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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Uhlenhans.

ein Anklang an die Vergangenheit, hervorbrechen müssen. Wäre es auch nur
so geschehen, daß in einem Moment leidenschaftlicher Spannung der Drang, der
erste, tonangebende der Gesellschaft zu sein, als Ausdruck verzehrenden Ehrgeizes,
ungestümen Selbstgefühls rein menschlich, aus dem Innern einer starken, stolzen
Natur sich kundgab. Im Unwetter einer ruhe- und fruchtlosen Existenz haben
häßliche Schlacken die ursprüngliche, an sich schöne Glut bedeckt. Noch einmal
blitzt sie hervor -- und jedermann weiß, daß er einen halb Unglücklichen, also
nur halb Schlechten vor sich hat. So wie er im Roman erscheint, ist der
Charakter nicht bloß ohne nachhaltige Entwicklung, sondern auch, trotz allen
Aufgebots von List und Betrug, ohne Leben; ja die kümmerlichen und ohne
bedeutende Erregung verlaufenden Selbsterinnerungen an die Vergangenheit
machen wegen dieses Mangels an lebendiger Wirkung nur den Eindruck, daß
hier edle und bedeutende Anlagen in einem Meere von Gemeinheit unter¬
gegangen sind.

Ähnlich, iliutMs MutÄiiÄis, verhält es sich mit Uhlenhans. Er steht als
Held im Brennpunkt der Handlung, sein Schicksal ist zumeist das Ergebnis der
Handlungen aller Figuren des Romans, nur in geringem Grade trägt er selbst
aktiv zur Gestaltung desselben bei. Vielleicht hat der Dichter diese unentschlossene
Passivität als ein wesentliches moralisches Gebrechen im Kampfe um die gesell¬
schaftliche Existenz aufzeigen wollen; dann darf ihm aus dieser negativen Be¬
deutung seines Helden kein Vorwurf erwachsen. Ebenso soll wohl der schlichte,
biedre Sinn, die Leichtgläubigkeit, die unendliche Gutmütigkeit in ihrer ver¬
hängnisvollen Bedeutung für einen inmitten schwieriger Verhältnisse und schlechter
Menschen Stehenden charakterisirt werden. Allein moralische Schwächen und
Eigenheiten gewinnen einen tragischen Wert doch nur dann, wenn sie, verderblich
für den Einzelnen als Glied und im Getriebe der menschlichen Gesellschaft, zugleich
ehrend, Teilnahme und Bewunderung weckend für das Individuum an und für
sich sind. Nur so springt der ewige unversöhnbare, aller Tragik zu Grunde
liegende Kampf individueller Rechte mit denen der sittlichen Weltordnung klar
heraus. Wo aber eine Eigenschaft, sei es durch ihre Eigenart oder ihre Intensität,
bereits für den Charakter selbst einen Makel bedeutet, da stehen doch unbedingt
die Sympathien des ruhig und gesund Urteilenden auf feiten desjenigen Laufes
von Begebenheiten und Handlungen, der jenen Charakter beeinträchtigt und
unterdrückt. Ungefähr so geht es uns mit Uhlenhans: der Dichter hat zu starke
Farben aufgetragen und damit das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte.
Es wäre zuviel gesagt, wollte man Uhlenhans einfältig, träge und plump nennen;
seine Lebensführung entspringt zu sehr bestimmten Grundsätzen, sein Handeln ist zu
rücksichtsvoll, sein Empfinden zu zart, als daß man an der innern Bedeutsamkeit
dieser Natur zweifeln könnte. Gleichwohl muß jedem, der ihm fremd ist, sein
Auftreten einfältig n. s. w. erscheinen, lind folgerichtig gilt er allen andern Per¬
sonen des Romans dafür. Allen ist er der Schemel, um sich höher zu stellen,


Uhlenhans.

ein Anklang an die Vergangenheit, hervorbrechen müssen. Wäre es auch nur
so geschehen, daß in einem Moment leidenschaftlicher Spannung der Drang, der
erste, tonangebende der Gesellschaft zu sein, als Ausdruck verzehrenden Ehrgeizes,
ungestümen Selbstgefühls rein menschlich, aus dem Innern einer starken, stolzen
Natur sich kundgab. Im Unwetter einer ruhe- und fruchtlosen Existenz haben
häßliche Schlacken die ursprüngliche, an sich schöne Glut bedeckt. Noch einmal
blitzt sie hervor — und jedermann weiß, daß er einen halb Unglücklichen, also
nur halb Schlechten vor sich hat. So wie er im Roman erscheint, ist der
Charakter nicht bloß ohne nachhaltige Entwicklung, sondern auch, trotz allen
Aufgebots von List und Betrug, ohne Leben; ja die kümmerlichen und ohne
bedeutende Erregung verlaufenden Selbsterinnerungen an die Vergangenheit
machen wegen dieses Mangels an lebendiger Wirkung nur den Eindruck, daß
hier edle und bedeutende Anlagen in einem Meere von Gemeinheit unter¬
gegangen sind.

Ähnlich, iliutMs MutÄiiÄis, verhält es sich mit Uhlenhans. Er steht als
Held im Brennpunkt der Handlung, sein Schicksal ist zumeist das Ergebnis der
Handlungen aller Figuren des Romans, nur in geringem Grade trägt er selbst
aktiv zur Gestaltung desselben bei. Vielleicht hat der Dichter diese unentschlossene
Passivität als ein wesentliches moralisches Gebrechen im Kampfe um die gesell¬
schaftliche Existenz aufzeigen wollen; dann darf ihm aus dieser negativen Be¬
deutung seines Helden kein Vorwurf erwachsen. Ebenso soll wohl der schlichte,
biedre Sinn, die Leichtgläubigkeit, die unendliche Gutmütigkeit in ihrer ver¬
hängnisvollen Bedeutung für einen inmitten schwieriger Verhältnisse und schlechter
Menschen Stehenden charakterisirt werden. Allein moralische Schwächen und
Eigenheiten gewinnen einen tragischen Wert doch nur dann, wenn sie, verderblich
für den Einzelnen als Glied und im Getriebe der menschlichen Gesellschaft, zugleich
ehrend, Teilnahme und Bewunderung weckend für das Individuum an und für
sich sind. Nur so springt der ewige unversöhnbare, aller Tragik zu Grunde
liegende Kampf individueller Rechte mit denen der sittlichen Weltordnung klar
heraus. Wo aber eine Eigenschaft, sei es durch ihre Eigenart oder ihre Intensität,
bereits für den Charakter selbst einen Makel bedeutet, da stehen doch unbedingt
die Sympathien des ruhig und gesund Urteilenden auf feiten desjenigen Laufes
von Begebenheiten und Handlungen, der jenen Charakter beeinträchtigt und
unterdrückt. Ungefähr so geht es uns mit Uhlenhans: der Dichter hat zu starke
Farben aufgetragen und damit das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte.
Es wäre zuviel gesagt, wollte man Uhlenhans einfältig, träge und plump nennen;
seine Lebensführung entspringt zu sehr bestimmten Grundsätzen, sein Handeln ist zu
rücksichtsvoll, sein Empfinden zu zart, als daß man an der innern Bedeutsamkeit
dieser Natur zweifeln könnte. Gleichwohl muß jedem, der ihm fremd ist, sein
Auftreten einfältig n. s. w. erscheinen, lind folgerichtig gilt er allen andern Per¬
sonen des Romans dafür. Allen ist er der Schemel, um sich höher zu stellen,


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[0620] Uhlenhans. ein Anklang an die Vergangenheit, hervorbrechen müssen. Wäre es auch nur so geschehen, daß in einem Moment leidenschaftlicher Spannung der Drang, der erste, tonangebende der Gesellschaft zu sein, als Ausdruck verzehrenden Ehrgeizes, ungestümen Selbstgefühls rein menschlich, aus dem Innern einer starken, stolzen Natur sich kundgab. Im Unwetter einer ruhe- und fruchtlosen Existenz haben häßliche Schlacken die ursprüngliche, an sich schöne Glut bedeckt. Noch einmal blitzt sie hervor — und jedermann weiß, daß er einen halb Unglücklichen, also nur halb Schlechten vor sich hat. So wie er im Roman erscheint, ist der Charakter nicht bloß ohne nachhaltige Entwicklung, sondern auch, trotz allen Aufgebots von List und Betrug, ohne Leben; ja die kümmerlichen und ohne bedeutende Erregung verlaufenden Selbsterinnerungen an die Vergangenheit machen wegen dieses Mangels an lebendiger Wirkung nur den Eindruck, daß hier edle und bedeutende Anlagen in einem Meere von Gemeinheit unter¬ gegangen sind. Ähnlich, iliutMs MutÄiiÄis, verhält es sich mit Uhlenhans. Er steht als Held im Brennpunkt der Handlung, sein Schicksal ist zumeist das Ergebnis der Handlungen aller Figuren des Romans, nur in geringem Grade trägt er selbst aktiv zur Gestaltung desselben bei. Vielleicht hat der Dichter diese unentschlossene Passivität als ein wesentliches moralisches Gebrechen im Kampfe um die gesell¬ schaftliche Existenz aufzeigen wollen; dann darf ihm aus dieser negativen Be¬ deutung seines Helden kein Vorwurf erwachsen. Ebenso soll wohl der schlichte, biedre Sinn, die Leichtgläubigkeit, die unendliche Gutmütigkeit in ihrer ver¬ hängnisvollen Bedeutung für einen inmitten schwieriger Verhältnisse und schlechter Menschen Stehenden charakterisirt werden. Allein moralische Schwächen und Eigenheiten gewinnen einen tragischen Wert doch nur dann, wenn sie, verderblich für den Einzelnen als Glied und im Getriebe der menschlichen Gesellschaft, zugleich ehrend, Teilnahme und Bewunderung weckend für das Individuum an und für sich sind. Nur so springt der ewige unversöhnbare, aller Tragik zu Grunde liegende Kampf individueller Rechte mit denen der sittlichen Weltordnung klar heraus. Wo aber eine Eigenschaft, sei es durch ihre Eigenart oder ihre Intensität, bereits für den Charakter selbst einen Makel bedeutet, da stehen doch unbedingt die Sympathien des ruhig und gesund Urteilenden auf feiten desjenigen Laufes von Begebenheiten und Handlungen, der jenen Charakter beeinträchtigt und unterdrückt. Ungefähr so geht es uns mit Uhlenhans: der Dichter hat zu starke Farben aufgetragen und damit das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Es wäre zuviel gesagt, wollte man Uhlenhans einfältig, träge und plump nennen; seine Lebensführung entspringt zu sehr bestimmten Grundsätzen, sein Handeln ist zu rücksichtsvoll, sein Empfinden zu zart, als daß man an der innern Bedeutsamkeit dieser Natur zweifeln könnte. Gleichwohl muß jedem, der ihm fremd ist, sein Auftreten einfältig n. s. w. erscheinen, lind folgerichtig gilt er allen andern Per¬ sonen des Romans dafür. Allen ist er der Schemel, um sich höher zu stellen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/620>, abgerufen am 25.07.2024.