Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.
Achtzehntes Aapitel.

Unter den litauischen Volksliedern -- sie können sich neben den finnischen
schon hören lassen -- ist eins, das die Art, wie Mädchen zu Zeiten ihren
Zweck zu erreichen wissen, in folgender Weise zum dichterischen Vorwurf nimmt.

Ein Bursche hat einem Mädchen, das ihm einen Kuß verweigerte und
sich beim Wasserschöpfen nicht stören ließ, ihren Krug zerschlagen. Darüber
bricht sie in bitteres Weinen aus, und er will sie beruhigen, indem er ihr ein
seidnes Band verspricht. -- Sie macht sich nichts aus einem Bande und fährt
fort zu weinen. -- So schenke ich dir ein seidnes Mieder, tröstet er. -- Sie
macht sich nichts aus einem seidnen Mieder und weint weiter. -- So schenke
ich dir den Wert meines halben Gehöfts, überbietet er sich. -- Sie macht sich
nichts aus dem Werte eines halbe" Gehöfts und läßt nicht ab vom Weinen. ---
So schenke ich dir mein ganzes Gehöft und mich darin, ruft er endlich. Und
sie baun, plötzlich ihre Thränen stillend:


Wenn du selber wirst mein eigen,
An den Galgen mit dem Krug dann.

Mit Lore hätte es, wenn die Welt in der Lage gewesen wäre, sich über
Lore und den reichen Adoptivsohn eine Mutmaßung zu gestatten, füglich nicht
viel anders zu gehen brauchen, vorausgesetzt, daß Lore nicht nur zu den
Kammerjungfern gehörte, sondern auch zu der pfiffigen Mehrheit derselben.

Im Grunde that sie aber nicht einmal das Erstere, wennschon sie bei
Fräulein von Meeringen, der in Villa Mockritz verstorbenen Freundin Hcrmionens,
in jener Eigenschaft eine Stelle bekleidet und dabei auch Krankenpflegerdicnste
geleistet hatte. Lore stammte aus einem entlegnen Teile des Landes und ans
einem bis über die Zeit ihrer Müdchenjahre hinaus sehr angesehen gewesenen
Hanse. Ursachen, die hier noch nicht zur Sprache kommen können, hatten den
Glanz dieses Hauses plötzlich so arg verfinstert, daß die zwei in Fülle und
Wohlleben aufgewachsenen Kinder desselben, sie und ihr Bruder, nicht nur dem
Mangel preisgegeben, sondern auch der Nötigung ausgesetzt worden waren, durch
Amiahme eines andern Vaternamens sich der Welt gegenüber jedes Zusammen¬
hanges mit jenem ihrem Hcimatshause zu entäußern. Lores oder vielmehr Elisens
Bruder -- denn so hieß sie, wie schon erwähnt -- hatte kurz darauf als Schiffs¬
junge auf See seinen Tod gefunden. Elise war, mit vielen, aber zum Ver¬
werten im Lehrberuf allzu lückenhaften Kenntnissen ausgerüstet, aus einer
dienstlichen Stellung in die andre übergegangen, hatte dann in einem Kinder¬
krankenhause längere Zeit sich als Pflegerin ausgebildet, war dort von einer
ihrer Schulfreundinnen, die zu dem Vorstände des Krankenhauses gehörte, eben
jenem Fräulein von Meeringen, eines Tages erkannt worden und hatte, als
dieselbe später zu kränkeln begann, gegen das von Elisen geforderte Ver-


Auf der Leiter des Glücks.
Achtzehntes Aapitel.

Unter den litauischen Volksliedern — sie können sich neben den finnischen
schon hören lassen — ist eins, das die Art, wie Mädchen zu Zeiten ihren
Zweck zu erreichen wissen, in folgender Weise zum dichterischen Vorwurf nimmt.

Ein Bursche hat einem Mädchen, das ihm einen Kuß verweigerte und
sich beim Wasserschöpfen nicht stören ließ, ihren Krug zerschlagen. Darüber
bricht sie in bitteres Weinen aus, und er will sie beruhigen, indem er ihr ein
seidnes Band verspricht. — Sie macht sich nichts aus einem Bande und fährt
fort zu weinen. — So schenke ich dir ein seidnes Mieder, tröstet er. — Sie
macht sich nichts aus einem seidnen Mieder und weint weiter. — So schenke
ich dir den Wert meines halben Gehöfts, überbietet er sich. — Sie macht sich
nichts aus dem Werte eines halbe» Gehöfts und läßt nicht ab vom Weinen. —-
So schenke ich dir mein ganzes Gehöft und mich darin, ruft er endlich. Und
sie baun, plötzlich ihre Thränen stillend:


Wenn du selber wirst mein eigen,
An den Galgen mit dem Krug dann.

Mit Lore hätte es, wenn die Welt in der Lage gewesen wäre, sich über
Lore und den reichen Adoptivsohn eine Mutmaßung zu gestatten, füglich nicht
viel anders zu gehen brauchen, vorausgesetzt, daß Lore nicht nur zu den
Kammerjungfern gehörte, sondern auch zu der pfiffigen Mehrheit derselben.

Im Grunde that sie aber nicht einmal das Erstere, wennschon sie bei
Fräulein von Meeringen, der in Villa Mockritz verstorbenen Freundin Hcrmionens,
in jener Eigenschaft eine Stelle bekleidet und dabei auch Krankenpflegerdicnste
geleistet hatte. Lore stammte aus einem entlegnen Teile des Landes und ans
einem bis über die Zeit ihrer Müdchenjahre hinaus sehr angesehen gewesenen
Hanse. Ursachen, die hier noch nicht zur Sprache kommen können, hatten den
Glanz dieses Hauses plötzlich so arg verfinstert, daß die zwei in Fülle und
Wohlleben aufgewachsenen Kinder desselben, sie und ihr Bruder, nicht nur dem
Mangel preisgegeben, sondern auch der Nötigung ausgesetzt worden waren, durch
Amiahme eines andern Vaternamens sich der Welt gegenüber jedes Zusammen¬
hanges mit jenem ihrem Hcimatshause zu entäußern. Lores oder vielmehr Elisens
Bruder — denn so hieß sie, wie schon erwähnt — hatte kurz darauf als Schiffs¬
junge auf See seinen Tod gefunden. Elise war, mit vielen, aber zum Ver¬
werten im Lehrberuf allzu lückenhaften Kenntnissen ausgerüstet, aus einer
dienstlichen Stellung in die andre übergegangen, hatte dann in einem Kinder¬
krankenhause längere Zeit sich als Pflegerin ausgebildet, war dort von einer
ihrer Schulfreundinnen, die zu dem Vorstände des Krankenhauses gehörte, eben
jenem Fräulein von Meeringen, eines Tages erkannt worden und hatte, als
dieselbe später zu kränkeln begann, gegen das von Elisen geforderte Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155413"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
          <div n="2">
            <head> Achtzehntes Aapitel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2150"> Unter den litauischen Volksliedern &#x2014; sie können sich neben den finnischen<lb/>
schon hören lassen &#x2014; ist eins, das die Art, wie Mädchen zu Zeiten ihren<lb/>
Zweck zu erreichen wissen, in folgender Weise zum dichterischen Vorwurf nimmt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2151"> Ein Bursche hat einem Mädchen, das ihm einen Kuß verweigerte und<lb/>
sich beim Wasserschöpfen nicht stören ließ, ihren Krug zerschlagen. Darüber<lb/>
bricht sie in bitteres Weinen aus, und er will sie beruhigen, indem er ihr ein<lb/>
seidnes Band verspricht. &#x2014; Sie macht sich nichts aus einem Bande und fährt<lb/>
fort zu weinen. &#x2014; So schenke ich dir ein seidnes Mieder, tröstet er. &#x2014; Sie<lb/>
macht sich nichts aus einem seidnen Mieder und weint weiter. &#x2014; So schenke<lb/>
ich dir den Wert meines halben Gehöfts, überbietet er sich. &#x2014; Sie macht sich<lb/>
nichts aus dem Werte eines halbe» Gehöfts und läßt nicht ab vom Weinen. &#x2014;-<lb/>
So schenke ich dir mein ganzes Gehöft und mich darin, ruft er endlich. Und<lb/>
sie baun, plötzlich ihre Thränen stillend:</p><lb/>
            <quote> Wenn du selber wirst mein eigen,<lb/>
An den Galgen mit dem Krug dann.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_2152"> Mit Lore hätte es, wenn die Welt in der Lage gewesen wäre, sich über<lb/>
Lore und den reichen Adoptivsohn eine Mutmaßung zu gestatten, füglich nicht<lb/>
viel anders zu gehen brauchen, vorausgesetzt, daß Lore nicht nur zu den<lb/>
Kammerjungfern gehörte, sondern auch zu der pfiffigen Mehrheit derselben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2153" next="#ID_2154"> Im Grunde that sie aber nicht einmal das Erstere, wennschon sie bei<lb/>
Fräulein von Meeringen, der in Villa Mockritz verstorbenen Freundin Hcrmionens,<lb/>
in jener Eigenschaft eine Stelle bekleidet und dabei auch Krankenpflegerdicnste<lb/>
geleistet hatte. Lore stammte aus einem entlegnen Teile des Landes und ans<lb/>
einem bis über die Zeit ihrer Müdchenjahre hinaus sehr angesehen gewesenen<lb/>
Hanse. Ursachen, die hier noch nicht zur Sprache kommen können, hatten den<lb/>
Glanz dieses Hauses plötzlich so arg verfinstert, daß die zwei in Fülle und<lb/>
Wohlleben aufgewachsenen Kinder desselben, sie und ihr Bruder, nicht nur dem<lb/>
Mangel preisgegeben, sondern auch der Nötigung ausgesetzt worden waren, durch<lb/>
Amiahme eines andern Vaternamens sich der Welt gegenüber jedes Zusammen¬<lb/>
hanges mit jenem ihrem Hcimatshause zu entäußern. Lores oder vielmehr Elisens<lb/>
Bruder &#x2014; denn so hieß sie, wie schon erwähnt &#x2014; hatte kurz darauf als Schiffs¬<lb/>
junge auf See seinen Tod gefunden. Elise war, mit vielen, aber zum Ver¬<lb/>
werten im Lehrberuf allzu lückenhaften Kenntnissen ausgerüstet, aus einer<lb/>
dienstlichen Stellung in die andre übergegangen, hatte dann in einem Kinder¬<lb/>
krankenhause längere Zeit sich als Pflegerin ausgebildet, war dort von einer<lb/>
ihrer Schulfreundinnen, die zu dem Vorstände des Krankenhauses gehörte, eben<lb/>
jenem Fräulein von Meeringen, eines Tages erkannt worden und hatte, als<lb/>
dieselbe später zu kränkeln begann, gegen das von Elisen geforderte Ver-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Auf der Leiter des Glücks. Achtzehntes Aapitel. Unter den litauischen Volksliedern — sie können sich neben den finnischen schon hören lassen — ist eins, das die Art, wie Mädchen zu Zeiten ihren Zweck zu erreichen wissen, in folgender Weise zum dichterischen Vorwurf nimmt. Ein Bursche hat einem Mädchen, das ihm einen Kuß verweigerte und sich beim Wasserschöpfen nicht stören ließ, ihren Krug zerschlagen. Darüber bricht sie in bitteres Weinen aus, und er will sie beruhigen, indem er ihr ein seidnes Band verspricht. — Sie macht sich nichts aus einem Bande und fährt fort zu weinen. — So schenke ich dir ein seidnes Mieder, tröstet er. — Sie macht sich nichts aus einem seidnen Mieder und weint weiter. — So schenke ich dir den Wert meines halben Gehöfts, überbietet er sich. — Sie macht sich nichts aus dem Werte eines halbe» Gehöfts und läßt nicht ab vom Weinen. —- So schenke ich dir mein ganzes Gehöft und mich darin, ruft er endlich. Und sie baun, plötzlich ihre Thränen stillend: Wenn du selber wirst mein eigen, An den Galgen mit dem Krug dann. Mit Lore hätte es, wenn die Welt in der Lage gewesen wäre, sich über Lore und den reichen Adoptivsohn eine Mutmaßung zu gestatten, füglich nicht viel anders zu gehen brauchen, vorausgesetzt, daß Lore nicht nur zu den Kammerjungfern gehörte, sondern auch zu der pfiffigen Mehrheit derselben. Im Grunde that sie aber nicht einmal das Erstere, wennschon sie bei Fräulein von Meeringen, der in Villa Mockritz verstorbenen Freundin Hcrmionens, in jener Eigenschaft eine Stelle bekleidet und dabei auch Krankenpflegerdicnste geleistet hatte. Lore stammte aus einem entlegnen Teile des Landes und ans einem bis über die Zeit ihrer Müdchenjahre hinaus sehr angesehen gewesenen Hanse. Ursachen, die hier noch nicht zur Sprache kommen können, hatten den Glanz dieses Hauses plötzlich so arg verfinstert, daß die zwei in Fülle und Wohlleben aufgewachsenen Kinder desselben, sie und ihr Bruder, nicht nur dem Mangel preisgegeben, sondern auch der Nötigung ausgesetzt worden waren, durch Amiahme eines andern Vaternamens sich der Welt gegenüber jedes Zusammen¬ hanges mit jenem ihrem Hcimatshause zu entäußern. Lores oder vielmehr Elisens Bruder — denn so hieß sie, wie schon erwähnt — hatte kurz darauf als Schiffs¬ junge auf See seinen Tod gefunden. Elise war, mit vielen, aber zum Ver¬ werten im Lehrberuf allzu lückenhaften Kenntnissen ausgerüstet, aus einer dienstlichen Stellung in die andre übergegangen, hatte dann in einem Kinder¬ krankenhause längere Zeit sich als Pflegerin ausgebildet, war dort von einer ihrer Schulfreundinnen, die zu dem Vorstände des Krankenhauses gehörte, eben jenem Fräulein von Meeringen, eines Tages erkannt worden und hatte, als dieselbe später zu kränkeln begann, gegen das von Elisen geforderte Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/530>, abgerufen am 04.07.2024.