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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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und einseitige Abschweifungen nicht bloß der ästhetische, sondern auch der ethische
Wert des Kunstwerks herabgedrückt wird. Jedes Motiv der erzählenden Kunst
enthält, weil es die Triebfedern menschlichen Handelns für einen bedeutenden
Kreis der Lebensinteressen bloßlegt, in seiner Ausführung zugleich auch die
ethische Kritik des Dichters über dies Motiv, Denn er mag wollen oder nicht:
in der Bedeutung, die er sein Motiv für das Leben seiner Personen gewinnen,
in dem Aufwand seelischer Erregungen, den er im Kampfe für oder gegen
dasselbe entfalten läßt, kurz, in der Art, wie er sich zu ihm stellt, drückt sich
notwendig seine sittliche Wertschätzung desselben aus. Im Kunstwerke aber ist
uns der Dichter die Vorsehung; sein Urteil tritt als absoluter sittlicher Maßstab
für die Welt auf, die er schildert, und deshalb berührt uns ein falsches ethisches
Prinzip oder auch nur eine willkürliche Einseitigkeit in der Gestaltung des ethischen
Grundmotivs unmittelbar wie eine Verletzung der sittlichen Weltordnung.

Im vorliegenden Falle ist der Dichter von seiner Absicht, die tiefe Be¬
deutung seines Motivs negativ, d, h. durch das Scheitern des Lebensglücks
derer aufzuzeigen, die es nicht korrekt zu handhaben wissen, nur ein einziges
mal abgegangen, aber dieses eine mal gestaltet sich in unsern Augen zu einer
peinlichen Ironie, zu einer Verhöhnung aller derer, denen es um die Lösung
der in jenem Motiv ausgesprochenen sittlichen Aufgabe tiefer Ernst ist. Eine
Abenteurerin, deren Charakter im übrigen ein Meisterstück Spielhagenscher Kunst
ist, erreicht durch allerlei verwerfliche Mittel -- Koketterie, Betrug, Wort¬
bruch u. s. w, -- das, was die edelsten Charaktere durch ehrenwertes Handeln
nicht erreichen: eine Stellung in der Gesellschaft, Reichtum, äußeres Glück, Sie
ist die einzige, an der das Motiv in positivem Sinne zum Austrag kommt.
Das verletzt, das beleidigt alles gesunde sittliche Empfinden. Sieht das nicht
aus, als hielte der Dichter wirklich Schwindelei und moralische Prinziplosigkeit
für das einzige Mittel, jener Aufgabe gerecht zu werden? Mußte er uus nicht,
in Parallele zu dieser Lösung, eine andre auf sittlicher Grundlage zeigen oder
uns auch mit jener verschonen? Glaubte er, es genüge, um ein korrektes
Weltbild zu liefern, die nackte thatsächliche Wiedergabe dessen, was in der Welt
zu geschehen pflegt, ohne den moralischen Reflex, den in eben dieser Welt un¬
moralische Handlungen hervorzurufen pflegen? Gewiß läuft, speziell in der
gesellschaftlichen Stufenreihe, in der Mehrzahl der Fälle gewandte Spiegel¬
fechterei einem ehrlichen Streben den Rang ab. Aber mit dieser brutalen
Wirklichkeit ist doch die Sache nicht erledigt. Die Gesellschaft im ganzen setzt
der thatsächlichen Gutheißung dieses Verhältnisses wenigstens ein theoretisches
Desaveu entgegen, und dementsprechend können wir nur dasjenige ein zutreffendes,
nicht einseitig willkürliches Weltbild nennen, worin die moralische Verurteilung
unehrenhafter Handlungen stark und eindrucksvoll erscheint. Statt dessen bringt
uns Spielhagen nur das sentimentale Bedauern eines um seine Hoffnungen
betrognen alten Mannes (des Fürsten Prora), und stellt im übrigen den auf-


Uhlenhans.

und einseitige Abschweifungen nicht bloß der ästhetische, sondern auch der ethische
Wert des Kunstwerks herabgedrückt wird. Jedes Motiv der erzählenden Kunst
enthält, weil es die Triebfedern menschlichen Handelns für einen bedeutenden
Kreis der Lebensinteressen bloßlegt, in seiner Ausführung zugleich auch die
ethische Kritik des Dichters über dies Motiv, Denn er mag wollen oder nicht:
in der Bedeutung, die er sein Motiv für das Leben seiner Personen gewinnen,
in dem Aufwand seelischer Erregungen, den er im Kampfe für oder gegen
dasselbe entfalten läßt, kurz, in der Art, wie er sich zu ihm stellt, drückt sich
notwendig seine sittliche Wertschätzung desselben aus. Im Kunstwerke aber ist
uns der Dichter die Vorsehung; sein Urteil tritt als absoluter sittlicher Maßstab
für die Welt auf, die er schildert, und deshalb berührt uns ein falsches ethisches
Prinzip oder auch nur eine willkürliche Einseitigkeit in der Gestaltung des ethischen
Grundmotivs unmittelbar wie eine Verletzung der sittlichen Weltordnung.

Im vorliegenden Falle ist der Dichter von seiner Absicht, die tiefe Be¬
deutung seines Motivs negativ, d, h. durch das Scheitern des Lebensglücks
derer aufzuzeigen, die es nicht korrekt zu handhaben wissen, nur ein einziges
mal abgegangen, aber dieses eine mal gestaltet sich in unsern Augen zu einer
peinlichen Ironie, zu einer Verhöhnung aller derer, denen es um die Lösung
der in jenem Motiv ausgesprochenen sittlichen Aufgabe tiefer Ernst ist. Eine
Abenteurerin, deren Charakter im übrigen ein Meisterstück Spielhagenscher Kunst
ist, erreicht durch allerlei verwerfliche Mittel — Koketterie, Betrug, Wort¬
bruch u. s. w, — das, was die edelsten Charaktere durch ehrenwertes Handeln
nicht erreichen: eine Stellung in der Gesellschaft, Reichtum, äußeres Glück, Sie
ist die einzige, an der das Motiv in positivem Sinne zum Austrag kommt.
Das verletzt, das beleidigt alles gesunde sittliche Empfinden. Sieht das nicht
aus, als hielte der Dichter wirklich Schwindelei und moralische Prinziplosigkeit
für das einzige Mittel, jener Aufgabe gerecht zu werden? Mußte er uus nicht,
in Parallele zu dieser Lösung, eine andre auf sittlicher Grundlage zeigen oder
uns auch mit jener verschonen? Glaubte er, es genüge, um ein korrektes
Weltbild zu liefern, die nackte thatsächliche Wiedergabe dessen, was in der Welt
zu geschehen pflegt, ohne den moralischen Reflex, den in eben dieser Welt un¬
moralische Handlungen hervorzurufen pflegen? Gewiß läuft, speziell in der
gesellschaftlichen Stufenreihe, in der Mehrzahl der Fälle gewandte Spiegel¬
fechterei einem ehrlichen Streben den Rang ab. Aber mit dieser brutalen
Wirklichkeit ist doch die Sache nicht erledigt. Die Gesellschaft im ganzen setzt
der thatsächlichen Gutheißung dieses Verhältnisses wenigstens ein theoretisches
Desaveu entgegen, und dementsprechend können wir nur dasjenige ein zutreffendes,
nicht einseitig willkürliches Weltbild nennen, worin die moralische Verurteilung
unehrenhafter Handlungen stark und eindrucksvoll erscheint. Statt dessen bringt
uns Spielhagen nur das sentimentale Bedauern eines um seine Hoffnungen
betrognen alten Mannes (des Fürsten Prora), und stellt im übrigen den auf-


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[0617] Uhlenhans. und einseitige Abschweifungen nicht bloß der ästhetische, sondern auch der ethische Wert des Kunstwerks herabgedrückt wird. Jedes Motiv der erzählenden Kunst enthält, weil es die Triebfedern menschlichen Handelns für einen bedeutenden Kreis der Lebensinteressen bloßlegt, in seiner Ausführung zugleich auch die ethische Kritik des Dichters über dies Motiv, Denn er mag wollen oder nicht: in der Bedeutung, die er sein Motiv für das Leben seiner Personen gewinnen, in dem Aufwand seelischer Erregungen, den er im Kampfe für oder gegen dasselbe entfalten läßt, kurz, in der Art, wie er sich zu ihm stellt, drückt sich notwendig seine sittliche Wertschätzung desselben aus. Im Kunstwerke aber ist uns der Dichter die Vorsehung; sein Urteil tritt als absoluter sittlicher Maßstab für die Welt auf, die er schildert, und deshalb berührt uns ein falsches ethisches Prinzip oder auch nur eine willkürliche Einseitigkeit in der Gestaltung des ethischen Grundmotivs unmittelbar wie eine Verletzung der sittlichen Weltordnung. Im vorliegenden Falle ist der Dichter von seiner Absicht, die tiefe Be¬ deutung seines Motivs negativ, d, h. durch das Scheitern des Lebensglücks derer aufzuzeigen, die es nicht korrekt zu handhaben wissen, nur ein einziges mal abgegangen, aber dieses eine mal gestaltet sich in unsern Augen zu einer peinlichen Ironie, zu einer Verhöhnung aller derer, denen es um die Lösung der in jenem Motiv ausgesprochenen sittlichen Aufgabe tiefer Ernst ist. Eine Abenteurerin, deren Charakter im übrigen ein Meisterstück Spielhagenscher Kunst ist, erreicht durch allerlei verwerfliche Mittel — Koketterie, Betrug, Wort¬ bruch u. s. w, — das, was die edelsten Charaktere durch ehrenwertes Handeln nicht erreichen: eine Stellung in der Gesellschaft, Reichtum, äußeres Glück, Sie ist die einzige, an der das Motiv in positivem Sinne zum Austrag kommt. Das verletzt, das beleidigt alles gesunde sittliche Empfinden. Sieht das nicht aus, als hielte der Dichter wirklich Schwindelei und moralische Prinziplosigkeit für das einzige Mittel, jener Aufgabe gerecht zu werden? Mußte er uus nicht, in Parallele zu dieser Lösung, eine andre auf sittlicher Grundlage zeigen oder uns auch mit jener verschonen? Glaubte er, es genüge, um ein korrektes Weltbild zu liefern, die nackte thatsächliche Wiedergabe dessen, was in der Welt zu geschehen pflegt, ohne den moralischen Reflex, den in eben dieser Welt un¬ moralische Handlungen hervorzurufen pflegen? Gewiß läuft, speziell in der gesellschaftlichen Stufenreihe, in der Mehrzahl der Fälle gewandte Spiegel¬ fechterei einem ehrlichen Streben den Rang ab. Aber mit dieser brutalen Wirklichkeit ist doch die Sache nicht erledigt. Die Gesellschaft im ganzen setzt der thatsächlichen Gutheißung dieses Verhältnisses wenigstens ein theoretisches Desaveu entgegen, und dementsprechend können wir nur dasjenige ein zutreffendes, nicht einseitig willkürliches Weltbild nennen, worin die moralische Verurteilung unehrenhafter Handlungen stark und eindrucksvoll erscheint. Statt dessen bringt uns Spielhagen nur das sentimentale Bedauern eines um seine Hoffnungen betrognen alten Mannes (des Fürsten Prora), und stellt im übrigen den auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/617>, abgerufen am 04.07.2024.