Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Wahrheit, und selbst wenn er eine Bauernprügelei schilderte, war es ihm nicht Brueghel war aber keineswegs ein bloßer Kopist, der fremde Ideen "er¬ Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Wahrheit, und selbst wenn er eine Bauernprügelei schilderte, war es ihm nicht Brueghel war aber keineswegs ein bloßer Kopist, der fremde Ideen »er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0672" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155555"/> <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2606" prev="#ID_2605"> Wahrheit, und selbst wenn er eine Bauernprügelei schilderte, war es ihm nicht<lb/> so sehr um den komischen Moment, als um eine ernste Warnung vor solchen<lb/> Ausschreitungen zu thun.</p><lb/> <p xml:id="ID_2607" next="#ID_2608"> Brueghel war aber keineswegs ein bloßer Kopist, der fremde Ideen »er¬<lb/> arbeitete und in ein modernes Gewand kleidete. Auch ihm ging das Studium<lb/> der Natur über alles, und das Streben »ach Wahrheit bot ihm einen Ersatz<lb/> für das, was ihm new.i an Phantasie und eigner schöpferischer Kraft abging.<lb/> Karel van Mander berichtet, daß er in Gesellschaft eines befreundeten Kauf¬<lb/> manns oft als Bauer verkleidet die Stadt verlassen habe und aufs Land ge¬<lb/> gangen sei, um bei Kirmesse» und Bauernhochzeiten seine Studien zu machen.<lb/> Sie hätten, um Zulaß zu finden, vorgegeben, Verwandte des Bräutigams oder<lb/> der Braut zu sein, und hätten es sich gelegentlich auch ein Geschenk kosten<lb/> lassen. Man ist geneigt, diese Erzählung für eine nachträglich zurechtgemachte<lb/> Anekdote zu halten, durch welche Brueghels realistische, für die damalige Zeit<lb/> überaus naturwahre Darstellung des Bancrnlcbens eine Erklärung finde» soll.<lb/> Wir haben indessen noch zwei Zeugnisse, welche uns den Beweis tiefer»,<lb/> daß der alte Brueghel wirklich solche Naturstudien trieb, und daß er auch einen<lb/> besondern Wert darauf legte. Im Berliner Kupferstichkabinet befinden sich<lb/> nämlich zwei mit der Feder gezeichnete, sehr lebendig behandelte Stndienblätter<lb/> mit Bauernfiguren von seiner Hand. Auf dem einen sieht man einen Bauern<lb/> im Gespräch mit einer Bäuerin, und auf der Rückseite des Blattes oben eine<lb/> sitzendes Bauersfrau mit einem Tragkorb auf dem Rücken, welche Geld<lb/> aus einem Beutel in ihren Schoß schüttet, und unten eine Verkäuferin, welche<lb/> vor einem Korbe mit Eiern sitzt. Das zweite Blatt zeigt zwei auf einem<lb/> Baumstumpf sitzende Bauern. Bei jeder Figur ist bemerkt, welche Farbe die<lb/> einzelnen Kleidungsstücke u. f. w. haben, und unter jeder Zeichnung steht der<lb/> Zusatz: iure leveir, d. h. „nach dem Leben." Diese Blätter sind zwar, wie es<lb/> die Gelegenheit wohl nicht anders gestattete, sehr flüchtig gezeichnet. Andre<lb/> Federzeichnungen aber, wie z. B. ein Blatt mit Bienenzüchtern in derselben<lb/> Sammlung, rechtfertigen vollkommen das Lob Karel van Manders: „Er hand¬<lb/> habte die Feder sehr sauber und hübsch im Zeichnen von Gesichtern nach dem<lb/> Leben." Über Brneghcls Lebensumstände berichtet derselbe Gewährsmann<lb/> weiter, daß ein junges Mädchen ihm in Antwerpen die Wirtschaft geführt<lb/> habe, welche er wohl mich geheiratet hätte, wenn sie dem Laster des Lügens<lb/> nicht zu sehr ergeben gewesen wäre. Er hatte mit ihr, so erzählt van Mander<lb/> wörtlich, eine Abmachung dahin getroffen, daß jede ihrer Lügen auf einem Kerb¬<lb/> stock, wozu er einen recht langen nahm, vermerkt werden sollte und daß, wenn<lb/> der Stock bis zu einem gewissen Zeitpunkt voll würde, aus der Heirat nichts<lb/> werden sollte, was denu auch am Ende eintraf. Schließlich verliebte er sich<lb/> in die Tochter der Witwe des Pieter Koek (seines Lehrmeisters), die mit ihrer<lb/> Mutter in Brüssel wohnte und die er einst ans dem Arme getragen hatte, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0672]
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.
Wahrheit, und selbst wenn er eine Bauernprügelei schilderte, war es ihm nicht
so sehr um den komischen Moment, als um eine ernste Warnung vor solchen
Ausschreitungen zu thun.
Brueghel war aber keineswegs ein bloßer Kopist, der fremde Ideen »er¬
arbeitete und in ein modernes Gewand kleidete. Auch ihm ging das Studium
der Natur über alles, und das Streben »ach Wahrheit bot ihm einen Ersatz
für das, was ihm new.i an Phantasie und eigner schöpferischer Kraft abging.
Karel van Mander berichtet, daß er in Gesellschaft eines befreundeten Kauf¬
manns oft als Bauer verkleidet die Stadt verlassen habe und aufs Land ge¬
gangen sei, um bei Kirmesse» und Bauernhochzeiten seine Studien zu machen.
Sie hätten, um Zulaß zu finden, vorgegeben, Verwandte des Bräutigams oder
der Braut zu sein, und hätten es sich gelegentlich auch ein Geschenk kosten
lassen. Man ist geneigt, diese Erzählung für eine nachträglich zurechtgemachte
Anekdote zu halten, durch welche Brueghels realistische, für die damalige Zeit
überaus naturwahre Darstellung des Bancrnlcbens eine Erklärung finde» soll.
Wir haben indessen noch zwei Zeugnisse, welche uns den Beweis tiefer»,
daß der alte Brueghel wirklich solche Naturstudien trieb, und daß er auch einen
besondern Wert darauf legte. Im Berliner Kupferstichkabinet befinden sich
nämlich zwei mit der Feder gezeichnete, sehr lebendig behandelte Stndienblätter
mit Bauernfiguren von seiner Hand. Auf dem einen sieht man einen Bauern
im Gespräch mit einer Bäuerin, und auf der Rückseite des Blattes oben eine
sitzendes Bauersfrau mit einem Tragkorb auf dem Rücken, welche Geld
aus einem Beutel in ihren Schoß schüttet, und unten eine Verkäuferin, welche
vor einem Korbe mit Eiern sitzt. Das zweite Blatt zeigt zwei auf einem
Baumstumpf sitzende Bauern. Bei jeder Figur ist bemerkt, welche Farbe die
einzelnen Kleidungsstücke u. f. w. haben, und unter jeder Zeichnung steht der
Zusatz: iure leveir, d. h. „nach dem Leben." Diese Blätter sind zwar, wie es
die Gelegenheit wohl nicht anders gestattete, sehr flüchtig gezeichnet. Andre
Federzeichnungen aber, wie z. B. ein Blatt mit Bienenzüchtern in derselben
Sammlung, rechtfertigen vollkommen das Lob Karel van Manders: „Er hand¬
habte die Feder sehr sauber und hübsch im Zeichnen von Gesichtern nach dem
Leben." Über Brneghcls Lebensumstände berichtet derselbe Gewährsmann
weiter, daß ein junges Mädchen ihm in Antwerpen die Wirtschaft geführt
habe, welche er wohl mich geheiratet hätte, wenn sie dem Laster des Lügens
nicht zu sehr ergeben gewesen wäre. Er hatte mit ihr, so erzählt van Mander
wörtlich, eine Abmachung dahin getroffen, daß jede ihrer Lügen auf einem Kerb¬
stock, wozu er einen recht langen nahm, vermerkt werden sollte und daß, wenn
der Stock bis zu einem gewissen Zeitpunkt voll würde, aus der Heirat nichts
werden sollte, was denu auch am Ende eintraf. Schließlich verliebte er sich
in die Tochter der Witwe des Pieter Koek (seines Lehrmeisters), die mit ihrer
Mutter in Brüssel wohnte und die er einst ans dem Arme getragen hatte, und
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