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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

den "Braunschweiger Monogrammisten" nennt. Dieser anonyme Maler ist
für die Entwicklungsgeschichte der niederländischen Genremalerei insofern von
besondrer Wichtigkeit, als er unmittelbar an Lukas von Leyden anknüpft und
gewiß auf Pieter Aertsen, mit dem er mancherlei Verwandtschaft hat, von Einfluß
gewesen ist. Man wird den Höhepunkt seiner Thätigkeit etwa in die Zeit von
1S30--1540 zu setzen haben. Das Städelsche Institut in Frankfurt a. M.
besitzt eines der Bilder, welche den oben angedeuteten Gegenstand behandeln.
In dem Gesellschaftsräume des Hauses sitzen Landsknechte und Dirnen um einen
Tisch gruppirt beim Trunk. An einem Kamine zur Rechten bäckt die Wirtin
Waffeln, und im Mittelgrunde steigt ein Mädchen mit ihrem Galan eine
Treppe hinauf. Noch figureureicher und drastischer ist ein ähnliches Bild der
Berliner Galerie. Der Raum ist großer und durch Verschlüge in ver¬
schiedene Abteilungen getrennt. Die Gesellschaft am Tische in der Mitte des
Raumes hat sich den Freuden der Tafel gewidmet, und dazu hat ein junger
Mann die Flöte geblasen. Auf dem Tische stehen Zinnkannen, Teller und
dunkelgrüne, mit Buckeln verzierte Gläser. Einige Pärchen drücken bereits die
Harmonie ihrer Seelen durch Umarmungen aus, während dagegen im Vorraum
an der offnen Thür nichts weniger als Harmonie herrscht. Dort wälzen sich
zwei Weiber, zwischen denen eine Rauferei ausgebrochen ist, auf dem Boden,
und ein Mann sucht sie zu trennen, indem er ein Gesäß mit Wasser über sie
ausgießt. Rechts von der Thür hängt an der Wand das gewöhnliche Gerät
einer niederländischen Wohnstube aus dieser Zeit, runde Hohlspiegel in acht¬
eckigen Rahmen. In der offnen Thür hängt ein Vogelbauer, welcher wohl eine
Art Aushängeschild des Hauses bildet. Auf der andern Seite des Bildes heben
wir nur, indem wir über intimere Details hinweggehen, einen Tabuletkrämer
hervor, dem ein junger Mann für seine Dirne etwas abkauft. Der Schöpfer
dieses Bildes ist als Kolorist sowohl wie in der Zeichnung und in der Kunst
zu charakterisiren dem Pieter Aertsen bedeutend überlegen. Er liebt klare und
leuchtende Lokaltöne, wie rot, grün und gelb, sucht aber bereits durch einen
bräunlichen Gcjamtton eine gewisse Harmonie herzustellen. Auf seinen biblischen
Bildern, die im Freien vor sich gehen, erweist er sich auch als einen tüchtigen
Landschaftsmaler. Ein Gemälde wie die "Speisung der Armen" ist natürlich
trotz des neutestamentlichen Motivs ganz vom Standpunkte eines Genremalers
behandelt.

In welchen Beziehungen Pieter Aertsen zu diesem, jedenfalls holländischen
Meister gestanden hat, wissen wir nicht; wohl aber hinterließ Aertsen in Ant¬
werpen einen Erben seiner Kunst in Joachim Bueckelaer (etwa 1535 bis 1575),
dessen Tante jener geheiratet hatte. Es war daher natürlich, daß Bueckelaer
zu ihm in die Lehre trat. Nach van Manders Bericht hielt ihn Aertsen zu ge¬
wissenhaften Naturstudien an. Er mußte Feld- und Gartenfrüchte, Fleisch,
Vögel, Fische u. dergl. kopiren und eignete sich dadurch eine große Gewandtheit


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

den „Braunschweiger Monogrammisten" nennt. Dieser anonyme Maler ist
für die Entwicklungsgeschichte der niederländischen Genremalerei insofern von
besondrer Wichtigkeit, als er unmittelbar an Lukas von Leyden anknüpft und
gewiß auf Pieter Aertsen, mit dem er mancherlei Verwandtschaft hat, von Einfluß
gewesen ist. Man wird den Höhepunkt seiner Thätigkeit etwa in die Zeit von
1S30—1540 zu setzen haben. Das Städelsche Institut in Frankfurt a. M.
besitzt eines der Bilder, welche den oben angedeuteten Gegenstand behandeln.
In dem Gesellschaftsräume des Hauses sitzen Landsknechte und Dirnen um einen
Tisch gruppirt beim Trunk. An einem Kamine zur Rechten bäckt die Wirtin
Waffeln, und im Mittelgrunde steigt ein Mädchen mit ihrem Galan eine
Treppe hinauf. Noch figureureicher und drastischer ist ein ähnliches Bild der
Berliner Galerie. Der Raum ist großer und durch Verschlüge in ver¬
schiedene Abteilungen getrennt. Die Gesellschaft am Tische in der Mitte des
Raumes hat sich den Freuden der Tafel gewidmet, und dazu hat ein junger
Mann die Flöte geblasen. Auf dem Tische stehen Zinnkannen, Teller und
dunkelgrüne, mit Buckeln verzierte Gläser. Einige Pärchen drücken bereits die
Harmonie ihrer Seelen durch Umarmungen aus, während dagegen im Vorraum
an der offnen Thür nichts weniger als Harmonie herrscht. Dort wälzen sich
zwei Weiber, zwischen denen eine Rauferei ausgebrochen ist, auf dem Boden,
und ein Mann sucht sie zu trennen, indem er ein Gesäß mit Wasser über sie
ausgießt. Rechts von der Thür hängt an der Wand das gewöhnliche Gerät
einer niederländischen Wohnstube aus dieser Zeit, runde Hohlspiegel in acht¬
eckigen Rahmen. In der offnen Thür hängt ein Vogelbauer, welcher wohl eine
Art Aushängeschild des Hauses bildet. Auf der andern Seite des Bildes heben
wir nur, indem wir über intimere Details hinweggehen, einen Tabuletkrämer
hervor, dem ein junger Mann für seine Dirne etwas abkauft. Der Schöpfer
dieses Bildes ist als Kolorist sowohl wie in der Zeichnung und in der Kunst
zu charakterisiren dem Pieter Aertsen bedeutend überlegen. Er liebt klare und
leuchtende Lokaltöne, wie rot, grün und gelb, sucht aber bereits durch einen
bräunlichen Gcjamtton eine gewisse Harmonie herzustellen. Auf seinen biblischen
Bildern, die im Freien vor sich gehen, erweist er sich auch als einen tüchtigen
Landschaftsmaler. Ein Gemälde wie die „Speisung der Armen" ist natürlich
trotz des neutestamentlichen Motivs ganz vom Standpunkte eines Genremalers
behandelt.

In welchen Beziehungen Pieter Aertsen zu diesem, jedenfalls holländischen
Meister gestanden hat, wissen wir nicht; wohl aber hinterließ Aertsen in Ant¬
werpen einen Erben seiner Kunst in Joachim Bueckelaer (etwa 1535 bis 1575),
dessen Tante jener geheiratet hatte. Es war daher natürlich, daß Bueckelaer
zu ihm in die Lehre trat. Nach van Manders Bericht hielt ihn Aertsen zu ge¬
wissenhaften Naturstudien an. Er mußte Feld- und Gartenfrüchte, Fleisch,
Vögel, Fische u. dergl. kopiren und eignete sich dadurch eine große Gewandtheit


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[0668] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. den „Braunschweiger Monogrammisten" nennt. Dieser anonyme Maler ist für die Entwicklungsgeschichte der niederländischen Genremalerei insofern von besondrer Wichtigkeit, als er unmittelbar an Lukas von Leyden anknüpft und gewiß auf Pieter Aertsen, mit dem er mancherlei Verwandtschaft hat, von Einfluß gewesen ist. Man wird den Höhepunkt seiner Thätigkeit etwa in die Zeit von 1S30—1540 zu setzen haben. Das Städelsche Institut in Frankfurt a. M. besitzt eines der Bilder, welche den oben angedeuteten Gegenstand behandeln. In dem Gesellschaftsräume des Hauses sitzen Landsknechte und Dirnen um einen Tisch gruppirt beim Trunk. An einem Kamine zur Rechten bäckt die Wirtin Waffeln, und im Mittelgrunde steigt ein Mädchen mit ihrem Galan eine Treppe hinauf. Noch figureureicher und drastischer ist ein ähnliches Bild der Berliner Galerie. Der Raum ist großer und durch Verschlüge in ver¬ schiedene Abteilungen getrennt. Die Gesellschaft am Tische in der Mitte des Raumes hat sich den Freuden der Tafel gewidmet, und dazu hat ein junger Mann die Flöte geblasen. Auf dem Tische stehen Zinnkannen, Teller und dunkelgrüne, mit Buckeln verzierte Gläser. Einige Pärchen drücken bereits die Harmonie ihrer Seelen durch Umarmungen aus, während dagegen im Vorraum an der offnen Thür nichts weniger als Harmonie herrscht. Dort wälzen sich zwei Weiber, zwischen denen eine Rauferei ausgebrochen ist, auf dem Boden, und ein Mann sucht sie zu trennen, indem er ein Gesäß mit Wasser über sie ausgießt. Rechts von der Thür hängt an der Wand das gewöhnliche Gerät einer niederländischen Wohnstube aus dieser Zeit, runde Hohlspiegel in acht¬ eckigen Rahmen. In der offnen Thür hängt ein Vogelbauer, welcher wohl eine Art Aushängeschild des Hauses bildet. Auf der andern Seite des Bildes heben wir nur, indem wir über intimere Details hinweggehen, einen Tabuletkrämer hervor, dem ein junger Mann für seine Dirne etwas abkauft. Der Schöpfer dieses Bildes ist als Kolorist sowohl wie in der Zeichnung und in der Kunst zu charakterisiren dem Pieter Aertsen bedeutend überlegen. Er liebt klare und leuchtende Lokaltöne, wie rot, grün und gelb, sucht aber bereits durch einen bräunlichen Gcjamtton eine gewisse Harmonie herzustellen. Auf seinen biblischen Bildern, die im Freien vor sich gehen, erweist er sich auch als einen tüchtigen Landschaftsmaler. Ein Gemälde wie die „Speisung der Armen" ist natürlich trotz des neutestamentlichen Motivs ganz vom Standpunkte eines Genremalers behandelt. In welchen Beziehungen Pieter Aertsen zu diesem, jedenfalls holländischen Meister gestanden hat, wissen wir nicht; wohl aber hinterließ Aertsen in Ant¬ werpen einen Erben seiner Kunst in Joachim Bueckelaer (etwa 1535 bis 1575), dessen Tante jener geheiratet hatte. Es war daher natürlich, daß Bueckelaer zu ihm in die Lehre trat. Nach van Manders Bericht hielt ihn Aertsen zu ge¬ wissenhaften Naturstudien an. Er mußte Feld- und Gartenfrüchte, Fleisch, Vögel, Fische u. dergl. kopiren und eignete sich dadurch eine große Gewandtheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/668>, abgerufen am 23.07.2024.