Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

verheiratete sich mit ihr, doch unter der Bedingung, daß er Antwerpen ver¬
lassen und seinen Wohnsitz in Brüssel nehmen sollte, um sich das andre Mädchen
desto schneller aus dem Sinne zu schlagen, was er auch that." Es ist anzu¬
nehmen, daß der moralisirende Zug, welcher die Kunst Brueghels erfüllte, nicht
ohne Einfluß auf die Ausschmückung dieser Geschichte gewesen ist. Thatsache
ist jedenfalls, daß Brueghel im Jahre 1563 nach Brüssel übersiedelte, daß ihm
dort seine beiden Sohne Pieter (1564) und Jan (1568) geboren wurden, und
daß er im Jahre 1569 daselbst starb, nachdem er zu solchem Ansehen gelangt
war, daß ihm die Regierung der Stadt Brüssel den Auftrag erteilt hatte, ein
Erinnerungsbild an die feierliche Eröffnung des Kanals zwischen Antwerpen
und Brüssel zu male". Der Tod verhinderte ihn an der Ausführung dieses
Unternehmens. Nach der Erzählung Karels van Mander ließ er das Mora-
lisiren selbst auf dem Totenbette nicht. In seinem Testamente vermachte er
seiner Frau ein Bild, auf welchem eine auf einem Galgen sitzende Elster dar¬
gestellt war. Er wollte damit andeuten, daß Geschwätzigkeit und Klatschsucht
an den Galgen bringen. Dieses Gemälde ist uns zufällig in der Darmstädter
Galerie erhalten, und wir können daraus konstatiren, daß Brueghel in seinen
letzte" Lebensjahren seine Bilder farbiger und weicher behandelte als früher,
wo er noch mehr unter dem Einflüsse von Hieronymus Bosch stand. Wir
sehen aber auch zugleich, daß er bis zuletzt seinen Kompositionen immer eine
moralische Nutzanwendung mitgab und das stoffliche Element nicht allein wirken
ließ. Ein Genremaler im modernen Sinne ist er daher trotz seiner volkstüm¬
lichen Richtung nicht gewesen. Die gleichzeitige Literatur mit ihren Schwulst
von Allegorien und Sentenzen war so mächtig, daß sich ihr selbst ein so
realistisch angelegter Geist wie derjenige Brneghels nicht entziehen konnte. Auf
dem Bilde mit der geschwätzigen Elster ist übrigens die Landschaft sehr reich aus¬
gebildet: ein Fluß, welcher sich durch Felsen hindurchschlängelt, eine Mühle,
sehr sorgfältig durchgeführte Baumgruppen und dazu eine Gesellschaft tanzender
Bauern. Es siud also schon dieselben Elemente, aus welchen sein Sohn Jan
später seine Landschaften mit Bauernstaffage zusammensetzte.

Der Kunstcharakter des ältern Brueghel läßt sich nur in großen Zügen
schildern, weil mir ein geringer Teil von den Bildern, welche unter seinem
Namen gehen, ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, und weil andrer¬
seits unter den Stichen, deren Komposition auf ihn zurückgeführt wird, eine
große Verworrenheit herrscht. Wir haben eine ganze Reihe von Stichen, welche
bald seinen Namen, bald denjenigen des Hieronymus Bosch tragen. Man möchte
demnach annehmen, daß er anfangs, wie schon oben gesagt, Zeichnungen von
Bosch modernisirte und später, als sein Name bekannt und beliebt wurde, für
seine eignen ausgab, und daß nach seinem Tode die Kunstverleger sich kein
Gewissen daraus machten, alle Zeichnungen im Geschmacke von Bosch und
Brueghel unter dem Namen des letztern in die Welt zu schicken.


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

verheiratete sich mit ihr, doch unter der Bedingung, daß er Antwerpen ver¬
lassen und seinen Wohnsitz in Brüssel nehmen sollte, um sich das andre Mädchen
desto schneller aus dem Sinne zu schlagen, was er auch that." Es ist anzu¬
nehmen, daß der moralisirende Zug, welcher die Kunst Brueghels erfüllte, nicht
ohne Einfluß auf die Ausschmückung dieser Geschichte gewesen ist. Thatsache
ist jedenfalls, daß Brueghel im Jahre 1563 nach Brüssel übersiedelte, daß ihm
dort seine beiden Sohne Pieter (1564) und Jan (1568) geboren wurden, und
daß er im Jahre 1569 daselbst starb, nachdem er zu solchem Ansehen gelangt
war, daß ihm die Regierung der Stadt Brüssel den Auftrag erteilt hatte, ein
Erinnerungsbild an die feierliche Eröffnung des Kanals zwischen Antwerpen
und Brüssel zu male». Der Tod verhinderte ihn an der Ausführung dieses
Unternehmens. Nach der Erzählung Karels van Mander ließ er das Mora-
lisiren selbst auf dem Totenbette nicht. In seinem Testamente vermachte er
seiner Frau ein Bild, auf welchem eine auf einem Galgen sitzende Elster dar¬
gestellt war. Er wollte damit andeuten, daß Geschwätzigkeit und Klatschsucht
an den Galgen bringen. Dieses Gemälde ist uns zufällig in der Darmstädter
Galerie erhalten, und wir können daraus konstatiren, daß Brueghel in seinen
letzte» Lebensjahren seine Bilder farbiger und weicher behandelte als früher,
wo er noch mehr unter dem Einflüsse von Hieronymus Bosch stand. Wir
sehen aber auch zugleich, daß er bis zuletzt seinen Kompositionen immer eine
moralische Nutzanwendung mitgab und das stoffliche Element nicht allein wirken
ließ. Ein Genremaler im modernen Sinne ist er daher trotz seiner volkstüm¬
lichen Richtung nicht gewesen. Die gleichzeitige Literatur mit ihren Schwulst
von Allegorien und Sentenzen war so mächtig, daß sich ihr selbst ein so
realistisch angelegter Geist wie derjenige Brneghels nicht entziehen konnte. Auf
dem Bilde mit der geschwätzigen Elster ist übrigens die Landschaft sehr reich aus¬
gebildet: ein Fluß, welcher sich durch Felsen hindurchschlängelt, eine Mühle,
sehr sorgfältig durchgeführte Baumgruppen und dazu eine Gesellschaft tanzender
Bauern. Es siud also schon dieselben Elemente, aus welchen sein Sohn Jan
später seine Landschaften mit Bauernstaffage zusammensetzte.

Der Kunstcharakter des ältern Brueghel läßt sich nur in großen Zügen
schildern, weil mir ein geringer Teil von den Bildern, welche unter seinem
Namen gehen, ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, und weil andrer¬
seits unter den Stichen, deren Komposition auf ihn zurückgeführt wird, eine
große Verworrenheit herrscht. Wir haben eine ganze Reihe von Stichen, welche
bald seinen Namen, bald denjenigen des Hieronymus Bosch tragen. Man möchte
demnach annehmen, daß er anfangs, wie schon oben gesagt, Zeichnungen von
Bosch modernisirte und später, als sein Name bekannt und beliebt wurde, für
seine eignen ausgab, und daß nach seinem Tode die Kunstverleger sich kein
Gewissen daraus machten, alle Zeichnungen im Geschmacke von Bosch und
Brueghel unter dem Namen des letztern in die Welt zu schicken.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0673" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155556"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2608" prev="#ID_2607"> verheiratete sich mit ihr, doch unter der Bedingung, daß er Antwerpen ver¬<lb/>
lassen und seinen Wohnsitz in Brüssel nehmen sollte, um sich das andre Mädchen<lb/>
desto schneller aus dem Sinne zu schlagen, was er auch that." Es ist anzu¬<lb/>
nehmen, daß der moralisirende Zug, welcher die Kunst Brueghels erfüllte, nicht<lb/>
ohne Einfluß auf die Ausschmückung dieser Geschichte gewesen ist. Thatsache<lb/>
ist jedenfalls, daß Brueghel im Jahre 1563 nach Brüssel übersiedelte, daß ihm<lb/>
dort seine beiden Sohne Pieter (1564) und Jan (1568) geboren wurden, und<lb/>
daß er im Jahre 1569 daselbst starb, nachdem er zu solchem Ansehen gelangt<lb/>
war, daß ihm die Regierung der Stadt Brüssel den Auftrag erteilt hatte, ein<lb/>
Erinnerungsbild an die feierliche Eröffnung des Kanals zwischen Antwerpen<lb/>
und Brüssel zu male». Der Tod verhinderte ihn an der Ausführung dieses<lb/>
Unternehmens. Nach der Erzählung Karels van Mander ließ er das Mora-<lb/>
lisiren selbst auf dem Totenbette nicht. In seinem Testamente vermachte er<lb/>
seiner Frau ein Bild, auf welchem eine auf einem Galgen sitzende Elster dar¬<lb/>
gestellt war. Er wollte damit andeuten, daß Geschwätzigkeit und Klatschsucht<lb/>
an den Galgen bringen. Dieses Gemälde ist uns zufällig in der Darmstädter<lb/>
Galerie erhalten, und wir können daraus konstatiren, daß Brueghel in seinen<lb/>
letzte» Lebensjahren seine Bilder farbiger und weicher behandelte als früher,<lb/>
wo er noch mehr unter dem Einflüsse von Hieronymus Bosch stand. Wir<lb/>
sehen aber auch zugleich, daß er bis zuletzt seinen Kompositionen immer eine<lb/>
moralische Nutzanwendung mitgab und das stoffliche Element nicht allein wirken<lb/>
ließ. Ein Genremaler im modernen Sinne ist er daher trotz seiner volkstüm¬<lb/>
lichen Richtung nicht gewesen. Die gleichzeitige Literatur mit ihren Schwulst<lb/>
von Allegorien und Sentenzen war so mächtig, daß sich ihr selbst ein so<lb/>
realistisch angelegter Geist wie derjenige Brneghels nicht entziehen konnte. Auf<lb/>
dem Bilde mit der geschwätzigen Elster ist übrigens die Landschaft sehr reich aus¬<lb/>
gebildet: ein Fluß, welcher sich durch Felsen hindurchschlängelt, eine Mühle,<lb/>
sehr sorgfältig durchgeführte Baumgruppen und dazu eine Gesellschaft tanzender<lb/>
Bauern. Es siud also schon dieselben Elemente, aus welchen sein Sohn Jan<lb/>
später seine Landschaften mit Bauernstaffage zusammensetzte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2609"> Der Kunstcharakter des ältern Brueghel läßt sich nur in großen Zügen<lb/>
schildern, weil mir ein geringer Teil von den Bildern, welche unter seinem<lb/>
Namen gehen, ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, und weil andrer¬<lb/>
seits unter den Stichen, deren Komposition auf ihn zurückgeführt wird, eine<lb/>
große Verworrenheit herrscht. Wir haben eine ganze Reihe von Stichen, welche<lb/>
bald seinen Namen, bald denjenigen des Hieronymus Bosch tragen. Man möchte<lb/>
demnach annehmen, daß er anfangs, wie schon oben gesagt, Zeichnungen von<lb/>
Bosch modernisirte und später, als sein Name bekannt und beliebt wurde, für<lb/>
seine eignen ausgab, und daß nach seinem Tode die Kunstverleger sich kein<lb/>
Gewissen daraus machten, alle Zeichnungen im Geschmacke von Bosch und<lb/>
Brueghel unter dem Namen des letztern in die Welt zu schicken.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0673] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei, verheiratete sich mit ihr, doch unter der Bedingung, daß er Antwerpen ver¬ lassen und seinen Wohnsitz in Brüssel nehmen sollte, um sich das andre Mädchen desto schneller aus dem Sinne zu schlagen, was er auch that." Es ist anzu¬ nehmen, daß der moralisirende Zug, welcher die Kunst Brueghels erfüllte, nicht ohne Einfluß auf die Ausschmückung dieser Geschichte gewesen ist. Thatsache ist jedenfalls, daß Brueghel im Jahre 1563 nach Brüssel übersiedelte, daß ihm dort seine beiden Sohne Pieter (1564) und Jan (1568) geboren wurden, und daß er im Jahre 1569 daselbst starb, nachdem er zu solchem Ansehen gelangt war, daß ihm die Regierung der Stadt Brüssel den Auftrag erteilt hatte, ein Erinnerungsbild an die feierliche Eröffnung des Kanals zwischen Antwerpen und Brüssel zu male». Der Tod verhinderte ihn an der Ausführung dieses Unternehmens. Nach der Erzählung Karels van Mander ließ er das Mora- lisiren selbst auf dem Totenbette nicht. In seinem Testamente vermachte er seiner Frau ein Bild, auf welchem eine auf einem Galgen sitzende Elster dar¬ gestellt war. Er wollte damit andeuten, daß Geschwätzigkeit und Klatschsucht an den Galgen bringen. Dieses Gemälde ist uns zufällig in der Darmstädter Galerie erhalten, und wir können daraus konstatiren, daß Brueghel in seinen letzte» Lebensjahren seine Bilder farbiger und weicher behandelte als früher, wo er noch mehr unter dem Einflüsse von Hieronymus Bosch stand. Wir sehen aber auch zugleich, daß er bis zuletzt seinen Kompositionen immer eine moralische Nutzanwendung mitgab und das stoffliche Element nicht allein wirken ließ. Ein Genremaler im modernen Sinne ist er daher trotz seiner volkstüm¬ lichen Richtung nicht gewesen. Die gleichzeitige Literatur mit ihren Schwulst von Allegorien und Sentenzen war so mächtig, daß sich ihr selbst ein so realistisch angelegter Geist wie derjenige Brneghels nicht entziehen konnte. Auf dem Bilde mit der geschwätzigen Elster ist übrigens die Landschaft sehr reich aus¬ gebildet: ein Fluß, welcher sich durch Felsen hindurchschlängelt, eine Mühle, sehr sorgfältig durchgeführte Baumgruppen und dazu eine Gesellschaft tanzender Bauern. Es siud also schon dieselben Elemente, aus welchen sein Sohn Jan später seine Landschaften mit Bauernstaffage zusammensetzte. Der Kunstcharakter des ältern Brueghel läßt sich nur in großen Zügen schildern, weil mir ein geringer Teil von den Bildern, welche unter seinem Namen gehen, ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, und weil andrer¬ seits unter den Stichen, deren Komposition auf ihn zurückgeführt wird, eine große Verworrenheit herrscht. Wir haben eine ganze Reihe von Stichen, welche bald seinen Namen, bald denjenigen des Hieronymus Bosch tragen. Man möchte demnach annehmen, daß er anfangs, wie schon oben gesagt, Zeichnungen von Bosch modernisirte und später, als sein Name bekannt und beliebt wurde, für seine eignen ausgab, und daß nach seinem Tode die Kunstverleger sich kein Gewissen daraus machten, alle Zeichnungen im Geschmacke von Bosch und Brueghel unter dem Namen des letztern in die Welt zu schicken.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/673
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/673>, abgerufen am 22.07.2024.