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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Notizen.

Endlich entsteht eine ungemeine Verteuerung der Prozesse durch die zu zahlenden
Zengengcbührcn, welche bei den beliebten großen Gerichtssprengeln, da das er¬
kennende Gericht womöglich die Zeugen selbst vernehmen soll, oft sehr hoch sind.
Kleine Landgerichte in Anlehnung an die frühern Preußischen Kreisgerichte ein¬
zuführen, wird nicht wohl thunlich sein; Wohl aber läßt sich auf zwei andern Wegen
eine Verminderung der Zeugengebühren herbeiführen. In Strafsachen sollte die
Justizverwaltung mehr ans die Einführung detachirter Strafkammern bedacht sein,
und in Zivilsachen müßte die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte für
Sachen über 300 Mark beseitigt werden. Weshalb in juristisch einfachen Sachen
bei Gegenständen über 300 Mark unbedingt drei Richter urteilen sollen, ist nicht
abzusehen, ich verweise auf Wechselklagen, Hypothekensachen und dergleichen. Aber
auch in manchen Sachen, bei denen viele Zeugen vernommen werden müssen, z. B.
bezüglich einer Fahrgcrechtigkeit, ist das Urteil eines Einzclrichters vollkommen ge¬
nügend, wenn nicht besser, da ein Amtsrichter seinem Bezirke näher steht als der
entfernt wohnende Landrichter. Nun gestattet zwar der dritte Titel des ersten
Buches der Zivilprozeßordnung eine Prorogation des Amtsgerichts, eine ausdrückliche
oder stillschweigende; die letztere ist aber nicht im Falle der Kontumaz vorhanden.
Wie erstaunt nun der einfache Mann, der von einer unter Voraussetzung der Ein¬
willigung in die Prorogation alsbald am Amtsgerichte angebrachten Klage am
besten dadurch loszukommen glaubt, daß er garnicht erscheint, wenn er hierauf
vor das Landgericht geladen und aufgefordert wird, nunmehr einen Rechtsanwalt
zu bestellen! Muß ihm das nicht unwillkürlich den Gedanken wachrufen, daß ihm
doch, wenn auch zur Zeit noch unbekannte, Einreden gegen den Anspruch des
Klägers zur Seite stehen, und ihn zum Prozessiren herausfordern? In dieser
Richtung hatte die 1869 zu Gunsten der Ausgleichung der preußischen Rechtspflege
beseitigte kurhessische Zivilprozeßordnung vom 28. Oktober 1863 eine bessere Be¬
stimmung. Zur Aburteilung jeder Zivilsache war das Amtsgericht zuständig; es
konnte jedoch sowohl der Kläger in der Klage, als auch der Beklagte bei der
Klagebeantwortung die Entscheidung des Kollegialgerichts provoziren. Hierdurch
blieben alle einfachen Sachen beim Einzelrichter, verwickelte, namentlich juristisch
schwierigere Sachen kamen gleich an das Kollegialgericht; doch ist von dieser Be¬
fugnis zur Prorogation nur ein mäßiger Gebrauch gemacht worden. In dieser
Richtung bedarf die Zivilprozeßordnung einer baldigen Änderung; es würde damit
für viele Sachen die Verteuerung durch den Anwaltszwang fallen, es ermäßigte
sich in vielen Fällen die Höhe der Zengengebühren, der am Sitze des Amtsgerichts
wohnhafte Rechtsanwalt -- ein sehr "sichtiges Glied der Justizorganisation -- be¬
käme mehr und lohnendere Thätigkeit und, was auch uicht gering anzuschlagen
ist, es würde die jetzt etwas gedrückte Stellung des Einzelrichters entschieden gehoben.


Otto Gerland.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von F. L. Hering in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig-
Notizen.

Endlich entsteht eine ungemeine Verteuerung der Prozesse durch die zu zahlenden
Zengengcbührcn, welche bei den beliebten großen Gerichtssprengeln, da das er¬
kennende Gericht womöglich die Zeugen selbst vernehmen soll, oft sehr hoch sind.
Kleine Landgerichte in Anlehnung an die frühern Preußischen Kreisgerichte ein¬
zuführen, wird nicht wohl thunlich sein; Wohl aber läßt sich auf zwei andern Wegen
eine Verminderung der Zeugengebühren herbeiführen. In Strafsachen sollte die
Justizverwaltung mehr ans die Einführung detachirter Strafkammern bedacht sein,
und in Zivilsachen müßte die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte für
Sachen über 300 Mark beseitigt werden. Weshalb in juristisch einfachen Sachen
bei Gegenständen über 300 Mark unbedingt drei Richter urteilen sollen, ist nicht
abzusehen, ich verweise auf Wechselklagen, Hypothekensachen und dergleichen. Aber
auch in manchen Sachen, bei denen viele Zeugen vernommen werden müssen, z. B.
bezüglich einer Fahrgcrechtigkeit, ist das Urteil eines Einzclrichters vollkommen ge¬
nügend, wenn nicht besser, da ein Amtsrichter seinem Bezirke näher steht als der
entfernt wohnende Landrichter. Nun gestattet zwar der dritte Titel des ersten
Buches der Zivilprozeßordnung eine Prorogation des Amtsgerichts, eine ausdrückliche
oder stillschweigende; die letztere ist aber nicht im Falle der Kontumaz vorhanden.
Wie erstaunt nun der einfache Mann, der von einer unter Voraussetzung der Ein¬
willigung in die Prorogation alsbald am Amtsgerichte angebrachten Klage am
besten dadurch loszukommen glaubt, daß er garnicht erscheint, wenn er hierauf
vor das Landgericht geladen und aufgefordert wird, nunmehr einen Rechtsanwalt
zu bestellen! Muß ihm das nicht unwillkürlich den Gedanken wachrufen, daß ihm
doch, wenn auch zur Zeit noch unbekannte, Einreden gegen den Anspruch des
Klägers zur Seite stehen, und ihn zum Prozessiren herausfordern? In dieser
Richtung hatte die 1869 zu Gunsten der Ausgleichung der preußischen Rechtspflege
beseitigte kurhessische Zivilprozeßordnung vom 28. Oktober 1863 eine bessere Be¬
stimmung. Zur Aburteilung jeder Zivilsache war das Amtsgericht zuständig; es
konnte jedoch sowohl der Kläger in der Klage, als auch der Beklagte bei der
Klagebeantwortung die Entscheidung des Kollegialgerichts provoziren. Hierdurch
blieben alle einfachen Sachen beim Einzelrichter, verwickelte, namentlich juristisch
schwierigere Sachen kamen gleich an das Kollegialgericht; doch ist von dieser Be¬
fugnis zur Prorogation nur ein mäßiger Gebrauch gemacht worden. In dieser
Richtung bedarf die Zivilprozeßordnung einer baldigen Änderung; es würde damit
für viele Sachen die Verteuerung durch den Anwaltszwang fallen, es ermäßigte
sich in vielen Fällen die Höhe der Zengengebühren, der am Sitze des Amtsgerichts
wohnhafte Rechtsanwalt — ein sehr »sichtiges Glied der Justizorganisation — be¬
käme mehr und lohnendere Thätigkeit und, was auch uicht gering anzuschlagen
ist, es würde die jetzt etwas gedrückte Stellung des Einzelrichters entschieden gehoben.


Otto Gerland.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von F. L. Hering in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/642>, abgerufen am 04.07.2024.