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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Michael Munkacsy.

dessen großes Gemälde "Christus vor Pilcitus" auf seiner Wanderung durch
die Welt gerade in Berlin angekommen ist, Munkacsy gehört, wie man ohne
Übertreibung sagen kann, gegenwärtig zu den gefeiertsten Malern der Welt,
und er hat sich, was noch mehr sagen will, diesen Ruhm aus bescheidnen An¬
fängen durch eigne Kraft erworben, ohne die Reklame zu Hilfe zu nehmen.
Wenn sein Gemälde "Christus vor Pilatus" jetzt mit einem gewissen Apparat
von überflüssigen und verwerflichen Dingen in Szene gesetzt wird, so hat er
mit diesem Arrangement nichts zu thun, da er sein Bild an einen spekulativen
Kunsthändler verkauft hat, welcher mit demselben in der Welt umherzieht.
Munkacsy hat im Jahre 1878 die Ehrenmedaille, also die höchste Auszeichnung
der Pariser Weltausstellung, und das Offizierkreuz des Ordens der Ehrenlegion
und später auch die große goldne Medaille der Berliner Kunstausstellung er¬
halten. Er ist vom Kaiser von Österreich in den Adelsstand erhoben worden.
Außer Makart hat kaum ein zweiter Künstler Europas einen so weit verbreiteten
Ruf wie Munkacsy, und der fleißige Künstler in der Avenue Villiers in Paris
darf sich dessen mit Recht freuen.

Zu den Ohren des Herrn Reichensperger ist nichts davon gedrungen: er
hält Munkacsy für einen Russen. Gleichwohl gilt Herr Reichensperger im
preußischen Abgeordnetenhause für eine unantastbare Autorität in Kunstsachen
-- er hat auch kunstgeschichtliche und ästhetische Aufsätze geschrieben --, der
man nur widerspricht, wenn die Regierung, wie bei jenen zwei Millionen,
das ganze Gewicht ihres Ansehens gegen Herrn Reichensperger in die Wag¬
schale legt. Vielleicht ist seine Autorität durch seine jüngste Kunstrede, die auch
noch andre schwache Punkte hatte,*) etwas erschüttert worden. Durch einen
Zuruf hat man ihn sofort rektifizirt: Munkacsy ist in Ungarn geboren, und die
Ungarn sind nicht wenig stolz auf den berühmten Landsmann, der die Kunst
Ungarns vor der ganzen Welt handgreiflich zu Ehren gebracht hat. Deshalb
sind die Ungarn aber immer noch kein Kunstvolk, obwohl sie sich alle erdenkliche
Mühe geben, durch eine reiche Dotation ihrer Museen und Kunstschulen den
Kunsttrieb in ihrem Lande zu wecken.

Munkacsy ist seiner äußeren Erscheinung nach ein Vollblutmagyar, obwohl
er einen deutschen Namen trägt. Er heißt eigentlich Lieb und hat den Namen



So sagte Herr Reichensperger z, B-: "In Paris -- ich verfolge so ziemlich die Berichte,
welche über die dortigen sogenannten Salons erstattet werden, ich kann versichern, daß es in
Paris mit der Malerei garnicht besonders bestellt ist. Die sogenannten Impressionisten und
die Aquarellisten behaupten das Feld; daneben macht sich mitunter ein fast widerlicher Realis¬
mus geltend." In Wahrheit verhält es sich aber so, daß die Impressionisten bis 1881 be¬
ständig von den Salons ausgeschlossen waren, und daß seit jenem Jahre nur sehr wenige
Impressionisten in demselben erschienen sind, die garnicht beachtet wurden. Auch die "Aquarel¬
listen," unter denen sich Herr Reichensperger ebenfalls eine Kunstsekte zu denken scheint, ver¬
anstalten besondre, von den Salons unabhängige Ausstellungen. Von den Salons hat demnach
Herr Reichensperger eine ganz falsche Vorstellung.
Michael Munkacsy.

dessen großes Gemälde „Christus vor Pilcitus" auf seiner Wanderung durch
die Welt gerade in Berlin angekommen ist, Munkacsy gehört, wie man ohne
Übertreibung sagen kann, gegenwärtig zu den gefeiertsten Malern der Welt,
und er hat sich, was noch mehr sagen will, diesen Ruhm aus bescheidnen An¬
fängen durch eigne Kraft erworben, ohne die Reklame zu Hilfe zu nehmen.
Wenn sein Gemälde „Christus vor Pilatus" jetzt mit einem gewissen Apparat
von überflüssigen und verwerflichen Dingen in Szene gesetzt wird, so hat er
mit diesem Arrangement nichts zu thun, da er sein Bild an einen spekulativen
Kunsthändler verkauft hat, welcher mit demselben in der Welt umherzieht.
Munkacsy hat im Jahre 1878 die Ehrenmedaille, also die höchste Auszeichnung
der Pariser Weltausstellung, und das Offizierkreuz des Ordens der Ehrenlegion
und später auch die große goldne Medaille der Berliner Kunstausstellung er¬
halten. Er ist vom Kaiser von Österreich in den Adelsstand erhoben worden.
Außer Makart hat kaum ein zweiter Künstler Europas einen so weit verbreiteten
Ruf wie Munkacsy, und der fleißige Künstler in der Avenue Villiers in Paris
darf sich dessen mit Recht freuen.

Zu den Ohren des Herrn Reichensperger ist nichts davon gedrungen: er
hält Munkacsy für einen Russen. Gleichwohl gilt Herr Reichensperger im
preußischen Abgeordnetenhause für eine unantastbare Autorität in Kunstsachen
— er hat auch kunstgeschichtliche und ästhetische Aufsätze geschrieben —, der
man nur widerspricht, wenn die Regierung, wie bei jenen zwei Millionen,
das ganze Gewicht ihres Ansehens gegen Herrn Reichensperger in die Wag¬
schale legt. Vielleicht ist seine Autorität durch seine jüngste Kunstrede, die auch
noch andre schwache Punkte hatte,*) etwas erschüttert worden. Durch einen
Zuruf hat man ihn sofort rektifizirt: Munkacsy ist in Ungarn geboren, und die
Ungarn sind nicht wenig stolz auf den berühmten Landsmann, der die Kunst
Ungarns vor der ganzen Welt handgreiflich zu Ehren gebracht hat. Deshalb
sind die Ungarn aber immer noch kein Kunstvolk, obwohl sie sich alle erdenkliche
Mühe geben, durch eine reiche Dotation ihrer Museen und Kunstschulen den
Kunsttrieb in ihrem Lande zu wecken.

Munkacsy ist seiner äußeren Erscheinung nach ein Vollblutmagyar, obwohl
er einen deutschen Namen trägt. Er heißt eigentlich Lieb und hat den Namen



So sagte Herr Reichensperger z, B-: „In Paris — ich verfolge so ziemlich die Berichte,
welche über die dortigen sogenannten Salons erstattet werden, ich kann versichern, daß es in
Paris mit der Malerei garnicht besonders bestellt ist. Die sogenannten Impressionisten und
die Aquarellisten behaupten das Feld; daneben macht sich mitunter ein fast widerlicher Realis¬
mus geltend." In Wahrheit verhält es sich aber so, daß die Impressionisten bis 1881 be¬
ständig von den Salons ausgeschlossen waren, und daß seit jenem Jahre nur sehr wenige
Impressionisten in demselben erschienen sind, die garnicht beachtet wurden. Auch die „Aquarel¬
listen," unter denen sich Herr Reichensperger ebenfalls eine Kunstsekte zu denken scheint, ver¬
anstalten besondre, von den Salons unabhängige Ausstellungen. Von den Salons hat demnach
Herr Reichensperger eine ganz falsche Vorstellung.
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[0574] Michael Munkacsy. dessen großes Gemälde „Christus vor Pilcitus" auf seiner Wanderung durch die Welt gerade in Berlin angekommen ist, Munkacsy gehört, wie man ohne Übertreibung sagen kann, gegenwärtig zu den gefeiertsten Malern der Welt, und er hat sich, was noch mehr sagen will, diesen Ruhm aus bescheidnen An¬ fängen durch eigne Kraft erworben, ohne die Reklame zu Hilfe zu nehmen. Wenn sein Gemälde „Christus vor Pilatus" jetzt mit einem gewissen Apparat von überflüssigen und verwerflichen Dingen in Szene gesetzt wird, so hat er mit diesem Arrangement nichts zu thun, da er sein Bild an einen spekulativen Kunsthändler verkauft hat, welcher mit demselben in der Welt umherzieht. Munkacsy hat im Jahre 1878 die Ehrenmedaille, also die höchste Auszeichnung der Pariser Weltausstellung, und das Offizierkreuz des Ordens der Ehrenlegion und später auch die große goldne Medaille der Berliner Kunstausstellung er¬ halten. Er ist vom Kaiser von Österreich in den Adelsstand erhoben worden. Außer Makart hat kaum ein zweiter Künstler Europas einen so weit verbreiteten Ruf wie Munkacsy, und der fleißige Künstler in der Avenue Villiers in Paris darf sich dessen mit Recht freuen. Zu den Ohren des Herrn Reichensperger ist nichts davon gedrungen: er hält Munkacsy für einen Russen. Gleichwohl gilt Herr Reichensperger im preußischen Abgeordnetenhause für eine unantastbare Autorität in Kunstsachen — er hat auch kunstgeschichtliche und ästhetische Aufsätze geschrieben —, der man nur widerspricht, wenn die Regierung, wie bei jenen zwei Millionen, das ganze Gewicht ihres Ansehens gegen Herrn Reichensperger in die Wag¬ schale legt. Vielleicht ist seine Autorität durch seine jüngste Kunstrede, die auch noch andre schwache Punkte hatte,*) etwas erschüttert worden. Durch einen Zuruf hat man ihn sofort rektifizirt: Munkacsy ist in Ungarn geboren, und die Ungarn sind nicht wenig stolz auf den berühmten Landsmann, der die Kunst Ungarns vor der ganzen Welt handgreiflich zu Ehren gebracht hat. Deshalb sind die Ungarn aber immer noch kein Kunstvolk, obwohl sie sich alle erdenkliche Mühe geben, durch eine reiche Dotation ihrer Museen und Kunstschulen den Kunsttrieb in ihrem Lande zu wecken. Munkacsy ist seiner äußeren Erscheinung nach ein Vollblutmagyar, obwohl er einen deutschen Namen trägt. Er heißt eigentlich Lieb und hat den Namen So sagte Herr Reichensperger z, B-: „In Paris — ich verfolge so ziemlich die Berichte, welche über die dortigen sogenannten Salons erstattet werden, ich kann versichern, daß es in Paris mit der Malerei garnicht besonders bestellt ist. Die sogenannten Impressionisten und die Aquarellisten behaupten das Feld; daneben macht sich mitunter ein fast widerlicher Realis¬ mus geltend." In Wahrheit verhält es sich aber so, daß die Impressionisten bis 1881 be¬ ständig von den Salons ausgeschlossen waren, und daß seit jenem Jahre nur sehr wenige Impressionisten in demselben erschienen sind, die garnicht beachtet wurden. Auch die „Aquarel¬ listen," unter denen sich Herr Reichensperger ebenfalls eine Kunstsekte zu denken scheint, ver¬ anstalten besondre, von den Salons unabhängige Ausstellungen. Von den Salons hat demnach Herr Reichensperger eine ganz falsche Vorstellung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/574>, abgerufen am 02.10.2024.