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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Kreuzzeitung.

Frankfurt ni. M. viel Energie und Sachkunde entwickelte und in dem Schuh¬
machermeister Pause einen sehr begabten Führer gefunden hatte, von Anbeginn
mit größtem Eifer. "Wer sich die Mühe geben will, die Verhandlungen der
Handwerkerversammlungen aus jener Zeit nachzulesen, der wird sich überzeugen,
daß in der heutigen Handwerkerbewegung kaum etwas neues zu Tage gefördert
wird, sondern die Postulate und Motive von damals einfach wiederholt werden.
Leicht begreiflicher Weise hielten indes diese Bestrebungen in den maßgebenden
Kreisen der Bourgeoisie nur solange vor, als man sich noch vor den Basser-
mcmnschen Gestalten fürchtete, dann schlugen sie alsbald auch bei uns in die
Etablirung der Geldherrschaft und des Regimes der Bourgeoisie um." Daß
das Verhältnis der Kreuzzeitungspartei zu den rasch aufeinanderfolgenden libe¬
ralen Ministerien -- "Minister wurde (unter David Hansemann), wer eine
größere oder kleinere Herde Stimmvieh hinter sich hatte" -- nicht gerade ein
freundschaftliches war, wird man begreiflich finden; "doch wurden wir, sagt
Wagener, durch dieselben auch nicht gerade übermäßig genirt, da sie anfangs
uns und unsre Bestrebungen unterschätzten und bereits abgenutzt waren, wenn
sie erst anzufangen glaubten. Außerdem war die Staatskunst der meisten über
die Arithmetik nicht hinaus. Man zählte die Häupter seiner Lieben, und dar¬
nach wurde gewirtschaftet: ein Spielen großer Kinder mit der konstitutionellen
Theorie."

Von Interesse für die Beurteilung der Kreuzzeitung und der Partei
derselben in der Zeit, wo Wagener erstere leitete, find die mitgeteilten brief¬
lichen Äußerungen des Präsidenten von Gerlach, mit denen der Verfasser
unsrer Memoiren Wort für Wort übereinstimmt. Mau hat oft behauptet,
jene Partei und ihr Organ habe dem Absolutismus Vorschub geleistet
und die Rückkehr Preußens zu diesem Regierungssystem angestrebt, und
ebenso sollen dieselben den Zaren Nikolaus als ihr Ideal und ihren Schutzpatron
angesehen haben. Das ist eine grundlose, wenigstens eine zu weitgehende
Meinung. Gerlach sagt zwar in dem einen Schreiben: "Die Masse der konser¬
vativen Partei besteht aus Regierungsmännern, Absolutisten, wenn Sie wollen,
welche die Regierung durchaus unterstützen und kräftigen wollen... Diese Masse
schließt viele höchst ehrenwerte Glieder ein, die nicht über den Wunsch hinaus¬
kommen, den König und die Regierung zu stärken, und die das Geheimnis der
Bosheit, welches im Absolutismus und Bonapartismus enthalten ist, nicht
verstehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß wir den Kampf gegen Absolutismus,
Vonapartismus, Bureaukratie und gegen Manteuffel-Quedl-Franz je aufgeben
dürfen. Das sei ferne! Wir müssen ihn aber in dem Bewußtsein führen, daß
wir die Masse unsrer Partei dabei nicht für uns haben, sondern auf diese selbst
einwirken, sie belehren und leiten müssen. Auf dem gemeinsamen Hintergrunde,
König und Regierung zu stärken, der seine Wahrheit hat, wird der viel zartere
Kampf gegen den Absolutismus sich erst recht verständlich und je feiner, desto


Zur Geschichte der Kreuzzeitung.

Frankfurt ni. M. viel Energie und Sachkunde entwickelte und in dem Schuh¬
machermeister Pause einen sehr begabten Führer gefunden hatte, von Anbeginn
mit größtem Eifer. „Wer sich die Mühe geben will, die Verhandlungen der
Handwerkerversammlungen aus jener Zeit nachzulesen, der wird sich überzeugen,
daß in der heutigen Handwerkerbewegung kaum etwas neues zu Tage gefördert
wird, sondern die Postulate und Motive von damals einfach wiederholt werden.
Leicht begreiflicher Weise hielten indes diese Bestrebungen in den maßgebenden
Kreisen der Bourgeoisie nur solange vor, als man sich noch vor den Basser-
mcmnschen Gestalten fürchtete, dann schlugen sie alsbald auch bei uns in die
Etablirung der Geldherrschaft und des Regimes der Bourgeoisie um." Daß
das Verhältnis der Kreuzzeitungspartei zu den rasch aufeinanderfolgenden libe¬
ralen Ministerien — „Minister wurde (unter David Hansemann), wer eine
größere oder kleinere Herde Stimmvieh hinter sich hatte" — nicht gerade ein
freundschaftliches war, wird man begreiflich finden; „doch wurden wir, sagt
Wagener, durch dieselben auch nicht gerade übermäßig genirt, da sie anfangs
uns und unsre Bestrebungen unterschätzten und bereits abgenutzt waren, wenn
sie erst anzufangen glaubten. Außerdem war die Staatskunst der meisten über
die Arithmetik nicht hinaus. Man zählte die Häupter seiner Lieben, und dar¬
nach wurde gewirtschaftet: ein Spielen großer Kinder mit der konstitutionellen
Theorie."

Von Interesse für die Beurteilung der Kreuzzeitung und der Partei
derselben in der Zeit, wo Wagener erstere leitete, find die mitgeteilten brief¬
lichen Äußerungen des Präsidenten von Gerlach, mit denen der Verfasser
unsrer Memoiren Wort für Wort übereinstimmt. Mau hat oft behauptet,
jene Partei und ihr Organ habe dem Absolutismus Vorschub geleistet
und die Rückkehr Preußens zu diesem Regierungssystem angestrebt, und
ebenso sollen dieselben den Zaren Nikolaus als ihr Ideal und ihren Schutzpatron
angesehen haben. Das ist eine grundlose, wenigstens eine zu weitgehende
Meinung. Gerlach sagt zwar in dem einen Schreiben: „Die Masse der konser¬
vativen Partei besteht aus Regierungsmännern, Absolutisten, wenn Sie wollen,
welche die Regierung durchaus unterstützen und kräftigen wollen... Diese Masse
schließt viele höchst ehrenwerte Glieder ein, die nicht über den Wunsch hinaus¬
kommen, den König und die Regierung zu stärken, und die das Geheimnis der
Bosheit, welches im Absolutismus und Bonapartismus enthalten ist, nicht
verstehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß wir den Kampf gegen Absolutismus,
Vonapartismus, Bureaukratie und gegen Manteuffel-Quedl-Franz je aufgeben
dürfen. Das sei ferne! Wir müssen ihn aber in dem Bewußtsein führen, daß
wir die Masse unsrer Partei dabei nicht für uns haben, sondern auf diese selbst
einwirken, sie belehren und leiten müssen. Auf dem gemeinsamen Hintergrunde,
König und Regierung zu stärken, der seine Wahrheit hat, wird der viel zartere
Kampf gegen den Absolutismus sich erst recht verständlich und je feiner, desto


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[0541] Zur Geschichte der Kreuzzeitung. Frankfurt ni. M. viel Energie und Sachkunde entwickelte und in dem Schuh¬ machermeister Pause einen sehr begabten Führer gefunden hatte, von Anbeginn mit größtem Eifer. „Wer sich die Mühe geben will, die Verhandlungen der Handwerkerversammlungen aus jener Zeit nachzulesen, der wird sich überzeugen, daß in der heutigen Handwerkerbewegung kaum etwas neues zu Tage gefördert wird, sondern die Postulate und Motive von damals einfach wiederholt werden. Leicht begreiflicher Weise hielten indes diese Bestrebungen in den maßgebenden Kreisen der Bourgeoisie nur solange vor, als man sich noch vor den Basser- mcmnschen Gestalten fürchtete, dann schlugen sie alsbald auch bei uns in die Etablirung der Geldherrschaft und des Regimes der Bourgeoisie um." Daß das Verhältnis der Kreuzzeitungspartei zu den rasch aufeinanderfolgenden libe¬ ralen Ministerien — „Minister wurde (unter David Hansemann), wer eine größere oder kleinere Herde Stimmvieh hinter sich hatte" — nicht gerade ein freundschaftliches war, wird man begreiflich finden; „doch wurden wir, sagt Wagener, durch dieselben auch nicht gerade übermäßig genirt, da sie anfangs uns und unsre Bestrebungen unterschätzten und bereits abgenutzt waren, wenn sie erst anzufangen glaubten. Außerdem war die Staatskunst der meisten über die Arithmetik nicht hinaus. Man zählte die Häupter seiner Lieben, und dar¬ nach wurde gewirtschaftet: ein Spielen großer Kinder mit der konstitutionellen Theorie." Von Interesse für die Beurteilung der Kreuzzeitung und der Partei derselben in der Zeit, wo Wagener erstere leitete, find die mitgeteilten brief¬ lichen Äußerungen des Präsidenten von Gerlach, mit denen der Verfasser unsrer Memoiren Wort für Wort übereinstimmt. Mau hat oft behauptet, jene Partei und ihr Organ habe dem Absolutismus Vorschub geleistet und die Rückkehr Preußens zu diesem Regierungssystem angestrebt, und ebenso sollen dieselben den Zaren Nikolaus als ihr Ideal und ihren Schutzpatron angesehen haben. Das ist eine grundlose, wenigstens eine zu weitgehende Meinung. Gerlach sagt zwar in dem einen Schreiben: „Die Masse der konser¬ vativen Partei besteht aus Regierungsmännern, Absolutisten, wenn Sie wollen, welche die Regierung durchaus unterstützen und kräftigen wollen... Diese Masse schließt viele höchst ehrenwerte Glieder ein, die nicht über den Wunsch hinaus¬ kommen, den König und die Regierung zu stärken, und die das Geheimnis der Bosheit, welches im Absolutismus und Bonapartismus enthalten ist, nicht verstehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß wir den Kampf gegen Absolutismus, Vonapartismus, Bureaukratie und gegen Manteuffel-Quedl-Franz je aufgeben dürfen. Das sei ferne! Wir müssen ihn aber in dem Bewußtsein führen, daß wir die Masse unsrer Partei dabei nicht für uns haben, sondern auf diese selbst einwirken, sie belehren und leiten müssen. Auf dem gemeinsamen Hintergrunde, König und Regierung zu stärken, der seine Wahrheit hat, wird der viel zartere Kampf gegen den Absolutismus sich erst recht verständlich und je feiner, desto

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/541>, abgerufen am 24.08.2024.