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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Uhlenhans.

das oorxus vns ihrer Spekulationen, der Mann, auf den nie jemand Rücksicht
nimmt und von dem jeder ein Opfer verlangt. Nach hundertfachen Ent¬
täuschungen ist er immer wieder bereit dazu. Dies wehrlose Sichpreisgeben
erinnert mit häßlicher Konsequenz an das Lamm, das zur Schlachtbank geführt
wird. Und wie hat der Dichter, geflissentlich, muß man sagen, alles gethan,
diesen Eindruck zu verstärken! Nichts des Trüben und Traurigen, das sich allenfalls
ereignen, aber ohne Beeinträchtigung der Folgerichtigkeit, ebenso gut ungeschehen
bleiben konnte, wird uns erspart. Von allen Möglichkeiten trifft immer die
ungünstigste ein, ununterbrochen wird der unglückliche Mann von Mißgeschick
aller Art heimgesucht, ununterbrochen in seinen besten Absichten gehemmt, in
seinem tiefsten Empfinden gekränkt. Wo die natürliche Folgerichtigkeit der
Handlung nicht ausreicht, treten Mißverständnisse, Zufälle, raffinirt mißliche
Kombinationen von Umständen hinzu, um nur ja den alles duldenden Helden
tiefer und tiefer ins Elend hineinzuführen. Das ist unter allen Umständen
unschön, aber es ließe sich, unter einem gewissen Vorbehalt, wenigstens im
Prinzip rechtfertigen. Hätte der Autor ein ursprünglich weiches und nach¬
giebiges Innere unter den Hammerschlägen des Lebens hart und spröde werden
lassen, so mußte jedermann diese Häufung des Traurigen als Mittel zum Zweck
anerkennen. Aber das ist hier nicht der Fall. Uhlenhans bleibt derselbe, eine
passive, sensitive Natur, die aus Zartgefühl nie zum Handeln kommt und in
dieser fortwährenden That- und Hilflosigkeit gegenüber den ihn in Anspruch
nehmenden Ereignissen den Leser ungeduldig und nervös macht. Ja selbst zuletzt,
wo er durch einen brutalen, empörenden Zufall sein Leben einbüßt, giebt er sich
höchstens in etwas gehobener Stimmung. Die kindlich reine, ideale Natur des
Mannes kommt vor seiner wirklich abstoßenden Unbehilflichkeit nicht zur Geltung.
Eben darum ist die Anlage dieser Figur fehlerhaft, und die Handlung erscheint
nicht als Läuterungsprobe, sondern als Marternngsprozeß.

Wenn man das Buch aus der Hemd legt, so fragt man sich unwillkürlich:
Warum nun das alles? Wozu ein Roman, der wirklich nur ein sehr subjektiv
angeschautes und obenein trübes, düsteres, unerquickliches Weltbild liefert? Die
wirkliche Welt hat soviel des Jammers, des Schmerzes, daß nicht auch noch die
Kunst zu kommen braucht, um uns das Herz schwer zu machen. Und wie
kommt sie, die uns aus den Schranken der Endlichkeit heben, uns einen Blick
in den ewigen Werdegang der Dinge lehren, das Irdische mit dem Maße des
Ewigen messen soll, wie kommt sie dazu, sich und uns in eine Bahn des Ge¬
schehens einzuengen, in der der freie Flug der Empfindung Schritt für Schritt
an tückischen Zufällen hängen bleibt? Statt daß uns das scheinbar Unendliche
als winziger Durchgangspunkt für eine ewige Entwicklung gezeigt wird, ist hier
dem Momentanen, Willkürlichen bleibende Bedeutung verliehen. Weshalb?

Spielhagcn macht das Sprichwort wahr, daß man immer wieder auf seine
alten Neigungen zurückkommt. Problematische Naturen spielten schon in "Angela"


Uhlenhans.

das oorxus vns ihrer Spekulationen, der Mann, auf den nie jemand Rücksicht
nimmt und von dem jeder ein Opfer verlangt. Nach hundertfachen Ent¬
täuschungen ist er immer wieder bereit dazu. Dies wehrlose Sichpreisgeben
erinnert mit häßlicher Konsequenz an das Lamm, das zur Schlachtbank geführt
wird. Und wie hat der Dichter, geflissentlich, muß man sagen, alles gethan,
diesen Eindruck zu verstärken! Nichts des Trüben und Traurigen, das sich allenfalls
ereignen, aber ohne Beeinträchtigung der Folgerichtigkeit, ebenso gut ungeschehen
bleiben konnte, wird uns erspart. Von allen Möglichkeiten trifft immer die
ungünstigste ein, ununterbrochen wird der unglückliche Mann von Mißgeschick
aller Art heimgesucht, ununterbrochen in seinen besten Absichten gehemmt, in
seinem tiefsten Empfinden gekränkt. Wo die natürliche Folgerichtigkeit der
Handlung nicht ausreicht, treten Mißverständnisse, Zufälle, raffinirt mißliche
Kombinationen von Umständen hinzu, um nur ja den alles duldenden Helden
tiefer und tiefer ins Elend hineinzuführen. Das ist unter allen Umständen
unschön, aber es ließe sich, unter einem gewissen Vorbehalt, wenigstens im
Prinzip rechtfertigen. Hätte der Autor ein ursprünglich weiches und nach¬
giebiges Innere unter den Hammerschlägen des Lebens hart und spröde werden
lassen, so mußte jedermann diese Häufung des Traurigen als Mittel zum Zweck
anerkennen. Aber das ist hier nicht der Fall. Uhlenhans bleibt derselbe, eine
passive, sensitive Natur, die aus Zartgefühl nie zum Handeln kommt und in
dieser fortwährenden That- und Hilflosigkeit gegenüber den ihn in Anspruch
nehmenden Ereignissen den Leser ungeduldig und nervös macht. Ja selbst zuletzt,
wo er durch einen brutalen, empörenden Zufall sein Leben einbüßt, giebt er sich
höchstens in etwas gehobener Stimmung. Die kindlich reine, ideale Natur des
Mannes kommt vor seiner wirklich abstoßenden Unbehilflichkeit nicht zur Geltung.
Eben darum ist die Anlage dieser Figur fehlerhaft, und die Handlung erscheint
nicht als Läuterungsprobe, sondern als Marternngsprozeß.

Wenn man das Buch aus der Hemd legt, so fragt man sich unwillkürlich:
Warum nun das alles? Wozu ein Roman, der wirklich nur ein sehr subjektiv
angeschautes und obenein trübes, düsteres, unerquickliches Weltbild liefert? Die
wirkliche Welt hat soviel des Jammers, des Schmerzes, daß nicht auch noch die
Kunst zu kommen braucht, um uns das Herz schwer zu machen. Und wie
kommt sie, die uns aus den Schranken der Endlichkeit heben, uns einen Blick
in den ewigen Werdegang der Dinge lehren, das Irdische mit dem Maße des
Ewigen messen soll, wie kommt sie dazu, sich und uns in eine Bahn des Ge¬
schehens einzuengen, in der der freie Flug der Empfindung Schritt für Schritt
an tückischen Zufällen hängen bleibt? Statt daß uns das scheinbar Unendliche
als winziger Durchgangspunkt für eine ewige Entwicklung gezeigt wird, ist hier
dem Momentanen, Willkürlichen bleibende Bedeutung verliehen. Weshalb?

Spielhagcn macht das Sprichwort wahr, daß man immer wieder auf seine
alten Neigungen zurückkommt. Problematische Naturen spielten schon in „Angela"


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[0621] Uhlenhans. das oorxus vns ihrer Spekulationen, der Mann, auf den nie jemand Rücksicht nimmt und von dem jeder ein Opfer verlangt. Nach hundertfachen Ent¬ täuschungen ist er immer wieder bereit dazu. Dies wehrlose Sichpreisgeben erinnert mit häßlicher Konsequenz an das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Und wie hat der Dichter, geflissentlich, muß man sagen, alles gethan, diesen Eindruck zu verstärken! Nichts des Trüben und Traurigen, das sich allenfalls ereignen, aber ohne Beeinträchtigung der Folgerichtigkeit, ebenso gut ungeschehen bleiben konnte, wird uns erspart. Von allen Möglichkeiten trifft immer die ungünstigste ein, ununterbrochen wird der unglückliche Mann von Mißgeschick aller Art heimgesucht, ununterbrochen in seinen besten Absichten gehemmt, in seinem tiefsten Empfinden gekränkt. Wo die natürliche Folgerichtigkeit der Handlung nicht ausreicht, treten Mißverständnisse, Zufälle, raffinirt mißliche Kombinationen von Umständen hinzu, um nur ja den alles duldenden Helden tiefer und tiefer ins Elend hineinzuführen. Das ist unter allen Umständen unschön, aber es ließe sich, unter einem gewissen Vorbehalt, wenigstens im Prinzip rechtfertigen. Hätte der Autor ein ursprünglich weiches und nach¬ giebiges Innere unter den Hammerschlägen des Lebens hart und spröde werden lassen, so mußte jedermann diese Häufung des Traurigen als Mittel zum Zweck anerkennen. Aber das ist hier nicht der Fall. Uhlenhans bleibt derselbe, eine passive, sensitive Natur, die aus Zartgefühl nie zum Handeln kommt und in dieser fortwährenden That- und Hilflosigkeit gegenüber den ihn in Anspruch nehmenden Ereignissen den Leser ungeduldig und nervös macht. Ja selbst zuletzt, wo er durch einen brutalen, empörenden Zufall sein Leben einbüßt, giebt er sich höchstens in etwas gehobener Stimmung. Die kindlich reine, ideale Natur des Mannes kommt vor seiner wirklich abstoßenden Unbehilflichkeit nicht zur Geltung. Eben darum ist die Anlage dieser Figur fehlerhaft, und die Handlung erscheint nicht als Läuterungsprobe, sondern als Marternngsprozeß. Wenn man das Buch aus der Hemd legt, so fragt man sich unwillkürlich: Warum nun das alles? Wozu ein Roman, der wirklich nur ein sehr subjektiv angeschautes und obenein trübes, düsteres, unerquickliches Weltbild liefert? Die wirkliche Welt hat soviel des Jammers, des Schmerzes, daß nicht auch noch die Kunst zu kommen braucht, um uns das Herz schwer zu machen. Und wie kommt sie, die uns aus den Schranken der Endlichkeit heben, uns einen Blick in den ewigen Werdegang der Dinge lehren, das Irdische mit dem Maße des Ewigen messen soll, wie kommt sie dazu, sich und uns in eine Bahn des Ge¬ schehens einzuengen, in der der freie Flug der Empfindung Schritt für Schritt an tückischen Zufällen hängen bleibt? Statt daß uns das scheinbar Unendliche als winziger Durchgangspunkt für eine ewige Entwicklung gezeigt wird, ist hier dem Momentanen, Willkürlichen bleibende Bedeutung verliehen. Weshalb? Spielhagcn macht das Sprichwort wahr, daß man immer wieder auf seine alten Neigungen zurückkommt. Problematische Naturen spielten schon in „Angela"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/621>, abgerufen am 25.07.2024.