des bloßen Einkommens- oder Nerdicnsteigentnms. Obgleich dieses den ratio-


Der erste wissenschaftliche Sozmlist.

traten, besonders stark prcivalirte. Infolge dessen tritt uns jetzt die Erscheinung
entgegen, daß in den auf den antiken Kulturstätten sich umbildenden germanischen
Staaten das positive Recht mit dem gewonnenen formalen Inhalte des römische»
sofort in der Natur eines subjektiven Rechts zutage kommt, und daß sich die
Staaten sogar durch und durch aus einem an die Person geknüpften eignen
Rechte aufbauen, dergestalt, daß, wenn im römischen Reiche sogar das Privat-
recht einen staatsrechtlichen Charakter besitzt, umgekehrt in den germanischen
Reichen selbst das Staatsrecht privatrechtliche Natur annimmt." In solcher
Form wurde das positive Recht im ganzen Mittelalter gepflegt, und in den
Natnrrechtsshstemen des vorigen Jahrhunderts trat diesem bloß subjektiv ge¬
arteten positiven Rechte ein idealer Teil entgegen, „der in seinen Untersuchungen
nach Art und Umfang solcher subjektiven Berechtigung anfing, den Menschen
als solchen dem Rechtssubjekt unterzuschieben, und damit auf einmal jene Unter¬
scheidung von natürlichen und erworbenen Rechten ins Leben rief, an deren
Hand sich in der Neuzeit allein in der Idee des subjektiven Rechts das positive
Recht fortgebildet hat." Damit war die antike Allgewalt des Staates gebrochen;
denn jetzt wurden dessen Gebote durch die Forderung des subjektive» Rechts-
gcfühls beschränkt, und er bekam von entgegengesetzter Seite Impulse, und so trat
durch neue Begrenzung und neue Antriebe allmählich der ganze grnndrechtliche
Inhalt des gegenwärtigen Rechts ins Leben, so ist derselbe für die Zukunft
besser gesichert als durch seine Aufnahme in Vcrfassnngsnrknnden,

Dies sind die allgemeinen Grundlagen, ans denen die »alio»alökonomische
Lehre von Rvdbertns richt. „Ist, so schließt er, die Gemeinschaft i» alle» Lebens-
sphären, besonders auch in der wirtschaftlichen, das Hauptprinzip des sozialen
Körpers, so muß man auch in der Sozialökouomie anstatt von den einzelnen
Individuen vielmehr von der Gesamtheit ausgehen," und dies hat er grundsätz¬
lich und mit vollem Bewußtsein, nicht wie Smith und Ricardo bloß instinkt¬
mäßig und flüchtig, gethan. Schon bei Smith findet sich die Andeutung, daß
die Grundbesitzer und die Kapitalisten vom Ertrage der nationalen Arbeit leben,
aber während dieser Satz bei ihm harmlos auftritt, steht er bei Rodbertus im
Mittelpunkte der Darstellung und ist ein wuchtiger Schlag gegen die heutige
Gesellschaftsordnung. Der Begriff des verhältnismäßigen Arbeitlohnes ist bereits
von Ricardo in die Wissenschaft eingeführt worden, aber Rodbertus zieht daraus
kühne Folgerungen, indem er jenen verhältnismäßigen Arbeitslohn nicht ge¬
nügend bestimmt findet.

Das Ziel der Geschichte ist nach Rodbertus die kommunistisch organi-
sirte Menschheit. Er unterscheidet drei Perioden: die des Menscheneigcn-
tums, deren Typus die heidnisch-antike Wirtschaftsordnung ist, die des Grnnd-
und Kapitalcigcimims, welche von der christlich-germanischen Staatcnordnung
repräsentirt wird, und die in etwa fünfhundert Jahren zu erwartende Periode
des bloßen Einkommens- oder Nerdicnsteigentnms. Obgleich dieses den ratio-


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[0074] Der erste wissenschaftliche Sozmlist. traten, besonders stark prcivalirte. Infolge dessen tritt uns jetzt die Erscheinung entgegen, daß in den auf den antiken Kulturstätten sich umbildenden germanischen Staaten das positive Recht mit dem gewonnenen formalen Inhalte des römische» sofort in der Natur eines subjektiven Rechts zutage kommt, und daß sich die Staaten sogar durch und durch aus einem an die Person geknüpften eignen Rechte aufbauen, dergestalt, daß, wenn im römischen Reiche sogar das Privat- recht einen staatsrechtlichen Charakter besitzt, umgekehrt in den germanischen Reichen selbst das Staatsrecht privatrechtliche Natur annimmt." In solcher Form wurde das positive Recht im ganzen Mittelalter gepflegt, und in den Natnrrechtsshstemen des vorigen Jahrhunderts trat diesem bloß subjektiv ge¬ arteten positiven Rechte ein idealer Teil entgegen, „der in seinen Untersuchungen nach Art und Umfang solcher subjektiven Berechtigung anfing, den Menschen als solchen dem Rechtssubjekt unterzuschieben, und damit auf einmal jene Unter¬ scheidung von natürlichen und erworbenen Rechten ins Leben rief, an deren Hand sich in der Neuzeit allein in der Idee des subjektiven Rechts das positive Recht fortgebildet hat." Damit war die antike Allgewalt des Staates gebrochen; denn jetzt wurden dessen Gebote durch die Forderung des subjektive» Rechts- gcfühls beschränkt, und er bekam von entgegengesetzter Seite Impulse, und so trat durch neue Begrenzung und neue Antriebe allmählich der ganze grnndrechtliche Inhalt des gegenwärtigen Rechts ins Leben, so ist derselbe für die Zukunft besser gesichert als durch seine Aufnahme in Vcrfassnngsnrknnden, Dies sind die allgemeinen Grundlagen, ans denen die »alio»alökonomische Lehre von Rvdbertns richt. „Ist, so schließt er, die Gemeinschaft i» alle» Lebens- sphären, besonders auch in der wirtschaftlichen, das Hauptprinzip des sozialen Körpers, so muß man auch in der Sozialökouomie anstatt von den einzelnen Individuen vielmehr von der Gesamtheit ausgehen," und dies hat er grundsätz¬ lich und mit vollem Bewußtsein, nicht wie Smith und Ricardo bloß instinkt¬ mäßig und flüchtig, gethan. Schon bei Smith findet sich die Andeutung, daß die Grundbesitzer und die Kapitalisten vom Ertrage der nationalen Arbeit leben, aber während dieser Satz bei ihm harmlos auftritt, steht er bei Rodbertus im Mittelpunkte der Darstellung und ist ein wuchtiger Schlag gegen die heutige Gesellschaftsordnung. Der Begriff des verhältnismäßigen Arbeitlohnes ist bereits von Ricardo in die Wissenschaft eingeführt worden, aber Rodbertus zieht daraus kühne Folgerungen, indem er jenen verhältnismäßigen Arbeitslohn nicht ge¬ nügend bestimmt findet. Das Ziel der Geschichte ist nach Rodbertus die kommunistisch organi- sirte Menschheit. Er unterscheidet drei Perioden: die des Menscheneigcn- tums, deren Typus die heidnisch-antike Wirtschaftsordnung ist, die des Grnnd- und Kapitalcigcimims, welche von der christlich-germanischen Staatcnordnung repräsentirt wird, und die in etwa fünfhundert Jahren zu erwartende Periode des bloßen Einkommens- oder Nerdicnsteigentnms. Obgleich dieses den ratio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/74>, abgerufen am 25.08.2024.