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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Fischerei.

Veneckes schon im Jahre Joachim II. die Beuiltzuug der Fischbrut zur
Schweiuefütteruug verbiete"! Große Flundern werden an den deutschen Kttstcu
auch uach dem Urteil völlig Unbefangner täglich seltner; Dorsche, Schnäpel und
Pcrpel vermindern sich zusehends, und bei dem stetigen Rückgänge des Stör¬
sanges muß es uns geradezu erschrecke", wenn wir hören, daß noch im sech¬
zehnten und siebzehnten Jahrhundert allein von Pillau (!) aus jährlich 1ö00
bis 6000 Achteltonnen marinirter Störs nach England gingen!

Wenn wir so schon im Mischbestände der als unerschöpflich angesehenen
See einen partiellen Rückgang bestätigen müssen, so kann es uns kaum Wunder
nehmen, daß wir denselben in den Gewässern des Binnenlandes noch in er¬
höhtem Maße antreffen, bei denen fördernde wie schädigende Einflüsse der mensch¬
lichen Thätigkeit in viel einschneidenderer Weise zur Geltung kommen können.
Die in neuester Zeit in großartigem Maßstabe betriebene Regulirung ganzer
Stromgebiete und die damit verbundene Verminderung der zum Laichen der
Fische geeigneten geschützten, nnhrungsreichen Uferstellen, wie sie besonders auch
durch die Abdämmung der Altwässer entsteht, wirkten in hohem Grade nach¬
teilig ans das Fortkommen der Fischbrut ein. Zahlreiche Wehre hemmen den
Zug der zum Laichen stromaufwärts steigenden Fische, so vornehmlich des
Lachses, Turbinen in großer Zahl vernichten die zu demselben Geschäfte seewärts
eilenden Aale oft in ungeheurer Menge, um sie so der Nutzung des Meuscheu
zu entziehen. Dazu kommt die verderbliche Wirkung, welche zahlreiche Fabriken
aller Art hervorrufen, indem sie die giftigen Abfallprodukte ihrer Thätigkeit
nnr allzuhäufig in die vorüberfließenden Gewässer leiten und dadurch oft massen¬
haftes Sterben ihrer Bewohner verursachen. Raddampfer verscheuchen die Fische
durch ihren Lärm, und die ihnen nachfolgende Flutwelle spült den zarten, in
der Entwicklung begriffenen Laich ans Ufer. Baggermaschinen, die den Grund
aufwühlen, zerstören den Nährboden der Gewässer -- was Wunder, wenn bei
all diesen zahlreichen verderblichen Einflüssen ein wirklicher Rückgang im Fisch¬
bestande nicht ausbleibt! Und doch sind diese schädlichen Einwirkungen vielleicht
nicht so bedeutsam als diejenigen, welche eine irrationelle Ausbeutung der Ge¬
wässer durch den Menschen hervorgerufen haben mag.

Die Zahl der in Deutschlands Binnengewässern Fischereibcrechtigten ist
Legion. Dazu kommen die stellenweise übermäßig hochgeschraubten Pachtpreise
bei nnr kurzer Dauer der Pacht. Die Folge davon ist selbstverständlich eine
Raubfischcrei, die keine Rücksicht auf Nachbar und Zukunft kennt und uns zu
der verwunderten Frage berechtigt, wie ein solches System, an manchen Orten
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hindurch fortgesetzt, uns überhaupt noch von einem
Ertrag sprechen lassen kann. Die Verarmung geht hie und da soweit, daß,
wie von Seidlitz berichtet, auf manchen Seen, namentlich auf solchen, die lange
Zeit an polnische Juden verpachtet waren, die Fischerei ganz eingestellt worden
ist, weil es nichts mehr zu fangen giebt.


Grmzlwtm I. 1884. 63
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Fischerei.

Veneckes schon im Jahre Joachim II. die Beuiltzuug der Fischbrut zur
Schweiuefütteruug verbiete»! Große Flundern werden an den deutschen Kttstcu
auch uach dem Urteil völlig Unbefangner täglich seltner; Dorsche, Schnäpel und
Pcrpel vermindern sich zusehends, und bei dem stetigen Rückgänge des Stör¬
sanges muß es uns geradezu erschrecke», wenn wir hören, daß noch im sech¬
zehnten und siebzehnten Jahrhundert allein von Pillau (!) aus jährlich 1ö00
bis 6000 Achteltonnen marinirter Störs nach England gingen!

Wenn wir so schon im Mischbestände der als unerschöpflich angesehenen
See einen partiellen Rückgang bestätigen müssen, so kann es uns kaum Wunder
nehmen, daß wir denselben in den Gewässern des Binnenlandes noch in er¬
höhtem Maße antreffen, bei denen fördernde wie schädigende Einflüsse der mensch¬
lichen Thätigkeit in viel einschneidenderer Weise zur Geltung kommen können.
Die in neuester Zeit in großartigem Maßstabe betriebene Regulirung ganzer
Stromgebiete und die damit verbundene Verminderung der zum Laichen der
Fische geeigneten geschützten, nnhrungsreichen Uferstellen, wie sie besonders auch
durch die Abdämmung der Altwässer entsteht, wirkten in hohem Grade nach¬
teilig ans das Fortkommen der Fischbrut ein. Zahlreiche Wehre hemmen den
Zug der zum Laichen stromaufwärts steigenden Fische, so vornehmlich des
Lachses, Turbinen in großer Zahl vernichten die zu demselben Geschäfte seewärts
eilenden Aale oft in ungeheurer Menge, um sie so der Nutzung des Meuscheu
zu entziehen. Dazu kommt die verderbliche Wirkung, welche zahlreiche Fabriken
aller Art hervorrufen, indem sie die giftigen Abfallprodukte ihrer Thätigkeit
nnr allzuhäufig in die vorüberfließenden Gewässer leiten und dadurch oft massen¬
haftes Sterben ihrer Bewohner verursachen. Raddampfer verscheuchen die Fische
durch ihren Lärm, und die ihnen nachfolgende Flutwelle spült den zarten, in
der Entwicklung begriffenen Laich ans Ufer. Baggermaschinen, die den Grund
aufwühlen, zerstören den Nährboden der Gewässer — was Wunder, wenn bei
all diesen zahlreichen verderblichen Einflüssen ein wirklicher Rückgang im Fisch¬
bestande nicht ausbleibt! Und doch sind diese schädlichen Einwirkungen vielleicht
nicht so bedeutsam als diejenigen, welche eine irrationelle Ausbeutung der Ge¬
wässer durch den Menschen hervorgerufen haben mag.

Die Zahl der in Deutschlands Binnengewässern Fischereibcrechtigten ist
Legion. Dazu kommen die stellenweise übermäßig hochgeschraubten Pachtpreise
bei nnr kurzer Dauer der Pacht. Die Folge davon ist selbstverständlich eine
Raubfischcrei, die keine Rücksicht auf Nachbar und Zukunft kennt und uns zu
der verwunderten Frage berechtigt, wie ein solches System, an manchen Orten
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hindurch fortgesetzt, uns überhaupt noch von einem
Ertrag sprechen lassen kann. Die Verarmung geht hie und da soweit, daß,
wie von Seidlitz berichtet, auf manchen Seen, namentlich auf solchen, die lange
Zeit an polnische Juden verpachtet waren, die Fischerei ganz eingestellt worden
ist, weil es nichts mehr zu fangen giebt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/547>, abgerufen am 25.08.2024.