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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Gut! rief Berthold, endlich aufspringend, so wird zur Not auch der Wider¬
spruch meiner Eltern unserm Glück nicht entgegenstehe" dürfen. Willst du mich
als Enterbten, als einen einzig auf die eigne Kraft Angewiesenen, so gieb mir
dein Jawort. Ich hänge nicht am Mammon. Das Brot, das ich selbst für
unsern Tisch erarbeite, wird uns besser als alles andre schmecken.

Als ob man so treuer Pfleger, sagte Elise ablehnend, je wieder anders
los und ledig würde als durch den Tod! Können Sie mit Ihrem Verzicht
auf Geld und Gut ungeschehen machen, was Ihnen an Liebe, Hut und Förde¬
rung in so langen, langen Jahren zuteil geworden ist? Können Sie die Dankes¬
schuld, die Sie eingegangen sind, anders abtragen, als indem Sie noch weit
mehr als ein leiblicher Sohn jenen Hütern Ihrer Kindheit die Stirn glätten
und den Lebensabend erheitern? Wir dürfe" von heute nu Freunde sein. Das
ist für mich ein unaussprechlich reiches Geschenk des Himmels. Lasse" anch
Sie sich daran genügen. Kämpfen Sie nieder, was sich an weitergehenden
Forderungen an das Schicksal in Ihnen geregt hat. Sehen Sie, ich thue es
auch. Sehen Sie, es gelingt mir --

Es gelang ihr nicht. Ihre Stimme hatte versagt. Aber ihre Kraft reichte
aus, sich feiner leidenschaftlichen Umarmung zu entziehen und, wenn auch nnr
schwankend, die Thür zu gewinnen.

Er wollte sie nicht fortlassen, aber die in demselben Augenblicke zurück¬
kehrende Oberin hemmte seinen Schritt.

Unfähig, eine andre Stimme als die der Geliebten zu hören, verzichtete
er für heute auf jeden weitern Versuch, über seine Zukunft ins Klare zu kommen,
und eilte ins Freie.

Am nächsten Tage erhielt er einen Brief, worin Elise ihn beschwor, ihre
Standhaftigkeit nicht nochmals ans die Probe zu stellen. Die Zeit kann manches
ändern, so lauteten die letzten Zeilen, täuschen wir uns mit diesem Troste über
die Versagung weg, die wahrlich nicht Ihnen allein, teurer Freund, eine grau¬
same dünkt. Denken Sie auch ein klein wenig an die Qualen, die Sie mir
hochherzig ersparen, wenn Sie sich daran genügen lassen, von Zeit zu Zeit
mir ein Lebenszeichen zu geben, von mir eins zu erhalten. Ihnen gegenüber
stehe ich jetzt auf festbegründetcm Boden. Sie glauben an mich. Andre
würden den Schutt, über welchem endlich ein freundliches Grün emporzuwachsen
beginnt, neu aufrühren und durchstöbern wollen. Sie glauben an mich. Reisen
Sie ab. Ich bleibe hier. So lauge Ihnen der Zusammenhang mit der armen
Diakonissin kein lästiger sein wird, können Sie darauf rechnen, daß ich nicht
wieder verschwinde.




Neunzehntes Aapitel.

Das war ein halbes Jahr nach der Auflösung des Verlöbnisses die Sach¬
lage gewesen. Was seitdem die Züge Bertholds schärfer und strenger gemacht


Auf der Leiter des Glücks.

Gut! rief Berthold, endlich aufspringend, so wird zur Not auch der Wider¬
spruch meiner Eltern unserm Glück nicht entgegenstehe» dürfen. Willst du mich
als Enterbten, als einen einzig auf die eigne Kraft Angewiesenen, so gieb mir
dein Jawort. Ich hänge nicht am Mammon. Das Brot, das ich selbst für
unsern Tisch erarbeite, wird uns besser als alles andre schmecken.

Als ob man so treuer Pfleger, sagte Elise ablehnend, je wieder anders
los und ledig würde als durch den Tod! Können Sie mit Ihrem Verzicht
auf Geld und Gut ungeschehen machen, was Ihnen an Liebe, Hut und Förde¬
rung in so langen, langen Jahren zuteil geworden ist? Können Sie die Dankes¬
schuld, die Sie eingegangen sind, anders abtragen, als indem Sie noch weit
mehr als ein leiblicher Sohn jenen Hütern Ihrer Kindheit die Stirn glätten
und den Lebensabend erheitern? Wir dürfe» von heute nu Freunde sein. Das
ist für mich ein unaussprechlich reiches Geschenk des Himmels. Lasse» anch
Sie sich daran genügen. Kämpfen Sie nieder, was sich an weitergehenden
Forderungen an das Schicksal in Ihnen geregt hat. Sehen Sie, ich thue es
auch. Sehen Sie, es gelingt mir —

Es gelang ihr nicht. Ihre Stimme hatte versagt. Aber ihre Kraft reichte
aus, sich feiner leidenschaftlichen Umarmung zu entziehen und, wenn auch nnr
schwankend, die Thür zu gewinnen.

Er wollte sie nicht fortlassen, aber die in demselben Augenblicke zurück¬
kehrende Oberin hemmte seinen Schritt.

Unfähig, eine andre Stimme als die der Geliebten zu hören, verzichtete
er für heute auf jeden weitern Versuch, über seine Zukunft ins Klare zu kommen,
und eilte ins Freie.

Am nächsten Tage erhielt er einen Brief, worin Elise ihn beschwor, ihre
Standhaftigkeit nicht nochmals ans die Probe zu stellen. Die Zeit kann manches
ändern, so lauteten die letzten Zeilen, täuschen wir uns mit diesem Troste über
die Versagung weg, die wahrlich nicht Ihnen allein, teurer Freund, eine grau¬
same dünkt. Denken Sie auch ein klein wenig an die Qualen, die Sie mir
hochherzig ersparen, wenn Sie sich daran genügen lassen, von Zeit zu Zeit
mir ein Lebenszeichen zu geben, von mir eins zu erhalten. Ihnen gegenüber
stehe ich jetzt auf festbegründetcm Boden. Sie glauben an mich. Andre
würden den Schutt, über welchem endlich ein freundliches Grün emporzuwachsen
beginnt, neu aufrühren und durchstöbern wollen. Sie glauben an mich. Reisen
Sie ab. Ich bleibe hier. So lauge Ihnen der Zusammenhang mit der armen
Diakonissin kein lästiger sein wird, können Sie darauf rechnen, daß ich nicht
wieder verschwinde.




Neunzehntes Aapitel.

Das war ein halbes Jahr nach der Auflösung des Verlöbnisses die Sach¬
lage gewesen. Was seitdem die Züge Bertholds schärfer und strenger gemacht


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[0586] Auf der Leiter des Glücks. Gut! rief Berthold, endlich aufspringend, so wird zur Not auch der Wider¬ spruch meiner Eltern unserm Glück nicht entgegenstehe» dürfen. Willst du mich als Enterbten, als einen einzig auf die eigne Kraft Angewiesenen, so gieb mir dein Jawort. Ich hänge nicht am Mammon. Das Brot, das ich selbst für unsern Tisch erarbeite, wird uns besser als alles andre schmecken. Als ob man so treuer Pfleger, sagte Elise ablehnend, je wieder anders los und ledig würde als durch den Tod! Können Sie mit Ihrem Verzicht auf Geld und Gut ungeschehen machen, was Ihnen an Liebe, Hut und Förde¬ rung in so langen, langen Jahren zuteil geworden ist? Können Sie die Dankes¬ schuld, die Sie eingegangen sind, anders abtragen, als indem Sie noch weit mehr als ein leiblicher Sohn jenen Hütern Ihrer Kindheit die Stirn glätten und den Lebensabend erheitern? Wir dürfe» von heute nu Freunde sein. Das ist für mich ein unaussprechlich reiches Geschenk des Himmels. Lasse» anch Sie sich daran genügen. Kämpfen Sie nieder, was sich an weitergehenden Forderungen an das Schicksal in Ihnen geregt hat. Sehen Sie, ich thue es auch. Sehen Sie, es gelingt mir — Es gelang ihr nicht. Ihre Stimme hatte versagt. Aber ihre Kraft reichte aus, sich feiner leidenschaftlichen Umarmung zu entziehen und, wenn auch nnr schwankend, die Thür zu gewinnen. Er wollte sie nicht fortlassen, aber die in demselben Augenblicke zurück¬ kehrende Oberin hemmte seinen Schritt. Unfähig, eine andre Stimme als die der Geliebten zu hören, verzichtete er für heute auf jeden weitern Versuch, über seine Zukunft ins Klare zu kommen, und eilte ins Freie. Am nächsten Tage erhielt er einen Brief, worin Elise ihn beschwor, ihre Standhaftigkeit nicht nochmals ans die Probe zu stellen. Die Zeit kann manches ändern, so lauteten die letzten Zeilen, täuschen wir uns mit diesem Troste über die Versagung weg, die wahrlich nicht Ihnen allein, teurer Freund, eine grau¬ same dünkt. Denken Sie auch ein klein wenig an die Qualen, die Sie mir hochherzig ersparen, wenn Sie sich daran genügen lassen, von Zeit zu Zeit mir ein Lebenszeichen zu geben, von mir eins zu erhalten. Ihnen gegenüber stehe ich jetzt auf festbegründetcm Boden. Sie glauben an mich. Andre würden den Schutt, über welchem endlich ein freundliches Grün emporzuwachsen beginnt, neu aufrühren und durchstöbern wollen. Sie glauben an mich. Reisen Sie ab. Ich bleibe hier. So lauge Ihnen der Zusammenhang mit der armen Diakonissin kein lästiger sein wird, können Sie darauf rechnen, daß ich nicht wieder verschwinde. Neunzehntes Aapitel. Das war ein halbes Jahr nach der Auflösung des Verlöbnisses die Sach¬ lage gewesen. Was seitdem die Züge Bertholds schärfer und strenger gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/586>, abgerufen am 22.07.2024.