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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

schlagen, in Bereitschaft hätten. Aber was soll denn werden, wenn Sie mir
bis zu dem Punkte die Seele beunruhigen, daß ich Ihre Hand fasse --

Thu es.

Ich darf nicht.

Du darfst es. Ich bin Herr meines Willens. Sei mein, und es solls
niemand wagen, sich zwischen uns zu drängen.

Niemand? Denken Sie nach.

Niemand.

Und Ihre Eltern?

Berthold verstummte. Ihre Hand zuckte in der seinen. Sie wußte nicht,
wie es gekommen war. Aber in der seinen ruhte ihre Hand, und Thränen ent-
stürzten den Augen der von ihrem Vorsatz abtrünnig Gewordenen.

Auch nicht meine Eltern, sagte Berthold, und zog die ihm anvertraute
Hand an seine Lippen.

Sie weinte still vor sich hin, und er, ohne ihre Hand ans der seinen zu
lassen, öffnete ihr sein ganzes Herz, indem er alle Schleier lüftete, die auch
seinen Pflegeeltern schonend die mancherlei tiefgehenden Wandlungen seines Innern
verborgen hatten.

Wie diese Stunde beiden als das Tagen eines neuen, selig eingefriedeten
Daseins erschien! Wie das Zagen auf der Schwelle eines unglaublichen Glückes
die Züge des Mädchens bis zur Schönheit verklärte! Welche Freudigkeit
auch aus seinen so lange matt und verdüstert gewesenen Blicken leuchtete!

Und doch war die Kluft zwischen ihnen nicht auszufüllen. Und doch ist
alles hoffnungslose Selbsttäuschung -- so rief endlich Elise sich selbst und ihn zur
Besinnung zurück. Sie vergessen Ihre Eltern!

Er wollte von keinen Hindernissen hören. Meine Eltern werden, müssen
nachgeben! rief er, du kennst sie nicht, ihre Vorurteile sind nur flüchtiges Wellen-
gekräusel der Oberfläche, die untere Strömung ist eine uns -- vor allem dir --
günstige, gerade du bist, was sie brauchen.

Gerade ich? antwortete sie mit einem bittern Lächeln. Wie Sie sich und
mich betrügen!

Er widersprach, aber seine Einreden wurde" unsicherer in dem Maße, wie
anch sie mehr und mehr den Empfindungen, die sie zu ihrem fluchtartigen Ver¬
schwinden veranlaßt hatten, Worte lieh. Vergessen Sie doch nicht, schloß sie
schmerzlich, daß ich zu den Dienenden gehörte, und daß in dieser Menschenklasse
alle die Neuigkeiten, die über die Äußerungen dieser oder jener Herrschaft er¬
mittelt werden, Gemeingut sind. Ich habe vieles über die Staudesansprüche
Ihrer Eltern gehört.

Sie hatte in der That, seit jene Katastrophe für ihre Ruhe so verhängnis¬
voll gewesen war, sich keinen Täuschungen über die völlige Undenkbarkeit einer
günstigen Wandlung hingegeben.


Auf der Leiter des Glücks.

schlagen, in Bereitschaft hätten. Aber was soll denn werden, wenn Sie mir
bis zu dem Punkte die Seele beunruhigen, daß ich Ihre Hand fasse —

Thu es.

Ich darf nicht.

Du darfst es. Ich bin Herr meines Willens. Sei mein, und es solls
niemand wagen, sich zwischen uns zu drängen.

Niemand? Denken Sie nach.

Niemand.

Und Ihre Eltern?

Berthold verstummte. Ihre Hand zuckte in der seinen. Sie wußte nicht,
wie es gekommen war. Aber in der seinen ruhte ihre Hand, und Thränen ent-
stürzten den Augen der von ihrem Vorsatz abtrünnig Gewordenen.

Auch nicht meine Eltern, sagte Berthold, und zog die ihm anvertraute
Hand an seine Lippen.

Sie weinte still vor sich hin, und er, ohne ihre Hand ans der seinen zu
lassen, öffnete ihr sein ganzes Herz, indem er alle Schleier lüftete, die auch
seinen Pflegeeltern schonend die mancherlei tiefgehenden Wandlungen seines Innern
verborgen hatten.

Wie diese Stunde beiden als das Tagen eines neuen, selig eingefriedeten
Daseins erschien! Wie das Zagen auf der Schwelle eines unglaublichen Glückes
die Züge des Mädchens bis zur Schönheit verklärte! Welche Freudigkeit
auch aus seinen so lange matt und verdüstert gewesenen Blicken leuchtete!

Und doch war die Kluft zwischen ihnen nicht auszufüllen. Und doch ist
alles hoffnungslose Selbsttäuschung — so rief endlich Elise sich selbst und ihn zur
Besinnung zurück. Sie vergessen Ihre Eltern!

Er wollte von keinen Hindernissen hören. Meine Eltern werden, müssen
nachgeben! rief er, du kennst sie nicht, ihre Vorurteile sind nur flüchtiges Wellen-
gekräusel der Oberfläche, die untere Strömung ist eine uns — vor allem dir —
günstige, gerade du bist, was sie brauchen.

Gerade ich? antwortete sie mit einem bittern Lächeln. Wie Sie sich und
mich betrügen!

Er widersprach, aber seine Einreden wurde» unsicherer in dem Maße, wie
anch sie mehr und mehr den Empfindungen, die sie zu ihrem fluchtartigen Ver¬
schwinden veranlaßt hatten, Worte lieh. Vergessen Sie doch nicht, schloß sie
schmerzlich, daß ich zu den Dienenden gehörte, und daß in dieser Menschenklasse
alle die Neuigkeiten, die über die Äußerungen dieser oder jener Herrschaft er¬
mittelt werden, Gemeingut sind. Ich habe vieles über die Staudesansprüche
Ihrer Eltern gehört.

Sie hatte in der That, seit jene Katastrophe für ihre Ruhe so verhängnis¬
voll gewesen war, sich keinen Täuschungen über die völlige Undenkbarkeit einer
günstigen Wandlung hingegeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/585>, abgerufen am 22.07.2024.