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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Von hinten steigen drei Frauen, welche den Fuhrmann vermutlich bestohlen
haben, heimlich aus dem Wagen aus, während vorn eine vierte Frau mit dem
Fuhrmann schön thut, um seine Aufmerksamkeit abzulenken. Die Häuser des
Dorfes, Hügel mit Obstbäumen und im Hintergrunde blaue Berge füllen die
Landschaft, welche den Eindruck macht, als wäre aus einem Gemälde Joachims
de Patinir ein Stück herausgeschnitten und vergrößert worden. Die Figuren
zeigen deutlich, daß sich Brueghel nach ihnen gebildet hat. Karel van Mander,
unser Gewährsmann für die Jugendgeschichte unsers Malers, weiß freilich von
den Lehrmeistern nichts, welche wir auf Grund stilistischer und stofflicher Ver¬
wandtschaft annehmen zu müssen glauben. Er berichtet vielmehr, daß Brueghel,
welcher in dem Dorfe Bruegel bei Breda das Licht der Welt erblickt und davon
auch seinen Namen angenommen habe, bei einem Maler Pieter Koek von
Aalst und dann bei Hieronymus Koek gelernt habe. Wahrscheinlich ist die
Annahme des letzteren Lehrmeisters daraus entstanden, daß Brueghel später
einen Teil seiner Zeichnungen bei dem Stecher und Kunstverleger Hieronymus
Cock herausgab. Im Jahre 1S51 wurde er als Freimeister in die Lukasgilde
von Antwerpen aufgenommen, und bald darauf muß er sich, dem Zuge der
Zeit folgend, nach Italien begeben haben, da zwei radirte Landschaften von ihm
existiren, welche seinen Namen und die Bezeichnung Roinas 1553 tragen. Einen
großen Einfluß übte jedoch das Studium der italienischen Kunst nicht auf ihn
aus. Seine Figuren tragen wenigstens in jedem Zuge einen nationalen Cha¬
rakter, und nur in seinen Landschaften klingt hie und da die Erinnerung an
die südliche Natur hindurch.

Nach seiner Rückkehr in die Heimat ließ er sich in Antwerpen nieder, und
hier scheint er bald mit Hieronymus Cock, der nicht bloß Kunstverleger, sondern
anch selbst Stecher war, in Verbindung getreten zu sein. Er lieferte für ihn
meist Zeichnungen, welche Cock durch andre, namentlich durch Petrus Myricenus,
in Kupfer stechen ließ. Anfangs ging er in seinen Arbeiten von Hieronymus
Bosch aus, dessen Kompositionen er entweder getreu kopirte oder umarbeitete.
Dann entlehnte er nur einige Motive von ihm, und schließlich komponirte er
selbständig in demi Geiste des ältern Meisters. Die Sammlung der Albertina
in Wien besitzt eine mit seinem Namen versehene Zeichnung, auf welcher jene
Waffelbäckerei dargestellt ist, die wir bei der Charakteristik von Hieronymus
Bosch kennen gelernt haben. In dem von Cock herausgegebenen Stiche nach
dieser Zeichnung ist noch der Name des Bosch als des Erfinders hinzugesetzt,
ein Beweis, daß Brueghel jenem zum mindesten das Motiv, wenn nicht gar
die ganze Komposition entlehnt hatte. In derselben Sammlung befindet sich
auch eine Darstellung des jüngsten Gerichts, welche sich eng an die phantastische,
dem Bosch geläufige Anschauung anschließt. Wie dieser, verfolgte auch Brueghel
mit seinen Genrebildern eine lehrhafte, moralisirende Tendenz. Unter seinen
burlesken Darstellungen aus dem Volksleben verbirgt sich meist eine ernste


Von hinten steigen drei Frauen, welche den Fuhrmann vermutlich bestohlen
haben, heimlich aus dem Wagen aus, während vorn eine vierte Frau mit dem
Fuhrmann schön thut, um seine Aufmerksamkeit abzulenken. Die Häuser des
Dorfes, Hügel mit Obstbäumen und im Hintergrunde blaue Berge füllen die
Landschaft, welche den Eindruck macht, als wäre aus einem Gemälde Joachims
de Patinir ein Stück herausgeschnitten und vergrößert worden. Die Figuren
zeigen deutlich, daß sich Brueghel nach ihnen gebildet hat. Karel van Mander,
unser Gewährsmann für die Jugendgeschichte unsers Malers, weiß freilich von
den Lehrmeistern nichts, welche wir auf Grund stilistischer und stofflicher Ver¬
wandtschaft annehmen zu müssen glauben. Er berichtet vielmehr, daß Brueghel,
welcher in dem Dorfe Bruegel bei Breda das Licht der Welt erblickt und davon
auch seinen Namen angenommen habe, bei einem Maler Pieter Koek von
Aalst und dann bei Hieronymus Koek gelernt habe. Wahrscheinlich ist die
Annahme des letzteren Lehrmeisters daraus entstanden, daß Brueghel später
einen Teil seiner Zeichnungen bei dem Stecher und Kunstverleger Hieronymus
Cock herausgab. Im Jahre 1S51 wurde er als Freimeister in die Lukasgilde
von Antwerpen aufgenommen, und bald darauf muß er sich, dem Zuge der
Zeit folgend, nach Italien begeben haben, da zwei radirte Landschaften von ihm
existiren, welche seinen Namen und die Bezeichnung Roinas 1553 tragen. Einen
großen Einfluß übte jedoch das Studium der italienischen Kunst nicht auf ihn
aus. Seine Figuren tragen wenigstens in jedem Zuge einen nationalen Cha¬
rakter, und nur in seinen Landschaften klingt hie und da die Erinnerung an
die südliche Natur hindurch.

Nach seiner Rückkehr in die Heimat ließ er sich in Antwerpen nieder, und
hier scheint er bald mit Hieronymus Cock, der nicht bloß Kunstverleger, sondern
anch selbst Stecher war, in Verbindung getreten zu sein. Er lieferte für ihn
meist Zeichnungen, welche Cock durch andre, namentlich durch Petrus Myricenus,
in Kupfer stechen ließ. Anfangs ging er in seinen Arbeiten von Hieronymus
Bosch aus, dessen Kompositionen er entweder getreu kopirte oder umarbeitete.
Dann entlehnte er nur einige Motive von ihm, und schließlich komponirte er
selbständig in demi Geiste des ältern Meisters. Die Sammlung der Albertina
in Wien besitzt eine mit seinem Namen versehene Zeichnung, auf welcher jene
Waffelbäckerei dargestellt ist, die wir bei der Charakteristik von Hieronymus
Bosch kennen gelernt haben. In dem von Cock herausgegebenen Stiche nach
dieser Zeichnung ist noch der Name des Bosch als des Erfinders hinzugesetzt,
ein Beweis, daß Brueghel jenem zum mindesten das Motiv, wenn nicht gar
die ganze Komposition entlehnt hatte. In derselben Sammlung befindet sich
auch eine Darstellung des jüngsten Gerichts, welche sich eng an die phantastische,
dem Bosch geläufige Anschauung anschließt. Wie dieser, verfolgte auch Brueghel
mit seinen Genrebildern eine lehrhafte, moralisirende Tendenz. Unter seinen
burlesken Darstellungen aus dem Volksleben verbirgt sich meist eine ernste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/671>, abgerufen am 22.07.2024.