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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Michael Munkacsy.

wcmdtheit und nach originalen, Ausdruck Der wahre Künstler lernt, wenn er
nicht frühzeitig zum Manieristen werden will, bekanntlich niemals aus, und auch
Munkacsy hat in den anderthalb Jahrzehnten, welche seit der Vollendung jenes
Bildes verflossen sind, noch mehrere Wandlungen durchgemacht.

Was jene Szene aus dem Kerker auszeichnete, war vor allen Dingen die
ergreifende Charakteristik, die sich bei aller Energie in den Grenzen der Wahr¬
heit und Natürlichkeit hielt. Keine falsche Sentimentalität, kein unwahres Pathos,
nichts Komödiantenhaftes. Dazu kamen der tiefe Ernst der Empfindung, welcher
die ganze Komposition durchdrang, und der ungewöhnliche, fremdartige Stoff, und
so fehlte es dem Bilde schon in Düsseldorf nicht an einem großen Erfolge. Be¬
einträchtigt wurde derselbe nur durch den übertrieben schwarzen Gesamtton, der
nur zum kleinen Teil durch das Dämmerlicht des Kerkers motivirt war. Diese
eigentümliche, wohl aus seiner Gemütsstimmung hercmsklingeudc, koloristische
Ausdrucksweise blieb eine ganze Reihe von Jahren hindurch für Munkacsy
charakteristisch; sie drohte bereits zu einer verhängnisvollen Manier zu werden,
als er sich endlich von ihr lossagte.

Auf den Rat von Kraus stellte Munkacsy die "Letzten Tage eines Ver¬
urteilten" im Pariser Salon von 1870 aus. Er erhielt nicht nur eine Medaille
dritter Klasse, sondern das Bild fand auch einen Käufer, der es nach Amerika
entführte. Zehn Jahre später hat es Munkacsy noch einmal gemalt, aber,
seiner veränderten koloristischen Anschauung entsprechend, in einer ungleich
farbigeren Haltung. Der Erfolg seines Bildes brachte in ihm den Entschluß
zur Reife, nach Paris überzusiedeln, und er schlug deshalb, als ob er instinktiv
fühlte, daß ihm sein Glück in Paris blühe, einen 1871 an ihn ergangenen Ruf
als Professor an die Kunstschule in Weimar aus. Im Jahre 1872 finden wir
ihn bereits in Paris und zwar in vollster Thätigkeit, da er 1873 nicht nur
den Pariser Salon, sondern auch die Wiener Weltausstellung, und zwar letztere
mit fünf Gemälden, beschicken konnte. Unter diesen waren die "Nachtschwärmer"
das Hauptbild. Beim Morgengrauen werden vier des Nachts aufgegriffene
Strolche von zwei Soldaten durch die Gassen eines ungarischen Städtchens
transportirt. In einer Mauerecke haben Hökerinnen, um einen Tisch gruppirt,
ihren Kram aufgethan und blicken mit Verachtung und Schadenfreude auf die
Verhafteten. Einer von ihnen, ein junger Mann mit dem Schurzfelle des
Handwerkers, welcher sich aus Scham den Hut tief ins Gesicht gedrückt hat,
wendet seinen Kopf zur Seite, weil ihm eine junge Dirne begegnet, die ihn mit
einer Geberde des Entsetzens erkennt. Ans dem Hintergründe folgt ein Trupp
von Kindern dem Zuge. Auch auf diesem Bilde fesselte die breite, energische Cha¬
rakteristik, die geschickte, mit großen Flächen operirende Mache. Aber der schwarz¬
graue Gesamtton und das sichtliche Streben nach dem Häßlichen und Gemeinen
bestimmte doch so sehr die Physiognomie des ganzen Bildes, daß die Freude an
den technischen Vorzüge" keine ungetrübte war. Man konnte dem Maler mit


Michael Munkacsy.

wcmdtheit und nach originalen, Ausdruck Der wahre Künstler lernt, wenn er
nicht frühzeitig zum Manieristen werden will, bekanntlich niemals aus, und auch
Munkacsy hat in den anderthalb Jahrzehnten, welche seit der Vollendung jenes
Bildes verflossen sind, noch mehrere Wandlungen durchgemacht.

Was jene Szene aus dem Kerker auszeichnete, war vor allen Dingen die
ergreifende Charakteristik, die sich bei aller Energie in den Grenzen der Wahr¬
heit und Natürlichkeit hielt. Keine falsche Sentimentalität, kein unwahres Pathos,
nichts Komödiantenhaftes. Dazu kamen der tiefe Ernst der Empfindung, welcher
die ganze Komposition durchdrang, und der ungewöhnliche, fremdartige Stoff, und
so fehlte es dem Bilde schon in Düsseldorf nicht an einem großen Erfolge. Be¬
einträchtigt wurde derselbe nur durch den übertrieben schwarzen Gesamtton, der
nur zum kleinen Teil durch das Dämmerlicht des Kerkers motivirt war. Diese
eigentümliche, wohl aus seiner Gemütsstimmung hercmsklingeudc, koloristische
Ausdrucksweise blieb eine ganze Reihe von Jahren hindurch für Munkacsy
charakteristisch; sie drohte bereits zu einer verhängnisvollen Manier zu werden,
als er sich endlich von ihr lossagte.

Auf den Rat von Kraus stellte Munkacsy die „Letzten Tage eines Ver¬
urteilten" im Pariser Salon von 1870 aus. Er erhielt nicht nur eine Medaille
dritter Klasse, sondern das Bild fand auch einen Käufer, der es nach Amerika
entführte. Zehn Jahre später hat es Munkacsy noch einmal gemalt, aber,
seiner veränderten koloristischen Anschauung entsprechend, in einer ungleich
farbigeren Haltung. Der Erfolg seines Bildes brachte in ihm den Entschluß
zur Reife, nach Paris überzusiedeln, und er schlug deshalb, als ob er instinktiv
fühlte, daß ihm sein Glück in Paris blühe, einen 1871 an ihn ergangenen Ruf
als Professor an die Kunstschule in Weimar aus. Im Jahre 1872 finden wir
ihn bereits in Paris und zwar in vollster Thätigkeit, da er 1873 nicht nur
den Pariser Salon, sondern auch die Wiener Weltausstellung, und zwar letztere
mit fünf Gemälden, beschicken konnte. Unter diesen waren die „Nachtschwärmer"
das Hauptbild. Beim Morgengrauen werden vier des Nachts aufgegriffene
Strolche von zwei Soldaten durch die Gassen eines ungarischen Städtchens
transportirt. In einer Mauerecke haben Hökerinnen, um einen Tisch gruppirt,
ihren Kram aufgethan und blicken mit Verachtung und Schadenfreude auf die
Verhafteten. Einer von ihnen, ein junger Mann mit dem Schurzfelle des
Handwerkers, welcher sich aus Scham den Hut tief ins Gesicht gedrückt hat,
wendet seinen Kopf zur Seite, weil ihm eine junge Dirne begegnet, die ihn mit
einer Geberde des Entsetzens erkennt. Ans dem Hintergründe folgt ein Trupp
von Kindern dem Zuge. Auch auf diesem Bilde fesselte die breite, energische Cha¬
rakteristik, die geschickte, mit großen Flächen operirende Mache. Aber der schwarz¬
graue Gesamtton und das sichtliche Streben nach dem Häßlichen und Gemeinen
bestimmte doch so sehr die Physiognomie des ganzen Bildes, daß die Freude an
den technischen Vorzüge» keine ungetrübte war. Man konnte dem Maler mit


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[0576] Michael Munkacsy. wcmdtheit und nach originalen, Ausdruck Der wahre Künstler lernt, wenn er nicht frühzeitig zum Manieristen werden will, bekanntlich niemals aus, und auch Munkacsy hat in den anderthalb Jahrzehnten, welche seit der Vollendung jenes Bildes verflossen sind, noch mehrere Wandlungen durchgemacht. Was jene Szene aus dem Kerker auszeichnete, war vor allen Dingen die ergreifende Charakteristik, die sich bei aller Energie in den Grenzen der Wahr¬ heit und Natürlichkeit hielt. Keine falsche Sentimentalität, kein unwahres Pathos, nichts Komödiantenhaftes. Dazu kamen der tiefe Ernst der Empfindung, welcher die ganze Komposition durchdrang, und der ungewöhnliche, fremdartige Stoff, und so fehlte es dem Bilde schon in Düsseldorf nicht an einem großen Erfolge. Be¬ einträchtigt wurde derselbe nur durch den übertrieben schwarzen Gesamtton, der nur zum kleinen Teil durch das Dämmerlicht des Kerkers motivirt war. Diese eigentümliche, wohl aus seiner Gemütsstimmung hercmsklingeudc, koloristische Ausdrucksweise blieb eine ganze Reihe von Jahren hindurch für Munkacsy charakteristisch; sie drohte bereits zu einer verhängnisvollen Manier zu werden, als er sich endlich von ihr lossagte. Auf den Rat von Kraus stellte Munkacsy die „Letzten Tage eines Ver¬ urteilten" im Pariser Salon von 1870 aus. Er erhielt nicht nur eine Medaille dritter Klasse, sondern das Bild fand auch einen Käufer, der es nach Amerika entführte. Zehn Jahre später hat es Munkacsy noch einmal gemalt, aber, seiner veränderten koloristischen Anschauung entsprechend, in einer ungleich farbigeren Haltung. Der Erfolg seines Bildes brachte in ihm den Entschluß zur Reife, nach Paris überzusiedeln, und er schlug deshalb, als ob er instinktiv fühlte, daß ihm sein Glück in Paris blühe, einen 1871 an ihn ergangenen Ruf als Professor an die Kunstschule in Weimar aus. Im Jahre 1872 finden wir ihn bereits in Paris und zwar in vollster Thätigkeit, da er 1873 nicht nur den Pariser Salon, sondern auch die Wiener Weltausstellung, und zwar letztere mit fünf Gemälden, beschicken konnte. Unter diesen waren die „Nachtschwärmer" das Hauptbild. Beim Morgengrauen werden vier des Nachts aufgegriffene Strolche von zwei Soldaten durch die Gassen eines ungarischen Städtchens transportirt. In einer Mauerecke haben Hökerinnen, um einen Tisch gruppirt, ihren Kram aufgethan und blicken mit Verachtung und Schadenfreude auf die Verhafteten. Einer von ihnen, ein junger Mann mit dem Schurzfelle des Handwerkers, welcher sich aus Scham den Hut tief ins Gesicht gedrückt hat, wendet seinen Kopf zur Seite, weil ihm eine junge Dirne begegnet, die ihn mit einer Geberde des Entsetzens erkennt. Ans dem Hintergründe folgt ein Trupp von Kindern dem Zuge. Auch auf diesem Bilde fesselte die breite, energische Cha¬ rakteristik, die geschickte, mit großen Flächen operirende Mache. Aber der schwarz¬ graue Gesamtton und das sichtliche Streben nach dem Häßlichen und Gemeinen bestimmte doch so sehr die Physiognomie des ganzen Bildes, daß die Freude an den technischen Vorzüge» keine ungetrübte war. Man konnte dem Maler mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/576>, abgerufen am 25.08.2024.