Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Michael Munkacsy,

Recht zum Vorwürfe machen, daß er nur für die Nachtseiten des menschlichen
Daseins ein Auge habe und daß feine übermäßige Neigung für das Beinschwarz
krankhaft sei. Wenn man von dem jungen Mädchen mit dem Marktkorbe ab¬
sah, führte das Gemälde eine wahre Musterkarte von abschreckend häßlichen
Volkstypen vor, stumpfsinnige Kretins und ungeschlachte Weiber, die gleichwohl
mit einer fast inbrünstigen Liebe charakterisirt waren. Noch krasser trat die
Gemeinheit auf der "Wartenden Heimkehr" zu Tage, wo ein Betrunkener von
einem Zechgenossen in sein elendes Heim zu Weib und Kind geführt wird, die
halb im Schmutze verkommen sind, Munkacsy wollte offenbar für die moralische
Versumpftheit einen entsprechenden koloristischen Ausdruck finden, und deshalb
legte er über alle Lokalfarben einen schwarzen Schleier, um damit seine Ver¬
achtung dieser Verkommenheit zu dokumentiren. Aber diese finstere Ausdrucks¬
weise gewann bald eine solche Macht über ihn, daß er sie auch da anwendete,
wo sie garnicht am Platze war, wie in harmlosen Kücheuszenen, wo eine alte
Frau Butter macht oder Mädchen Geflügel rupfen, oder auf Porträts und
Landschaften, Angemessener war die düstere koloristische Stimmung für das
im Salon von 1873 ausgestellte Bild "Episode aus dem ungarischen Kriege
von 1848," wo ein verwundeter Ungar, der in einem Bauernhause Zuflucht
gefunden hat, den Charpie zupfenden und bewegt zuhörenden Frauen und Mädchen
seine Erlebnisse erzählt. Jene "Nachtschwärmer," welche im Verein mit einer
Szene "Aus dem Leihhause" im Salon von 1874 erschienen, brachten dem
Künstler bereits eine Medaille zweiter Klasse. Der "Dorfheld," welcher im
nächsten Jahre ausgestellt wurde, war ebenfalls noch so dunkel gehalten, daß
ein französischer Kritiker schreiben konnte, er sei in einem Keller gemalt worden.
Ein Athlet, welcher auf deu Jahrmärkten herumzieht, hat in einem Wirtshause
den stärksten Burschen des Dorfes zum Ringkampfe herausgefordert. Alles drängt
sich in gespannter Erwartung um die beiden Ringer, und selbst die Kinder sind
auf die Tische geklettert, um vou den Einzelheiten des Kampfes nichts zu
verlieren.

Um diese Zeit vollzog sich eine Wandlung in den äußern Verhältnissen
Munkacsys, welche auch auf seine künstlerische Entwicklung nicht ohne Einfluß
blieb. Er gewann die Liebe einer reichen, jungen Witwe, der Gräfin Marsch,
und die Vermählung mit ihr setzte ihn in den Stand, ohne Rücksicht auf Brot¬
erwerb seinen Idealen nachzustreben. Weit entfernt aber, sein Leben unthätig
zu verträumen, entfaltete er nunmehr eine verdoppelte Thätigkeit. Er öffnete
seine Augen dem Luxus des Daseins, der Kunst in seiner Umgebung, und suchte
sein düsteres Naturell abzustreifen. Er löste allmählich die Lokalfarbe aus der
schwarze" Grundstimmung ab und erweiterte auch seinen Stoffkreis, indem er
uicht mehr ausschließlich ungarische Motive bearbeitete. Die Darstellung seines
Ateliers, welche im Jahre 1876 vollendet wurde, war der erste Schritt auf
dieser Bahn. Vor einer Staffelei sitzt die junge Frau des Malers, welche auf-


Michael Munkacsy,

Recht zum Vorwürfe machen, daß er nur für die Nachtseiten des menschlichen
Daseins ein Auge habe und daß feine übermäßige Neigung für das Beinschwarz
krankhaft sei. Wenn man von dem jungen Mädchen mit dem Marktkorbe ab¬
sah, führte das Gemälde eine wahre Musterkarte von abschreckend häßlichen
Volkstypen vor, stumpfsinnige Kretins und ungeschlachte Weiber, die gleichwohl
mit einer fast inbrünstigen Liebe charakterisirt waren. Noch krasser trat die
Gemeinheit auf der „Wartenden Heimkehr" zu Tage, wo ein Betrunkener von
einem Zechgenossen in sein elendes Heim zu Weib und Kind geführt wird, die
halb im Schmutze verkommen sind, Munkacsy wollte offenbar für die moralische
Versumpftheit einen entsprechenden koloristischen Ausdruck finden, und deshalb
legte er über alle Lokalfarben einen schwarzen Schleier, um damit seine Ver¬
achtung dieser Verkommenheit zu dokumentiren. Aber diese finstere Ausdrucks¬
weise gewann bald eine solche Macht über ihn, daß er sie auch da anwendete,
wo sie garnicht am Platze war, wie in harmlosen Kücheuszenen, wo eine alte
Frau Butter macht oder Mädchen Geflügel rupfen, oder auf Porträts und
Landschaften, Angemessener war die düstere koloristische Stimmung für das
im Salon von 1873 ausgestellte Bild „Episode aus dem ungarischen Kriege
von 1848," wo ein verwundeter Ungar, der in einem Bauernhause Zuflucht
gefunden hat, den Charpie zupfenden und bewegt zuhörenden Frauen und Mädchen
seine Erlebnisse erzählt. Jene „Nachtschwärmer," welche im Verein mit einer
Szene „Aus dem Leihhause" im Salon von 1874 erschienen, brachten dem
Künstler bereits eine Medaille zweiter Klasse. Der „Dorfheld," welcher im
nächsten Jahre ausgestellt wurde, war ebenfalls noch so dunkel gehalten, daß
ein französischer Kritiker schreiben konnte, er sei in einem Keller gemalt worden.
Ein Athlet, welcher auf deu Jahrmärkten herumzieht, hat in einem Wirtshause
den stärksten Burschen des Dorfes zum Ringkampfe herausgefordert. Alles drängt
sich in gespannter Erwartung um die beiden Ringer, und selbst die Kinder sind
auf die Tische geklettert, um vou den Einzelheiten des Kampfes nichts zu
verlieren.

Um diese Zeit vollzog sich eine Wandlung in den äußern Verhältnissen
Munkacsys, welche auch auf seine künstlerische Entwicklung nicht ohne Einfluß
blieb. Er gewann die Liebe einer reichen, jungen Witwe, der Gräfin Marsch,
und die Vermählung mit ihr setzte ihn in den Stand, ohne Rücksicht auf Brot¬
erwerb seinen Idealen nachzustreben. Weit entfernt aber, sein Leben unthätig
zu verträumen, entfaltete er nunmehr eine verdoppelte Thätigkeit. Er öffnete
seine Augen dem Luxus des Daseins, der Kunst in seiner Umgebung, und suchte
sein düsteres Naturell abzustreifen. Er löste allmählich die Lokalfarbe aus der
schwarze» Grundstimmung ab und erweiterte auch seinen Stoffkreis, indem er
uicht mehr ausschließlich ungarische Motive bearbeitete. Die Darstellung seines
Ateliers, welche im Jahre 1876 vollendet wurde, war der erste Schritt auf
dieser Bahn. Vor einer Staffelei sitzt die junge Frau des Malers, welche auf-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155460"/>
          <fw type="header" place="top"> Michael Munkacsy,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2303" prev="#ID_2302"> Recht zum Vorwürfe machen, daß er nur für die Nachtseiten des menschlichen<lb/>
Daseins ein Auge habe und daß feine übermäßige Neigung für das Beinschwarz<lb/>
krankhaft sei. Wenn man von dem jungen Mädchen mit dem Marktkorbe ab¬<lb/>
sah, führte das Gemälde eine wahre Musterkarte von abschreckend häßlichen<lb/>
Volkstypen vor, stumpfsinnige Kretins und ungeschlachte Weiber, die gleichwohl<lb/>
mit einer fast inbrünstigen Liebe charakterisirt waren. Noch krasser trat die<lb/>
Gemeinheit auf der &#x201E;Wartenden Heimkehr" zu Tage, wo ein Betrunkener von<lb/>
einem Zechgenossen in sein elendes Heim zu Weib und Kind geführt wird, die<lb/>
halb im Schmutze verkommen sind, Munkacsy wollte offenbar für die moralische<lb/>
Versumpftheit einen entsprechenden koloristischen Ausdruck finden, und deshalb<lb/>
legte er über alle Lokalfarben einen schwarzen Schleier, um damit seine Ver¬<lb/>
achtung dieser Verkommenheit zu dokumentiren. Aber diese finstere Ausdrucks¬<lb/>
weise gewann bald eine solche Macht über ihn, daß er sie auch da anwendete,<lb/>
wo sie garnicht am Platze war, wie in harmlosen Kücheuszenen, wo eine alte<lb/>
Frau Butter macht oder Mädchen Geflügel rupfen, oder auf Porträts und<lb/>
Landschaften, Angemessener war die düstere koloristische Stimmung für das<lb/>
im Salon von 1873 ausgestellte Bild &#x201E;Episode aus dem ungarischen Kriege<lb/>
von 1848," wo ein verwundeter Ungar, der in einem Bauernhause Zuflucht<lb/>
gefunden hat, den Charpie zupfenden und bewegt zuhörenden Frauen und Mädchen<lb/>
seine Erlebnisse erzählt. Jene &#x201E;Nachtschwärmer," welche im Verein mit einer<lb/>
Szene &#x201E;Aus dem Leihhause" im Salon von 1874 erschienen, brachten dem<lb/>
Künstler bereits eine Medaille zweiter Klasse. Der &#x201E;Dorfheld," welcher im<lb/>
nächsten Jahre ausgestellt wurde, war ebenfalls noch so dunkel gehalten, daß<lb/>
ein französischer Kritiker schreiben konnte, er sei in einem Keller gemalt worden.<lb/>
Ein Athlet, welcher auf deu Jahrmärkten herumzieht, hat in einem Wirtshause<lb/>
den stärksten Burschen des Dorfes zum Ringkampfe herausgefordert. Alles drängt<lb/>
sich in gespannter Erwartung um die beiden Ringer, und selbst die Kinder sind<lb/>
auf die Tische geklettert, um vou den Einzelheiten des Kampfes nichts zu<lb/>
verlieren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2304" next="#ID_2305"> Um diese Zeit vollzog sich eine Wandlung in den äußern Verhältnissen<lb/>
Munkacsys, welche auch auf seine künstlerische Entwicklung nicht ohne Einfluß<lb/>
blieb. Er gewann die Liebe einer reichen, jungen Witwe, der Gräfin Marsch,<lb/>
und die Vermählung mit ihr setzte ihn in den Stand, ohne Rücksicht auf Brot¬<lb/>
erwerb seinen Idealen nachzustreben. Weit entfernt aber, sein Leben unthätig<lb/>
zu verträumen, entfaltete er nunmehr eine verdoppelte Thätigkeit. Er öffnete<lb/>
seine Augen dem Luxus des Daseins, der Kunst in seiner Umgebung, und suchte<lb/>
sein düsteres Naturell abzustreifen. Er löste allmählich die Lokalfarbe aus der<lb/>
schwarze» Grundstimmung ab und erweiterte auch seinen Stoffkreis, indem er<lb/>
uicht mehr ausschließlich ungarische Motive bearbeitete. Die Darstellung seines<lb/>
Ateliers, welche im Jahre 1876 vollendet wurde, war der erste Schritt auf<lb/>
dieser Bahn. Vor einer Staffelei sitzt die junge Frau des Malers, welche auf-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] Michael Munkacsy, Recht zum Vorwürfe machen, daß er nur für die Nachtseiten des menschlichen Daseins ein Auge habe und daß feine übermäßige Neigung für das Beinschwarz krankhaft sei. Wenn man von dem jungen Mädchen mit dem Marktkorbe ab¬ sah, führte das Gemälde eine wahre Musterkarte von abschreckend häßlichen Volkstypen vor, stumpfsinnige Kretins und ungeschlachte Weiber, die gleichwohl mit einer fast inbrünstigen Liebe charakterisirt waren. Noch krasser trat die Gemeinheit auf der „Wartenden Heimkehr" zu Tage, wo ein Betrunkener von einem Zechgenossen in sein elendes Heim zu Weib und Kind geführt wird, die halb im Schmutze verkommen sind, Munkacsy wollte offenbar für die moralische Versumpftheit einen entsprechenden koloristischen Ausdruck finden, und deshalb legte er über alle Lokalfarben einen schwarzen Schleier, um damit seine Ver¬ achtung dieser Verkommenheit zu dokumentiren. Aber diese finstere Ausdrucks¬ weise gewann bald eine solche Macht über ihn, daß er sie auch da anwendete, wo sie garnicht am Platze war, wie in harmlosen Kücheuszenen, wo eine alte Frau Butter macht oder Mädchen Geflügel rupfen, oder auf Porträts und Landschaften, Angemessener war die düstere koloristische Stimmung für das im Salon von 1873 ausgestellte Bild „Episode aus dem ungarischen Kriege von 1848," wo ein verwundeter Ungar, der in einem Bauernhause Zuflucht gefunden hat, den Charpie zupfenden und bewegt zuhörenden Frauen und Mädchen seine Erlebnisse erzählt. Jene „Nachtschwärmer," welche im Verein mit einer Szene „Aus dem Leihhause" im Salon von 1874 erschienen, brachten dem Künstler bereits eine Medaille zweiter Klasse. Der „Dorfheld," welcher im nächsten Jahre ausgestellt wurde, war ebenfalls noch so dunkel gehalten, daß ein französischer Kritiker schreiben konnte, er sei in einem Keller gemalt worden. Ein Athlet, welcher auf deu Jahrmärkten herumzieht, hat in einem Wirtshause den stärksten Burschen des Dorfes zum Ringkampfe herausgefordert. Alles drängt sich in gespannter Erwartung um die beiden Ringer, und selbst die Kinder sind auf die Tische geklettert, um vou den Einzelheiten des Kampfes nichts zu verlieren. Um diese Zeit vollzog sich eine Wandlung in den äußern Verhältnissen Munkacsys, welche auch auf seine künstlerische Entwicklung nicht ohne Einfluß blieb. Er gewann die Liebe einer reichen, jungen Witwe, der Gräfin Marsch, und die Vermählung mit ihr setzte ihn in den Stand, ohne Rücksicht auf Brot¬ erwerb seinen Idealen nachzustreben. Weit entfernt aber, sein Leben unthätig zu verträumen, entfaltete er nunmehr eine verdoppelte Thätigkeit. Er öffnete seine Augen dem Luxus des Daseins, der Kunst in seiner Umgebung, und suchte sein düsteres Naturell abzustreifen. Er löste allmählich die Lokalfarbe aus der schwarze» Grundstimmung ab und erweiterte auch seinen Stoffkreis, indem er uicht mehr ausschließlich ungarische Motive bearbeitete. Die Darstellung seines Ateliers, welche im Jahre 1876 vollendet wurde, war der erste Schritt auf dieser Bahn. Vor einer Staffelei sitzt die junge Frau des Malers, welche auf-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/577>, abgerufen am 25.08.2024.