Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Humanität im Strafrecht.

stände, welche den verbrecherischen Entschluß herbeigeführt haben, wenn der eigent¬
liche Zweck des Strafausspruches erreicht werden soll. Eine an sich gelinde Strafe
kann inhuman werden, wenn der Richter bei Fällung des Urteils zu sehr durch
ein festgesetztes Strafminimuin gebunden ist und nicht vermag, unter dasselbe
herunterzugehen, auch wenn er gegebenenfalls dasselbe noch für zu hart findet.
Andrerseits kaun der Richter den Übelthätern keine den Umständen angemessene
hohe oder harte Strafe aussprechen, wenn er durch ein gewisses Strafmaximnm
gehindert ist und dasselbe nicht überschreiten darf, auch wenn er es noch für
zu niedrig hält. Man denke an gewisse Geldstrafen, deren Höchstbetrng z. Z.
3000 Mark nicht übersteigt, während z. B. in Frankreich und England für ge¬
wisse Übertretungen (Annahme falscher Titel ze.), welche bei uns mit 160 Mark
oder entsprechender Haft bedroht sind, Geldstrafen im Betrage von Tausenden
zulässig sind. Unsre Richter haben eine so lange Vorschule durchzumachen, ehe
sie selbständig urteilen können, und sind dann einer so vielseitigen Kontrole
unterworfen, daß man schon erwarten kann, sie werden ein ihnen gebotenes wei¬
teres Ermessen in befriedigender Weise zu benutzen verstehen.

Eine andre Frage, bei der die Humanität eine große Rolle spielt, ist die
nach der Beschäftigung der Gefangenen. Unzweifelhaft ist eine geordnete Be¬
schäftigung das beste Mittel, aus dem Verbrecher wieder ein nützliches Mitglied
der menschlichen Gesellschaft zu machen. Es fragt sich nur, ob diese geordnete
Beschäftigung eine derartige sein darf, daß sie freien Menschen, die durch ehr¬
liche Arbeit sich und die Ihrigen zu erhalte" streben, schadet. Über die Kon¬
kurrenz der Zuchthausarbeit mit der freien ist schon genug gesprochen und ge¬
schrieben worden, eine Wiederholung würde überflüssig sein. Nur auf folgendes
soll hier aufmerksam gemacht werden. Es giebt eine große Zahl von Menschen,
die ihr Leben bei einer Arbeit verbringen müssen, welche ihre Lebenskraft nur
allzuschnell aufreibt; eine Menge Familienväter sind durch das Schicksal ge¬
zwungen, das tägliche Brot für die Ihrigen durch eine Arbeit zu schaffen, die
frühzeitigen Tod oder wenigstens Siechtum notwendig herbeiführen muß (Han¬
tiren mit giftigen Substanzen, Kloakenräumung :c.). Ihre Kräfte werden dadurch
umso früher aufgebraucht, als der kärgliche Verdienst nur für elende Nahrung,
Wohnung und Kleidung ausreicht. Abgesehen von der Freiheit, befinden sich diese
Menschen weit weniger wohl als ein im Zuchthause eingesperrter Verbrecher,
welcher immer nur eine seiner Körperkonstitution angepaßte Arbeit zu verrichten
hat, bei welcher Gesundheit und Leben nie Gefahr läuft, dessen Aufenthalt wohl-
ventilirt, dessen Kost kräftig ist, für den ärztliche Hilfe, geistlicher Zuspruch :c.
jederzeit bereit steht. Sollte hier uicht eine Änderung möglich sein? Was meint
die "Humanität" zu diesem Vergleiche? Die für Lebenszeit eingesperrten Ver¬
brecher wenigstens sollten doch zu Arbeiten verwendet werden, die einem freien
Manne, welcher zur Erhaltung und Unterstützung der Seinigen unentbehrlich,
dem Staate aber ein nützlicher Bürger ist, auf die Dauer die Arbeitskraft rauben.


Humanität im Strafrecht.

stände, welche den verbrecherischen Entschluß herbeigeführt haben, wenn der eigent¬
liche Zweck des Strafausspruches erreicht werden soll. Eine an sich gelinde Strafe
kann inhuman werden, wenn der Richter bei Fällung des Urteils zu sehr durch
ein festgesetztes Strafminimuin gebunden ist und nicht vermag, unter dasselbe
herunterzugehen, auch wenn er gegebenenfalls dasselbe noch für zu hart findet.
Andrerseits kaun der Richter den Übelthätern keine den Umständen angemessene
hohe oder harte Strafe aussprechen, wenn er durch ein gewisses Strafmaximnm
gehindert ist und dasselbe nicht überschreiten darf, auch wenn er es noch für
zu niedrig hält. Man denke an gewisse Geldstrafen, deren Höchstbetrng z. Z.
3000 Mark nicht übersteigt, während z. B. in Frankreich und England für ge¬
wisse Übertretungen (Annahme falscher Titel ze.), welche bei uns mit 160 Mark
oder entsprechender Haft bedroht sind, Geldstrafen im Betrage von Tausenden
zulässig sind. Unsre Richter haben eine so lange Vorschule durchzumachen, ehe
sie selbständig urteilen können, und sind dann einer so vielseitigen Kontrole
unterworfen, daß man schon erwarten kann, sie werden ein ihnen gebotenes wei¬
teres Ermessen in befriedigender Weise zu benutzen verstehen.

Eine andre Frage, bei der die Humanität eine große Rolle spielt, ist die
nach der Beschäftigung der Gefangenen. Unzweifelhaft ist eine geordnete Be¬
schäftigung das beste Mittel, aus dem Verbrecher wieder ein nützliches Mitglied
der menschlichen Gesellschaft zu machen. Es fragt sich nur, ob diese geordnete
Beschäftigung eine derartige sein darf, daß sie freien Menschen, die durch ehr¬
liche Arbeit sich und die Ihrigen zu erhalte» streben, schadet. Über die Kon¬
kurrenz der Zuchthausarbeit mit der freien ist schon genug gesprochen und ge¬
schrieben worden, eine Wiederholung würde überflüssig sein. Nur auf folgendes
soll hier aufmerksam gemacht werden. Es giebt eine große Zahl von Menschen,
die ihr Leben bei einer Arbeit verbringen müssen, welche ihre Lebenskraft nur
allzuschnell aufreibt; eine Menge Familienväter sind durch das Schicksal ge¬
zwungen, das tägliche Brot für die Ihrigen durch eine Arbeit zu schaffen, die
frühzeitigen Tod oder wenigstens Siechtum notwendig herbeiführen muß (Han¬
tiren mit giftigen Substanzen, Kloakenräumung :c.). Ihre Kräfte werden dadurch
umso früher aufgebraucht, als der kärgliche Verdienst nur für elende Nahrung,
Wohnung und Kleidung ausreicht. Abgesehen von der Freiheit, befinden sich diese
Menschen weit weniger wohl als ein im Zuchthause eingesperrter Verbrecher,
welcher immer nur eine seiner Körperkonstitution angepaßte Arbeit zu verrichten
hat, bei welcher Gesundheit und Leben nie Gefahr läuft, dessen Aufenthalt wohl-
ventilirt, dessen Kost kräftig ist, für den ärztliche Hilfe, geistlicher Zuspruch :c.
jederzeit bereit steht. Sollte hier uicht eine Änderung möglich sein? Was meint
die „Humanität" zu diesem Vergleiche? Die für Lebenszeit eingesperrten Ver¬
brecher wenigstens sollten doch zu Arbeiten verwendet werden, die einem freien
Manne, welcher zur Erhaltung und Unterstützung der Seinigen unentbehrlich,
dem Staate aber ein nützlicher Bürger ist, auf die Dauer die Arbeitskraft rauben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155495"/>
          <fw type="header" place="top"> Humanität im Strafrecht.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2459" prev="#ID_2458"> stände, welche den verbrecherischen Entschluß herbeigeführt haben, wenn der eigent¬<lb/>
liche Zweck des Strafausspruches erreicht werden soll. Eine an sich gelinde Strafe<lb/>
kann inhuman werden, wenn der Richter bei Fällung des Urteils zu sehr durch<lb/>
ein festgesetztes Strafminimuin gebunden ist und nicht vermag, unter dasselbe<lb/>
herunterzugehen, auch wenn er gegebenenfalls dasselbe noch für zu hart findet.<lb/>
Andrerseits kaun der Richter den Übelthätern keine den Umständen angemessene<lb/>
hohe oder harte Strafe aussprechen, wenn er durch ein gewisses Strafmaximnm<lb/>
gehindert ist und dasselbe nicht überschreiten darf, auch wenn er es noch für<lb/>
zu niedrig hält. Man denke an gewisse Geldstrafen, deren Höchstbetrng z. Z.<lb/>
3000 Mark nicht übersteigt, während z. B. in Frankreich und England für ge¬<lb/>
wisse Übertretungen (Annahme falscher Titel ze.), welche bei uns mit 160 Mark<lb/>
oder entsprechender Haft bedroht sind, Geldstrafen im Betrage von Tausenden<lb/>
zulässig sind. Unsre Richter haben eine so lange Vorschule durchzumachen, ehe<lb/>
sie selbständig urteilen können, und sind dann einer so vielseitigen Kontrole<lb/>
unterworfen, daß man schon erwarten kann, sie werden ein ihnen gebotenes wei¬<lb/>
teres Ermessen in befriedigender Weise zu benutzen verstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2460"> Eine andre Frage, bei der die Humanität eine große Rolle spielt, ist die<lb/>
nach der Beschäftigung der Gefangenen. Unzweifelhaft ist eine geordnete Be¬<lb/>
schäftigung das beste Mittel, aus dem Verbrecher wieder ein nützliches Mitglied<lb/>
der menschlichen Gesellschaft zu machen. Es fragt sich nur, ob diese geordnete<lb/>
Beschäftigung eine derartige sein darf, daß sie freien Menschen, die durch ehr¬<lb/>
liche Arbeit sich und die Ihrigen zu erhalte» streben, schadet. Über die Kon¬<lb/>
kurrenz der Zuchthausarbeit mit der freien ist schon genug gesprochen und ge¬<lb/>
schrieben worden, eine Wiederholung würde überflüssig sein. Nur auf folgendes<lb/>
soll hier aufmerksam gemacht werden. Es giebt eine große Zahl von Menschen,<lb/>
die ihr Leben bei einer Arbeit verbringen müssen, welche ihre Lebenskraft nur<lb/>
allzuschnell aufreibt; eine Menge Familienväter sind durch das Schicksal ge¬<lb/>
zwungen, das tägliche Brot für die Ihrigen durch eine Arbeit zu schaffen, die<lb/>
frühzeitigen Tod oder wenigstens Siechtum notwendig herbeiführen muß (Han¬<lb/>
tiren mit giftigen Substanzen, Kloakenräumung :c.). Ihre Kräfte werden dadurch<lb/>
umso früher aufgebraucht, als der kärgliche Verdienst nur für elende Nahrung,<lb/>
Wohnung und Kleidung ausreicht. Abgesehen von der Freiheit, befinden sich diese<lb/>
Menschen weit weniger wohl als ein im Zuchthause eingesperrter Verbrecher,<lb/>
welcher immer nur eine seiner Körperkonstitution angepaßte Arbeit zu verrichten<lb/>
hat, bei welcher Gesundheit und Leben nie Gefahr läuft, dessen Aufenthalt wohl-<lb/>
ventilirt, dessen Kost kräftig ist, für den ärztliche Hilfe, geistlicher Zuspruch :c.<lb/>
jederzeit bereit steht. Sollte hier uicht eine Änderung möglich sein? Was meint<lb/>
die &#x201E;Humanität" zu diesem Vergleiche? Die für Lebenszeit eingesperrten Ver¬<lb/>
brecher wenigstens sollten doch zu Arbeiten verwendet werden, die einem freien<lb/>
Manne, welcher zur Erhaltung und Unterstützung der Seinigen unentbehrlich,<lb/>
dem Staate aber ein nützlicher Bürger ist, auf die Dauer die Arbeitskraft rauben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] Humanität im Strafrecht. stände, welche den verbrecherischen Entschluß herbeigeführt haben, wenn der eigent¬ liche Zweck des Strafausspruches erreicht werden soll. Eine an sich gelinde Strafe kann inhuman werden, wenn der Richter bei Fällung des Urteils zu sehr durch ein festgesetztes Strafminimuin gebunden ist und nicht vermag, unter dasselbe herunterzugehen, auch wenn er gegebenenfalls dasselbe noch für zu hart findet. Andrerseits kaun der Richter den Übelthätern keine den Umständen angemessene hohe oder harte Strafe aussprechen, wenn er durch ein gewisses Strafmaximnm gehindert ist und dasselbe nicht überschreiten darf, auch wenn er es noch für zu niedrig hält. Man denke an gewisse Geldstrafen, deren Höchstbetrng z. Z. 3000 Mark nicht übersteigt, während z. B. in Frankreich und England für ge¬ wisse Übertretungen (Annahme falscher Titel ze.), welche bei uns mit 160 Mark oder entsprechender Haft bedroht sind, Geldstrafen im Betrage von Tausenden zulässig sind. Unsre Richter haben eine so lange Vorschule durchzumachen, ehe sie selbständig urteilen können, und sind dann einer so vielseitigen Kontrole unterworfen, daß man schon erwarten kann, sie werden ein ihnen gebotenes wei¬ teres Ermessen in befriedigender Weise zu benutzen verstehen. Eine andre Frage, bei der die Humanität eine große Rolle spielt, ist die nach der Beschäftigung der Gefangenen. Unzweifelhaft ist eine geordnete Be¬ schäftigung das beste Mittel, aus dem Verbrecher wieder ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen. Es fragt sich nur, ob diese geordnete Beschäftigung eine derartige sein darf, daß sie freien Menschen, die durch ehr¬ liche Arbeit sich und die Ihrigen zu erhalte» streben, schadet. Über die Kon¬ kurrenz der Zuchthausarbeit mit der freien ist schon genug gesprochen und ge¬ schrieben worden, eine Wiederholung würde überflüssig sein. Nur auf folgendes soll hier aufmerksam gemacht werden. Es giebt eine große Zahl von Menschen, die ihr Leben bei einer Arbeit verbringen müssen, welche ihre Lebenskraft nur allzuschnell aufreibt; eine Menge Familienväter sind durch das Schicksal ge¬ zwungen, das tägliche Brot für die Ihrigen durch eine Arbeit zu schaffen, die frühzeitigen Tod oder wenigstens Siechtum notwendig herbeiführen muß (Han¬ tiren mit giftigen Substanzen, Kloakenräumung :c.). Ihre Kräfte werden dadurch umso früher aufgebraucht, als der kärgliche Verdienst nur für elende Nahrung, Wohnung und Kleidung ausreicht. Abgesehen von der Freiheit, befinden sich diese Menschen weit weniger wohl als ein im Zuchthause eingesperrter Verbrecher, welcher immer nur eine seiner Körperkonstitution angepaßte Arbeit zu verrichten hat, bei welcher Gesundheit und Leben nie Gefahr läuft, dessen Aufenthalt wohl- ventilirt, dessen Kost kräftig ist, für den ärztliche Hilfe, geistlicher Zuspruch :c. jederzeit bereit steht. Sollte hier uicht eine Änderung möglich sein? Was meint die „Humanität" zu diesem Vergleiche? Die für Lebenszeit eingesperrten Ver¬ brecher wenigstens sollten doch zu Arbeiten verwendet werden, die einem freien Manne, welcher zur Erhaltung und Unterstützung der Seinigen unentbehrlich, dem Staate aber ein nützlicher Bürger ist, auf die Dauer die Arbeitskraft rauben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/612>, abgerufen am 04.07.2024.