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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Über die Alltagssorgen des Daseins hinaussehen soll. Sie können denken, wie
sehr ihm und mir daran liegen mußte, sie ausfindig zu machen.

Die Oberin bedauerte, nicht viel mehr zu wissen, als daß Elise in ihre"
Papieren den Namen Elise Müller führe, in verschiednen dienstlichen Stellungen
gewesen sei und ihren Berufspflichten mit Hingebung obliege. Sie fand es
verwunderlich, daß Elise durch einen Besuch, der ihr jedenfalls doch nur Er¬
freuliches bedeuten könne, in Verlegenheit gesetzt worden sei. Als die Vorgesetzte
Eliscns hielt sie sich für berechtigt, zu fragen, ob etwa andre Beziehungen als
die erwähnten zwischen ihm und der jungen Person stattgefunden hätten und
ob er entgegengesetzten Falles nicht für richtig halte, die Schenkung einem zu¬
verlässigen Geschäftsmanne zu weiterer Überweisung anzuvertrauen?

Berthold gab zur Antwort, daß er nur sagen könne, er habe die ehrbarsten
Absichten. Da Elise nur eine dienende Stellung bei seiner ehemaligen Braut
eingenommen habe, so könne er natürlich weder Gelegenheit gehabt noch gesucht
haben, sie anders als von fern zu sehen. Ihre damalige Hilfeleistung könne
er aber selbst dann nicht niedrig anschlagen, wenn keine wirkliche Gefahr im
Verzüge gewesen sein sollte, und vollends sei die Art, wie sie sich seinem und
seines Vaters Danke entzogen habe, ein so lant redender Beweis für ihre Be¬
scheidenheit und Uneigennützigst, daß er wohl bekenne" müsse, der Gedanke an
seine Retterin habe ihn seitdem oft beschäftigt.

Die Oberin erwiederte ans diesen offnen Bescheid, sie könne für diesen Fall
wohl annehmen, daß er bei einem nochmaligen Besuche das ja keineswegs un¬
gebildete junge Mädchen zu bestimmen wissen werde, die Schenkung als eine
wohlverdiente anzunehmen, wenn nicht für sich, so doch, was ihr ja zu statten
kommen würde, für die Anstalt.

Am andern Tage hatte Elise denn auch ihre Fassung vollständig wieder¬
gefunden. Sie schüttelte zwar den Kopf und errötete ein paar mal heftig, als
in Gegenwart Bertholds die Oberin ihr auseinandersetzte, sie dürfe die Schenkung
nicht abweisen; aber daß dieselbe der Anstalt zugewendet werde, darein willigte
sie endlich, wenn auch nur mit Widerstreben.

Ich danke dir, und ich danke Ihnen, sagte die Oberin, als das Geschäft¬
liche zwischen ihr und Berthold dann in guter Form erledigt war, und sie ent¬
fernte sich, um ihren Schatz zu verschließen.

Elise wollte ihr folgen.

Was treibt Sie schon wieder fort? sagte Berthold; wollen Sie mir, nach¬
dem ich Sie so lange gesucht, nicht einiges Vertrauen schenken und einigen Auf¬
schluß über Ihre Herkunft, Ihre Schicksale, Ihre Zukunftspläne geben?

Die Diakonissin blickte nieder. Wozu? sagte sie.

Wozu? Weil ich es Ihnen ja doch zu danken habe, daß ich heute noch
an Leben bin, jedenfalls daß ich unwürdige Fesseln abgestreift habe.

Sie blickte ihn mit einem raschen Seitenblick an.


Auf der Leiter des Glücks.

Über die Alltagssorgen des Daseins hinaussehen soll. Sie können denken, wie
sehr ihm und mir daran liegen mußte, sie ausfindig zu machen.

Die Oberin bedauerte, nicht viel mehr zu wissen, als daß Elise in ihre»
Papieren den Namen Elise Müller führe, in verschiednen dienstlichen Stellungen
gewesen sei und ihren Berufspflichten mit Hingebung obliege. Sie fand es
verwunderlich, daß Elise durch einen Besuch, der ihr jedenfalls doch nur Er¬
freuliches bedeuten könne, in Verlegenheit gesetzt worden sei. Als die Vorgesetzte
Eliscns hielt sie sich für berechtigt, zu fragen, ob etwa andre Beziehungen als
die erwähnten zwischen ihm und der jungen Person stattgefunden hätten und
ob er entgegengesetzten Falles nicht für richtig halte, die Schenkung einem zu¬
verlässigen Geschäftsmanne zu weiterer Überweisung anzuvertrauen?

Berthold gab zur Antwort, daß er nur sagen könne, er habe die ehrbarsten
Absichten. Da Elise nur eine dienende Stellung bei seiner ehemaligen Braut
eingenommen habe, so könne er natürlich weder Gelegenheit gehabt noch gesucht
haben, sie anders als von fern zu sehen. Ihre damalige Hilfeleistung könne
er aber selbst dann nicht niedrig anschlagen, wenn keine wirkliche Gefahr im
Verzüge gewesen sein sollte, und vollends sei die Art, wie sie sich seinem und
seines Vaters Danke entzogen habe, ein so lant redender Beweis für ihre Be¬
scheidenheit und Uneigennützigst, daß er wohl bekenne» müsse, der Gedanke an
seine Retterin habe ihn seitdem oft beschäftigt.

Die Oberin erwiederte ans diesen offnen Bescheid, sie könne für diesen Fall
wohl annehmen, daß er bei einem nochmaligen Besuche das ja keineswegs un¬
gebildete junge Mädchen zu bestimmen wissen werde, die Schenkung als eine
wohlverdiente anzunehmen, wenn nicht für sich, so doch, was ihr ja zu statten
kommen würde, für die Anstalt.

Am andern Tage hatte Elise denn auch ihre Fassung vollständig wieder¬
gefunden. Sie schüttelte zwar den Kopf und errötete ein paar mal heftig, als
in Gegenwart Bertholds die Oberin ihr auseinandersetzte, sie dürfe die Schenkung
nicht abweisen; aber daß dieselbe der Anstalt zugewendet werde, darein willigte
sie endlich, wenn auch nur mit Widerstreben.

Ich danke dir, und ich danke Ihnen, sagte die Oberin, als das Geschäft¬
liche zwischen ihr und Berthold dann in guter Form erledigt war, und sie ent¬
fernte sich, um ihren Schatz zu verschließen.

Elise wollte ihr folgen.

Was treibt Sie schon wieder fort? sagte Berthold; wollen Sie mir, nach¬
dem ich Sie so lange gesucht, nicht einiges Vertrauen schenken und einigen Auf¬
schluß über Ihre Herkunft, Ihre Schicksale, Ihre Zukunftspläne geben?

Die Diakonissin blickte nieder. Wozu? sagte sie.

Wozu? Weil ich es Ihnen ja doch zu danken habe, daß ich heute noch
an Leben bin, jedenfalls daß ich unwürdige Fesseln abgestreift habe.

Sie blickte ihn mit einem raschen Seitenblick an.


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[0583] Auf der Leiter des Glücks. Über die Alltagssorgen des Daseins hinaussehen soll. Sie können denken, wie sehr ihm und mir daran liegen mußte, sie ausfindig zu machen. Die Oberin bedauerte, nicht viel mehr zu wissen, als daß Elise in ihre» Papieren den Namen Elise Müller führe, in verschiednen dienstlichen Stellungen gewesen sei und ihren Berufspflichten mit Hingebung obliege. Sie fand es verwunderlich, daß Elise durch einen Besuch, der ihr jedenfalls doch nur Er¬ freuliches bedeuten könne, in Verlegenheit gesetzt worden sei. Als die Vorgesetzte Eliscns hielt sie sich für berechtigt, zu fragen, ob etwa andre Beziehungen als die erwähnten zwischen ihm und der jungen Person stattgefunden hätten und ob er entgegengesetzten Falles nicht für richtig halte, die Schenkung einem zu¬ verlässigen Geschäftsmanne zu weiterer Überweisung anzuvertrauen? Berthold gab zur Antwort, daß er nur sagen könne, er habe die ehrbarsten Absichten. Da Elise nur eine dienende Stellung bei seiner ehemaligen Braut eingenommen habe, so könne er natürlich weder Gelegenheit gehabt noch gesucht haben, sie anders als von fern zu sehen. Ihre damalige Hilfeleistung könne er aber selbst dann nicht niedrig anschlagen, wenn keine wirkliche Gefahr im Verzüge gewesen sein sollte, und vollends sei die Art, wie sie sich seinem und seines Vaters Danke entzogen habe, ein so lant redender Beweis für ihre Be¬ scheidenheit und Uneigennützigst, daß er wohl bekenne» müsse, der Gedanke an seine Retterin habe ihn seitdem oft beschäftigt. Die Oberin erwiederte ans diesen offnen Bescheid, sie könne für diesen Fall wohl annehmen, daß er bei einem nochmaligen Besuche das ja keineswegs un¬ gebildete junge Mädchen zu bestimmen wissen werde, die Schenkung als eine wohlverdiente anzunehmen, wenn nicht für sich, so doch, was ihr ja zu statten kommen würde, für die Anstalt. Am andern Tage hatte Elise denn auch ihre Fassung vollständig wieder¬ gefunden. Sie schüttelte zwar den Kopf und errötete ein paar mal heftig, als in Gegenwart Bertholds die Oberin ihr auseinandersetzte, sie dürfe die Schenkung nicht abweisen; aber daß dieselbe der Anstalt zugewendet werde, darein willigte sie endlich, wenn auch nur mit Widerstreben. Ich danke dir, und ich danke Ihnen, sagte die Oberin, als das Geschäft¬ liche zwischen ihr und Berthold dann in guter Form erledigt war, und sie ent¬ fernte sich, um ihren Schatz zu verschließen. Elise wollte ihr folgen. Was treibt Sie schon wieder fort? sagte Berthold; wollen Sie mir, nach¬ dem ich Sie so lange gesucht, nicht einiges Vertrauen schenken und einigen Auf¬ schluß über Ihre Herkunft, Ihre Schicksale, Ihre Zukunftspläne geben? Die Diakonissin blickte nieder. Wozu? sagte sie. Wozu? Weil ich es Ihnen ja doch zu danken habe, daß ich heute noch an Leben bin, jedenfalls daß ich unwürdige Fesseln abgestreift habe. Sie blickte ihn mit einem raschen Seitenblick an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/583>, abgerufen am 03.07.2024.